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Nicht nur Stauffenberg

Birgit Görtz21. Juli 2013

Denkt man an den 20. Juli 1944, denkt man an Stauffenberg. Viele seiner Gefährten wurden zu Unrecht vergessen. Über sie haben die Politikerin Antje Vollmer und der Journalist Lars-Broder Keil ein Buch geschrieben.

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Bild: Ullstein Bild

Der Prozess gegen die Attentäter vor dem berüchtigten Volksgerichtshof der Nationalsozialisten ist ein Schauprozess der übelsten Sorte. Volksgerichtshof-Präsident Roland Freisler hat die Order Hitlers, den Angeklagten nicht nur ihr Leben, sondern auch ihre Würde zu nehmen. Am 7. und 8. August 1944 sitzen vier Männer auf der Anklagebank, darunter auch einer der jüngsten Verschwörer: Friedrich Karl Klausing. Freisler versteht nicht, ja kann nicht verstehen, dass Klausing den Aufstand genau deshalb gewagt hat, um nämlich seine Würde nicht zu verlieren.

Wer ist dieser Mann?

Antje Vollmer ist Theologin, Publizistin und Politikerin. Viele Jahre war sie Abgeordnete des Deutschen Bundestages für Bündnis '90/Die Grünen, amtierte elf Jahre als Vizepräsidentin des Parlaments. Lars-Broder Keil ist Journalist und Publizist. Beide haben ein Buch geschrieben: "Stauffenbergs Gefährten. Das Schicksal der unbekannten Verschwörer". Einer der zehn Porträtierten ist Friedrich Karl Klausing. Sein Konterfei ziert den Einband des Buches - aus gutem Grund.

Titelseite des Buchs "Stauffenbergs Gefährten" mit einem Foto von Friedrich Karl Klausing (Foto: Marc Tirl)
Das Umschlagfoto auf der Titelseite des Buchs zeigt Friedrich Karl KlausingBild: Hanser Berlin

"Dieses Foto zeigt atmosphärisch sehr viel von der Anspannung der Verschwörer und von ihrer gesellschaftlichen Einsamkeit. Dennoch ist es nicht das Foto eines Heroen", sagt Antje Vollmer. Es zeige einen Menschen, der sehr viele Bedenken und Zweifel hinter sich bringen musste und dem gleichzeitig bewusst gewesen sei, dass er noch einen sehr großen Gipfel vor sich habe. "Für ihn war das besonders schwierig, weil er aus einer Familie überzeugter Nationalsozialisten kam und sich besonders weit davon entfernen musste."

Insgesamt seien rund 2000 Menschen am Hitler-Attentat vom 20. Juli beteiligt gewesen, im Vergleich zur Gesamtbevölkerung eine verschwindend kleine Zahl, ergänzt Ko-Autor Lars-Broder Keil. "Die Attentäter haben gespürt, dass sie in der Minderheit sind, dass sie alleine stehen, wenn es zum Staatsstreich kommt." Die meisten seien sich darüber im Klaren gewesen, dass der Großteil der Bevölkerung die Tat nicht begrüßen werde.

Dennoch spinnen die Verschwörer ein Netzwerk über das gesamte Land, vom Militär bis weit hinein in die zivilen Bereiche, in die Verwaltung. Es geht ihnen nicht nur um den Tyrannenmord, sondern um das, was man heute neumodisch "regime change" nennt. Die Planungen gehen weit. "Der Staatstreich war sehr durchstrukturiert, es gab Überlegungen für eine zivile Nachkriegsregierung. Es gab zivile Beauftragte, die innerhalb ihrer Zuständigkeiten für Ruhe sorgen sollten", schildert Lars-Broder Keil.

Es hätte klappen können

Antje Vollmer und Lars-Broder Keil bei der Vorstellung ihres Buches (Foto: Marc Tirl)
Antje Vollmer und Lars-Broder Keil bei der Vorstellung ihres BuchesBild: picture-alliance/ZB

Der 20. Juli sei alles andere als ein waghalsiger Husarenritt, sondern ein durchdachtes Unternehmen gewesen. Nach ihren Recherchen kommen die Autoren zu einem eindeutigen Urteil: "Wir sind der Meinung, dass es eine realistische Chance gab, dass es hätte klappen können - unter der Voraussetzung, dass Hitler das Attentat nicht überlebt hätte."

Doch Hitler überlebt die Detonation des Sprengsatzes, den Stauffenberg während einer Lagebesprechung im Führerhauptquartier "Wolfsschanze" im damaligen Ostpreußen unter den Tisch platziert, über den sich der Diktator und sein Stab beugen.

Hitler war extrem misstrauisch

Heute neigten die meisten Deutschen dazu, die Pläne der Verschwörer zu unterschätzen, dächten gar, das Vorhaben sei schlecht geplant und laienhaft durchgeführt gewesen, meint Antje Vollmer. "Das stimmt nicht. Man muss sich klar machen, dass es zu dem Zeitpunkt nur noch etwa 200 Menschen gab, die überhaupt Zugang zu Hitler hatten, in seine Nähe vorgelassen wurden. Der Diktator war extrem misstrauisch." Den meisten, die ein Urteil über den 20. Juli abgeben, sei nicht bewusst, dass es auf dem Höhepunkt der Macht des NS-Regimes eine ernsthafte Planung gab, das ganze Land von Hitler zu befreien. Aus der Erfolglosigkeit des Umsturzes dürfe man keine Geringschätzung weder der Pläne noch der Entschlossenheit der Verschwörer ableiten.

Reichsmarschall Hermann Göring (helle Uniform) und der Chef der "Kanzlei des Führers", Martin Bormann (l.), besichtigen den Ort des Attentat-Versuchs (Foto: Heinrich Hoffmann/dpa)
Reichsmarschall Hermann Göring (helle Uniform) und der Chef der "Kanzlei des Führers", Martin Bormann (l.), besichtigen den Ort des Attentat-VersuchsBild: picture-alliance/dpa

Ursprünglich sollte das Buch den Titel "Die Zehn Gerechten" tragen. "Das war unser Arbeitstitel. Er geht zurück auf die alttestamentarische Geschichte, wonach Abraham sein Volk in einem Handel mit Gott zu retten versucht, wenn er nur zehn Gerechte findet", erläutert die Autorin. Der Arbeitstitel habe versinnbildlichen sollen, dass die Verschwörer eine winzig kleine Gruppe im Vergleich zur Gesamtbevölkerung von Mitläufern und Unterstützern des Regimes ausmachten.

Niemand trauerte mit den Familien

Für die heutige Generation sei es wichtig zu wissen, dass es außer den Vollstreckern des Regimes einige wenige gab, die mit aller bitteren Konsequenz für sich und ihre Familien versucht hätten, die NS-Diktatur zu stürzen. Daher verdienten die Verschwörer Respekt und Hochachtung, nicht Besserwisserei oder gar Verachtung, wie in der jungen Bundesrepublik, findet die Grünen-Politikerin. "Niemand hat mit den Familien getrauert. Die Attentäter waren einsam und ihre Familien waren es auch." Die Männer des 20. Juli waren Menschen, die die Menschlichkeit verteidigten, die für ihre Überzeugungen einstanden, egal wie unsicher das Ergebnis war. "Das ist das Vermächtnis dieser Leute", findet Lars-Broder Keil.

Die beiden Autoren möchten mit ihrem Buch ein ganz konkretes Ziel erreichen. "Wir wollen Schülern etwas an die Hand geben: nicht die Geschichten von geborenen Helden, sondern auf merkwürdige Weise moderne Geschichten. Es geht um Menschen, denen es schwer fiel, zum Widerstand zu kommen und dazu zu stehen, die sich aber gegenseitig ermutigt haben und ein Netzwerk bildeten." Als nach dem Scheitern des Attentats zutage trat, wie umfassend dieses Netzwerk war und wie weitreichend seine Umsturzpläne, reagierten Hitler und Himmler zutiefst fassungslos, zumal die Gestapo weitgehend ahnungslos war. "Dieser Schock saß tief. Die Magie des Diktators war gebrochen." Doch bis auch die Macht des Diktators gebrochen war, sollten noch zehn schlimme Monate vergehen.

Zum Weiterlesen:

Antje Vollmer, Lars-Broder Keil: Stauffenbergs Gefährten. Das Schicksal der unbekannten Verschwörer, 2013, fester Einband, 256 Seiten mit ca. 50 S/W-Abbildungen, Preis: 19,90 € (D) ISBN 978-3-446-24156-5, Hanser Berlin