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"Memorial" wird nicht geschlossen

Roman Goncharenko28. Januar 2015

Die renommierteste Menschenrechtsorganisation in Russland "Memorial" bleibt bestehen. Der Oberste Gerichtshof wies ein Auflösungsersuchen ab. Trotzdem stellen sich die Menschenrechtler auf harte Zeiten ein.

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Der Eingang zum zentralen Büro der Menschenrechtsorganisation Memorial in Moskau (Foto: DW)
Bild: DW

"Das wird unbedingt ein gutes Ende haben", sagte die Menschenrechtsbeauftragte in Russland, Ella Pamfilowa, in einem Interview für die Nachrichtenagentur "Interfax" im Oktober 2014. "Man kann sich auch hypothetisch keine Situation vorstellen, bei der es in Russland kein "Memorial" mehr geben wird." Pamfilowa behielt Recht. Der Oberste Gerichtshof in Moskau wies am Mittwoch die Klage des Justizministeriums gegen die Menschenrechtsorganisation "Memorial" ab. "Alle Verstöße sind behoben worden", sagte eine Vertreterin des Ministeriums vor Gericht.

Eine fast fünfmonatige Zitterpartie geht damit vorbei. Im September 2014 forderte das russische Justizministerium eine Auflösung der NGO "Memorial" aus formellen Gründen. Die Gerichtsentscheidung war zunächst für November geplant, wurde aber zweimal verschoben. "Das Justizministerium glaubt, dass wir eine vertikale Organisation sein sollen, mit einer Zentrale, der lokale Vertretungen unterstellt sind", erklärte Arsenij Roginskij, Leiter von "Memorial". Die Menschenrechtsorganisation vereint mehr als 60 regionale Organisationen in einem losen Verband.

Sacharow als erster Vorsitzender

"Memorial" hat in Russland, aber auch im Ausland einen besonderen Stellenwert. Die gleichnamige Organisation, oder "geschichtsaufklärerische Gesellschaft", wie sie zunächst hieß, entstand Ende der 1980er Jahre in Moskau. Zum ersten Vorsitzenden wurde 1989 der berühmte Dissident und Friedensnobelpreisträger Andrej Sacharow gewählt. Als Hauptaufgabe sieht "Memorial" bis heute, an die dunklen Seiten der sowjetischen Geschichte, vor allem an die Opfer des Stalinismus, zu erinnern.

Der Dissident und Friedensnobelpreisträger Andrej Sacharow (Foto: Archiv)
Friedensnobelpreisträger Andrej Sacharow wurde 1989 zum Vorsitzenden von "Memorial" gewähltBild: picture-alliance/dpa

Der wahre Grund für die drohende Schließung sei die Tatsache gewesen, dass "Memorial" unabhängig war, vermutete Roginskij. "Ungefähr ab 2012 ist die Lage der Zivilgesellschaft in Russland viel schwieriger geworden", so der Vorsitzende von "Memorial". Die Gesetzgebung für Nichtregierungsorganisationen wurde verschärft. NGOs, die Geld aus dem Ausland erhalten und sich politisch engagieren, müssen sich in ein Register als "ausländische Agenten" eintragen. Wer sich weigert, dem drohen Strafen oder sogar die Schließung.

Ein Dorn im Auge der Regierung

Viele Organisationen sehen darin eine Diffamierungskampagne und weigern sich, das zu tun. In solchen Fällen werden sie auch ohne Zustimmung ins Register der "ausländischen Agenten" aufgenommen. Das geschah 2014 mit dem Menschenrechtszentrum "Memorial", das Teil der gleichnamigen Organisation ist und sich vor allem mit Menschenrechtsverletzungen im Nordkaukasus beschäftigt.

Das Menschenrechtszentrum "Memorial" ist für die russische Regierung offenbar ein Dorn im Auge. Es veröffentlicht jedes Jahr eine Liste von "politischen Gefangenen", deren Existenz Präsident Wladimir Putin regelmäßig bestreitet. Zuletzt hat "Memorial" den russischen Oppositionspolitiker Alexej Nawalny und seinen Bruder als politische Häftlinge eingestuft. Beide wurden wegen Wirtschaftsverbrechen zu hohen Strafen verurteilt.

Arseni Roginskij, Leiter der Menschenrechtsorganisation Memorial (Foto: DW)
Roginskij: "Lage der Zivilgesellschaft in Russland ist schwieriger geworden"Bild: DW/E. Winogradow

Prominente Unterstützung

Vor dem Hintergrund einer drohenden Schließung bekam "Memorial" prominente Unterstützung. Die Menschenrechtsbeauftragte Pamfilowa bat den russischen Präsidenten Wladimir Putin um Hilfe. Auch der Leiter des russischen Präsidialrates für Menschenrechte, Michail Fedotow, schaltete sich ein. Er sagte allerdings, die Klage des Justizministeriums sei eine Formalität gewesen und nicht politisch motiviert. Der Europarat, die Europäische Union und die deutsche Bundesregierung äußerten sich besorgt. Am Ende ging "Memorial" auf Forderungen des Justizministeriums ein. Auf einer Konferenz im November änderte die Organisation ihre Satzung und führte eine neue Struktur ein.

Aufatmen können die Mitarbeiter von "Memorial" trotzdem nicht. "Sie werden uns nicht in Ruhe lassen, weil wir unabhängig sind", sagte Elena Schemkowa, Geschäftsleiterin der Menschenrechtsorganisation "Memorial", nach der Gerichtsentscheidung. Das russische Justizministerium arbeitet inzwischen an einer Änderung der Gesetzgebung über NGOs. Beobachter halten eine Entschärfung dieser Gesetze aber für unwahrscheinlich.