Neustart in der NBA-Bubble
30. Juli 2020Orlando - ein Wort, ein Ort und vor allem, ein Image: Disney World. "Wo Träume wahr werden", steht über einer der Zufahrten zum gigantischen Freizeit-Komplex in Zentral-Florida. Rechts und links neben der dreispurigen Straße grüßen Mickey und Minnie Mouse. Die Turmspitzen des berühmten Disney Castle über der Durchfahrt sowie Palmen runden das Bild ab.
Seit fast drei Wochen sind die beliebten Themenparks - nach 116 Tagen Corona-Pause - wieder geöffnet. Doch sie sind nicht die einzige Attraktion in Orlando. Für Magie sorgen auch die Stars der Basketball-Profi-Liga NBA. Allerdings sind LeBron James, Giannis Antetokounmpo oder auch der deutsche Nationalspieler Dennis Schröder nicht so nahbar wie Donald Duck und Co. Im Gegenteil. Die Basketballer haben in Disney World ihre eigene, abgeschottete Welt. Und in der wollen sie ab heute zaubern.
Keine Fans, kleine Halle, ungewohnte Akustik
Mit 22 Teams setzt die NBA am Freitag ihre am 11. März unterbrochene Saison fort. Vier Monate Pause, einige Wochen Training, ein paar Testspiele. Alle bereit? Es ist sicherlich nicht übertrieben, dass vielen Fans die Qualität erstmal nicht so wichtig sein wird. Sie wollen schlichtweg wieder Live-Sport sehen. Nichts aus der Konserve. Nicht aus dem Archiv. Davon gab es schließlich seit Mitte März genug.
Jetzt geht es um Aktuelles, um besondere Umstände. Keine Fans, kleinere Halle, ungewohnte Akustik, Abstandsregeln auf der Bank. Alles ist anders. Doch was ist 2020 schon normal? "Du musst einfach im Stande sein, dich anzupassen. Und wir wissen, dass unsere Fans sich trotzdem freuen, uns spielen zu sehen", sagt Superstar LeBron James von den Los Angeles Lakers.
Wagemut oder Wahnsinn?
Spätestens am 13. Oktober soll der Meister ermittelt sein. Ein Vorhaben, das etwas von Wagemut hat - aber auch von Wahnsinn. Denn Florida ist seit Wochen das Epizentrum der Coronavirus-Pandemie. Nirgends in den USA gibt es so viele Neu-Infektionen wie im Sunshine State. Der Tagesrekord, aufgestellt am 12. Juli, liegt bei 15.300 Fällen. Erst am Mittwoch waren in Florida 216 Menschen an COVID-19 verstorben - so viele wie noch nie. "Zeit und Ort könnten viel schlimmer nicht sein", urteilt die Zeitung "USA Today" kritisch über die NBA-Pläne.
Allerdings ist die Basketball-Blase nicht mit dem Alltag der Floridians vergleichbar. Spieler und Trainer sind in drei Hotelkomplexen abgeriegelt, werden täglich getestet. So sieht es das 113 Seiten umfassende Hygienekonzept der Liga vor. Selbst die wenigen zugelassenen Journalisten oder die Busfahrer, die Mannschaften und Medien von den Hotels in die Hallen bringen, werden täglich auf das Virus kontrolliert. Die NBA habe wohl "einen der sichersten Plätze der Welt geschaffen, damit ihre Spieler ihren Job fortsetzen" könnten, meint die Zeitung "Boston Globe".
Florida-Festung kostet 180 Mio Dollar
Rund 180 Millionen Dollar lässt sich die Liga ihre Florida-Festung kosten. Bislang scheint das Geld gut angelegt. Seit dem 13. Juli gab es keinen positiven Fall mehr. Doc Rivers, Trainer der Los Angeles Clippers, führte dies auf die strikten Test-Protokolle, die Maskenpflicht und die stete Überprüfung der Profis auf Symptome zurück. Und er nutzte die saubere Bilanz für einen eindeutigen Wink nach Washington. "Vielleicht sollten wir unseren Plan ins Weiße Haus schicken."
Gemeint ist natürlich Donald Trump. Der US-Präsident hat den Kampf gegen COVID-19 nie richtig ernst genommen, sondern sich lieber auf seine angestrebte Wiederwahl im November konzentriert. Die Folge: Während in Europa seit Mitte Mai wieder Fußball gespielt wird, erleben die USA täglich zwischen 60.000 und 70.000 neue Corona-Fälle.
Wichtigste Botschaft: Black Lives Matter
Trump wird in den kommenden Tagen noch mehr aus der NBA-Blase in Orlando hören und sehen, was ihm nicht gefallen dürfte. Beim Comeback der stärksten Basketball-Liga der Welt nach 141 Tagen Pause geht es nicht nur um sportliche, sondern vielmehr auch um deutliche, laute und gemeinsame soziale Botschaften. Die Wichtigste: Black Lives Matter. Die Menschen in den USA sind im Frühjahr 2020 aufgewacht. Sie gehen auf die Straße, protestieren, diskutieren. Der qualvolle Tod des Afro-Amerikaners George Floyd durch das Knie eines erbarmungslosen weißen Polizisten am 25. Mai in Minneapolis hat das Land erschüttert, wachgerüttelt, sensibilisiert und mobilisiert.
Auch die NBA macht mit. Sie marschiert, geht sogar voran. Kein Wunder, 80 Prozent der Spieler sind Schwarze. Black Lives Matter stand auf den Scheiben der beiden Busse als Meister Toronto Raptors am 9. Juli in Orlando ankam. Black Lives Matter ist auf den T-Shirts vieler Profis zu lesen - und auch auf den drei Hallenböden, die ab heute die Bühne der Basketballer bilden. Und Black Lives Matter wird auch eine von 29 Botschaften sein, aus denen die Spieler auswählen und die sie während der Partien anstelle ihrer Nachnamen auf den Trikots tragen dürfen.
Stars nutzen ihre soziale Reichweite
Allerdings sei Black Lives Matter "keine Bewegung" betont LeBron James. "Wenn du schwarz bist, dann ist das dein Lebensstil, deine soziale Schicht", so der 35-Jährige. "Wenn andere einen Schritt gehen, müssen wir fünf Schritte machen, um ans gleiche Ziel zu kommen", erklärte er in einer Medienrunde. Aber das sei den Schwarzen bewusst, mache sie stark, leistungsfähig und vereine sie. Aber eine Bewegung? "Nein", sagt James. "Denn leider hat es für uns in Amerika, in dieser Gesellschaft, diese verfluchte Bewegung nicht gegeben."
Diese Sehnsucht nach Gleichberechtigung ist in Orlando vereinsübergreifend zu spüren. Die NBA-Profis wissen um ihre sportlichen Qualitäten, aber sie kennen auch die Platform, die Basketball ihnen bietet. LeBron James beispielsweise folgen auf Instagram 69 Millionen Menschen. Und wenn der Lakers-Star Sätze sagt, wie: "Die gleiche Energie, die wir auf dem Basketball-Parkett haben, haben wir im Kampf um Gerechtigkeit für Breonna Taylor", dann erzielt er damit eine globale Reichweite.
"Gerechtigkeit für Breonna Taylor"
Die 26-jährige Taylor wurde am 13. März in ihrem Apartment in Louisville/Kentucky von drei Polizisten erschossen. Die Beamten waren auf der Suche nach Drogen und hatten, ohne zu klopfen, die Wohnung gestürmt. Taylor's Freund hielt die Aktion für einen Überfall und schoss. Im anschließenden Kugelhagel wurde Taylor achtmal getroffen und starb. Wie sich herausstellte, war die eigentlich gesuchte Person rund 15 Kilometer entfernt - und wurde bereits von der Polizei observiert.
So stark, wie sich Millionen von Menschen weltweit für Gerechtigkeit im Fall von George Floyd einsetzen, fordern die NBA-Profis dies für Breonna Taylor ein. "Wir wollen, dass die Polizisten verhaftet werden, die diese Straftat begangen haben", so James. In verschiedenen "Zoom-Calls" machten Spieler in den vergangenen Tagen immer wieder auf Taylor's Schicksal aufmerksam. Marcus Smart von den Boston Celtics beantwortete jede Frage der Medien gar mit der gleichen Antwort: "Gerechtigkeit für Breonna Taylor." Basketball, hebt CJ McCollum von den Portland Trail Blazers hervor, sei zwar der Beruf der Spieler. Aber es sei eben auch ihr Job, "die Leute zu beschützen, die so aussehen wie wir und die aus den gleichen Gegenden kommen wie wir. Die aber eben nicht die Stimme haben wie wir."
Trump verunglimpft Black Lives Matter
Wenn die Utah Jazz und die New Orleans Pelicans heute Nacht den NBA-Neustart beginnen, werden Spieler und Trainer beider Teams bei der Nationalhymne niederknien. Vereint in der Mitte, rund um die Black-Lives-Matter-Aufschrift.
Millionen von Fans werden dies vor den TV-Geräten verfolgen. Eine Umfrage des Fernsehsenders ESPN hat ergeben, dass 78 Prozent der 1003 Befragten für eine Fortsetzung des Spielbetriebs sind - obwohl Zuschauer in keiner Liga Zutritt zur Spielstätte haben. 59 Prozent betonten, "es gar nicht abwarten zu können" und "so viel Sport wie möglich im Fernsehen" schauen zu wollen. Donald Trump wird wohl nicht einschalten. Er hatte Black Lives Matter in einem Tweet am 1. Juli als "Symbol des Hasses" bezeichnet.