Nicht wieder in eine "Hölle wie Moria"
13. September 2020Auch am Wochenende nach dem zerstörerischen Großbrand im Flüchtlingslager Moria auf Lesbos bleibt die Situation auf der Insel unübersichtlich und angespannt. Die griechische Polizei ging mit Tränengas gegen Steine werfende Migranten vor (Artikelbild oben). Die Zusammenstöße spielten sich entlang eines Straßenabschnitts ab, auf dem viele Migranten nach dem Brand gestrandet sind und der in beide Richtungen von der Polizei abgesperrt wurde. Auch seien von ehemaligen Lagerbewohnern entlang der Straße immer wieder Feuer entzündet worden, berichteten Augenzeugen.
Neues Zeltlager wird bezogen
Mit Rufen wie "Freiheit" und "Kein Camp" reagierten Migranten zudem auf Arbeiten zum Aufbau eines provisorischen Zeltlagers. Einige von ihnen trugen handgeschriebene Botschaften bei sich: "Wir wollen nicht noch einmal in eine Hölle wie Moria gehen", war dort etwa zu lesen. Oder: "Können Sie uns hören, Frau Merkel?"
Mittlerweile konnten die ersten Migranten das neue Zeltlager beziehen. Es soll für insgesamt 3000 Menschen ausgelegt sein. Einige Anwohner hielten Bulldozer der Bautrupps mit Straßensperren auf. Die griechische Regierung schickte Schiffe nach Lesbos, um vor allem Familien und besonders bedürftigen Menschen neue Schlafmöglichkeiten zu geben.
Tausende Asylsuchende, überwiegend aus Afrika und Afghanistan, harren weiter im Freien aus. "Wir schlafen im Dreck oder auf der Straße", berichtete eine Gruppe ehemaliger Lagerbewohner auf Facebook. "Wir haben nichts, womit wir uns bedecken können, nicht einmal eine Jacke, die uns vor der nächtlichen Kälte und dem Wind schützt."
Das heillos überfüllte Lager Moria war in der Nacht zu Mittwoch in Flammen aufgegangen und weitgehend niedergebrannt. Untersucht wird, ob es von Migranten absichtlich in Brand gesetzt wurde - worauf es Hinweise gibt.
"Dieselben Fehler wie 2015"
In der Europäischen Union gibt es Streit über den Umgang mit den Menschen aus Moria. Dabei geht es auch um die Frage, ob sie aus humanitären Gründen auf verschiedene EU-Mitgliedstaaten verteilt werden sollen.
Davor warnte insbesondere Österreichs Kanzler Sebastian Kurz: "Wenn wir diesem Druck jetzt nachgeben, dann riskieren wir, dass wir dieselben Fehler machen wie im Jahr 2015", betonte der konservative Politiker. In der damaligen Flüchtlingskrise hätten die "schrecklichen" Bilder von Migranten am Bahnhof in Budapest dazu geführt, dass die europäische Politik dem Druck nachgegeben habe. Dann hätten sich mehr Menschen auf den Weg nach Mitteleuropa gemacht, erklärte Kurz. Statt Geflüchtete aufzunehmen, will Österreichs Regierung nächste Woche 400 Unterkünfte mit Heizungen, Betten und Decken für 2000 Hilfsbedürftige nach Lesbos transportieren lassen.
Der deutsche Innenminister Horst Seehofer (CSU) hatte hingegen angekündigt, dass Deutschland bis zu 150 unbegleitete minderjährige Flüchtlinge aus Moria einreisen lässt. Vizekanzler Olaf Scholz (SPD) meinte dazu, dies könne "nur ein erster Schritt sein". Angesichts der Not auf Lesbos seien die EU und auch Deutschland in der Pflicht, "in größerem Umfang weitere Flüchtlinge aufzunehmen".
wa/gri (dpa, afp, rtr)