Europas Grenzkontrollen 2.0
9. April 2013Ein Raum des freien Personen- und Warenverkehrs ohne Kontrollen an den Binnengrenzen - erreicht wurde dieses Ziel durch das Schengen-Abkommen, das seit 1995 in Kraft ist. Zum Schengen-Raum gehören alle EU-Mitgliedsstaaten, nicht jedoch das Vereinte Königreich, Irland, Zypern, Rumänien und Bulgarien, dafür aber Liechtenstein, Island, Norwegen und die Schweiz. Innerhalb dieses Raumes können sich Bürger frei bewegen, bei der Einreise in das Schengen-Gebiet finden jedoch noch Personenkontrollen statt. Um die Sicherheit gewährleisten zu können, haben die Mitgliedsstaaten Mitte der Neunzigerjahre eine gemeinsame Fahndungsdatenbank, das sogenannte "Schengener Informationssystem" (kurz SIS), ins Leben gerufen. Nun wurde dieses System reformiert - schneller und einfacher sollen künftig Informationen zwischen den Behörden ausgetauscht werden.
Grenzüberschreitender Datenaustausch seit 1995
Diese gemeinsame Datenbank erfasste in der ersten Generation zunächst Daten über Personen, die gesucht, vermisst oder überwacht wurden. Durch die EU-Erweiterung im Jahr 2004 wurde dieses System mit den neuen Beitrittsländern ausgeweitet. Zudem werden seitdem biometrische Merkmale, Fingerabdrücke und Fotos gespeichert und miteinander verknüpft. So ist es nun europäischen Zoll-, Grenz, Polizei- und Justizbehörden möglich, nicht nur nach vermissten oder straffälligen Personen, sondern auch nach Sachgegenständen, wie etwa nach Autos und Waffen, zu fahnden. "Es ist wichtig, dass sich die Mitgliedsstaaten untereinander enger austauschen und in der Kriminalitätsbekämpfung gemeinsame Wege gehen - als Ausgleich für die entfallenen Binnengrenzen", sagt Markus Beyer-Pollok, Sprecher des Bundesministeriums des Inneren.
Kein einheitlicher Datenschutz
Dass Daten ausgetauscht werden, ist nichts Neues. "Allerdings wird mit dem Übergang zu dieser zweiten Version des Schengener Informationssystems eine Zentralisierung der Datenhaltung vorgenommen", sagt der Bundesbeauftragte für den Datenschutz und Informationsfreiheit Peter Schaar im DW-Interview. Umso wichtiger sei es, "dass wir in Europa ein einheitliches hohes Datenschutzniveau für den Bereich von polizeilicher Datenverarbeitung haben", sagt Schaar. Helfen sollen da die nationalen sowie die europäische Datenschutzbehörde, um die Zulässigkeit der Datenspeicherung bei SIS II zu überprüfen.
"Deutschland hat, wie auch andere Mitgliedsstaaten, bei den Verhandlungen über die Erweiterung zum SIS II immer darauf geachtet, dass unser hohes Datenschutzniveau bei den europäischen Regelungen durchgesetzt wird", versichert Ministeriumssprecher Beyer. Peter Schaar hingegen betont, dass es wichtig sei, europaweit einheitlich festzulegen, für welche Zwecke welche Daten gespeichert werden und wer auf diese Daten zugreifen kann. "Wir stellen fest, dass es eine intensive Bemühung der Kommission gibt, zusätzliche Befugnisse zu schaffen, die dann europäischen Institutionen eine direkte Einwirkung ermöglichen."
Eine solche Machtkonzentration sei nicht im Sinne des Datenschutzes, beanstandet Schaar, der als Datenschutzbeauftragter bei der Ausarbeitung der Rechtsgrundlagen zum Schengener Informationssystem beteiligt ist. Er kritisiert, dass es sich bei dem Schengener Informationssystem der zweiten Generation um eine Fahndungsdatenbank handele, doch könne dies auch an andere, gerade neu entstehende Register gekoppelt werden. Beispielsweise würden in einem europäischen Einreise- und Ausreiseregister alle Reisenden über die Schengen-Außengrenzen entsprechend erfasst. Zusätzlich sei ein Visa-Informationssystem im Aufbau begriffen. Außerdem hätte die Europäische Kommission dem europäischen Polizeiamt EUROPOL Zugriff auf SIS II eingeräumt. "Es entwickelt sich eine Situation, in der nicht nur Informationen über Verdächtige oder von Straftaten betroffene EU-Bürger gespeichert würden, sondern alltägliches Verhalten", kritisiert Schaar.
Sieben Jahre verspätet, zehnmal so teuer
Es war eine schwere Geburt: Seit 2002 wird am Schengen-Informationssystem II entwickelt und programmiert. 2006 sollte es erst an den Start gehen - dazu kam es aber nicht. Immer wieder bestand die Datenbank nicht die notwendigen technischen Tests. Die bisher anfallenden Kosten sollen sich laut Angaben der Europäischen Kommission auf etwa 160 Millionen Euro belaufen. Ursprünglich waren für die gesamte Entwicklung 20 Millionen Dollar geplant.
Das SIS II gliedert sich in einen Zentralrechner in Straßburg (C-SIS) und in zurzeit 25 Systeme in jedem Schengen-Mitgliedsland (N-SIS). Bei Fahndungseinleitungen nationaler Polizeibehörden werden Daten von dem N-SIS an das C-SIS übermittelt, so dass sie bereits Minuten nach der Dateneingabe gleichzeitig allen Vertragspartnern zur Verfügung stehen. An allen Grenzstationen sind Eil- und Alarmmeldungen binnen kürzester Zeit abrufbar. SIS II soll der nächste Schritt der Europäischen Union sein, den Raum der Freiheit und Sicherheit zu schützen.