Neustart erforderlich für Afrika und Europa
8. Juni 2021Eine Partnerschaft auf Augenhöhe: So lautet das erklärte Ziel europäischer und afrikanischer Politiker für das "Post-Corona". Die Pandemie habe Afrika und Europa hart getroffen - aber eine Krise biete auch Chancen, schreiben die Veranstalter des ersten "Africa Roundtable" an diesem Mittwoch (9. Juni) in Berlin in ihrer Ankündigung. Das Forum wird von der "Global Perspectives Initiative" (GPI) organisiert. Geladen sind Entscheidungsträger aus Politik, Wirtschaft und Gesellschaft. In einem "konstruktiven Dialog" soll es darum gehen, welche Reformpakete jetzt gemeinsam zu schnüren sind, um eine widerstandsfähige und nachhaltige Wirtschaft aufzubauen.
"Afrika ist im Kommen"
"Der Nachbarkontinent bietet Chancen in jeder Hinsicht und muss ganz oben auf der Agenda der Europäischen Union stehen", sagt Ingrid Hamm, Mitbegründerin der GPI, die sich für mehr nationale Verantwortung Deutschlands in der internationalen Entwicklungszusammenarbeit stark macht. "Afrika ist im Kommen. Wir werden sehr bald schon Afrika so sehen wie Asien vor 30 Jahren", so die GPI-Geschäftsführerin, die eine Aufbruchstimmung auf beiden Seiten attestiert. Europa wolle einen "Green Deal" und Afrika eine "Green Transition" - diese Ziele sollten im Wiederaufbau der Beziehungen verknüpft werden.
Dabei liege der Fokus auf Eigenständigkeit und afrikanischen Lösungen, sagte Hamm. Dafür steht auch Senegals Präsident Macky Sall, der die virtuelle Gesprächsrunde gemeinsam mit Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und der Generaldirektorin der Welthandelsorganisation (WTO) Ngozi Okonjo-Iweala eröffnen wird. "Europa braucht Afrika und umgekehrt. Wir müssen als Partner zusammenarbeiten, im gegenseitigen Respekt", sagte Sall schon vor Beginn der COVID-19-Krise dem deutschen Fernsehsender ntv. "Wir bitten nicht um Hilfe, das wird der Entwicklung Afrikas nicht helfen. Wir wissen, was wir tun müssen: Wir wollen Zugang zu den Finanzmärkten haben, unter vernünftigen Bedingungen." Unterstützung beim Aufbau von Industrie, für neue Bahnlinien, ein zuverlässiges Stromnetz: Forderungen, die auch in der Pandemie zahlreiche Unterstützer haben.
Für eine Globalisierung 2.0
WTO-Chefin Okonjo-Iweala fordert eine Belebung der Freihandelszone, eine Globalisierung 2.0. Darin sollen die afrikanischen Märkte stärker eingebaut werden, verbunden mit dauerhaften Wertschöpfungsmöglichkeiten. Auch Roundtable-Teilnehmer Mo Ibrahim, sudanesischer Mobilfunkbetreiber und Gründer der gleichnamigen Stiftung, sprach sich kürzlich für innovativere Modelle für Wirtschaftswachstum und Arbeitsplatzbeschaffung im Wiederaufbau nach der Pandemie aus, Frieden und Sicherheit seien dabei ausschlaggebend.
Ibrahim gab sich aber auch optimistisch mit Blick auf Emmanuel Macrons Ankündigung im Mai, dass wohlhabendere Länder mit Milliardenhilfen die afrikanische Wirtschaft ankurbeln wollten. Frankreichs Präsident forderte außerdem die Aufhebung von Patenten auf Impfstoffe gegen COVID-19, um die Produktion von Impfstoffen in Afrika zu ermöglichen. Gerade erst hat sein Land dem Sudan sämtliche Schulden erlassen.
Für den Afrika-Experten Robert Kappel von der Universität Leipzig setzt Macrons Programm jedoch nur eine neue Verschuldungslawine in Gang: "Dieser Plan ist sehr problematisch, weil er wieder auf die alten Rezepte setzt: Makroökonomische Liberalisierung, Privatisierung, mehr Engagement im Schuldenmanagement." Das reiche aber nicht aus, um die gravierenden Probleme Afrikas zu beseitigen, so der Wirtschaftswissenschaftler im DW-Interview: "Damit kann die Klimakrise nicht gelöst werden, die Beschäftigungskrise ist extrem. Jährlich suchen 20 Millionen Menschen Arbeitsplätze auf dem Kontinent, aber nur fünf Prozent können einen Job bekommen." Kappel sieht einen Bedarf bei der Entwicklung von kleinen und mittelständischen Unternehmen, auch von Pharmabetrieben: "Da ist eine Leerstelle."
Weichen für Neuanfang (noch) nicht gestellt
Die ungleichen Handels- und Wirtschaftsbeziehungen treiben immer noch viele Menschen in die Migration - und befeuern die politischen und bewaffneten Konflikte. Die EU müsse feststellen, dass sie nicht in der Lage war, den Terrorismus in den Sahelstaaten wirksam zu bekämpfen, sagt Kappel. Damit fehle ein entscheidender Baustein für eine Neuorientierung. Die EU habe keinen vernünftigen Plan, um zu einem "Reset" dieser Staaten zu kommen.
Aus Kappels Sicht ist Afrika ist schon länger nicht auf der Agenda der EU: "Sie hat es versäumt, Impulse zu geben. Die EU arbeitet mit alten Konzepten weiter daran, die postkolonialen Beziehungen zu erhalten, ohne neuen Schwung in die Diskussion zu bringen." Bisher sei die Union mehr mit der Betrachtung ihrer eigenen Probleme beschäftigt: "Europa muss neu starten, daran führt kein Weg vorbei." Die Hoffnungen liegen jetzt auf dem verschobenen EU-Afrika-Gipfel, der im Herbst stattfinden soll. Der "Africa Roundtable" könnte hierfür Impulse liefern.