Neuseeland: Wechselstimmung trotz Wirtschaftswunder
16. September 2005Wirtschaftswachstum seit sechs Jahren, eine Arbeitslosenquote von nur 3,5 Prozent, beste Prognosen im jüngsten OECD-Bericht - allein, es nützt der neuseeländischen Regierung nur wenig. Denn ob die regierende Arbeiterpartei die Wahlen am Samstag (17.9.2005) gewinnen kann, ist zweifelhaft: Einer am Dienstag veröffentlichten Umfrage zufolge liegt die oppositionelle Nationalpartei mit 41 Prozent der Stimmen vor der Arbeiterpartei von Ministerpräsidentin Helen Clark, der nur 39 Prozent der Befragten ihre Stimme geben würden.
Wachstum zu einem hohen Preis
Doch die guten ökonomischen Daten zeigen nur einen Teil der Realität. "Neuseeland hat Wachstum zu einem hohen Preis erfahren", erklärt Heribert Dieter von der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin. Zwar hätten die Reformen der achtziger Jahre, in denen unter anderem die Außenwirtschaft und der öffentliche Sektor liberalisiert wurden, Früchte getragen.
So verweist die OECD-Studie darauf, dass die Wirtschaft reibungslos funktioniere und gut in den Weltmarkt integriert sei, obgleich das Land mit seiner geographischen Isolation und seinem kleinen Binnenmarkt von nur vier Millionen Menschen benachteiligt sei. Eine Studie der Weltbank, die am Dienstag veröffentlicht wurde, kürte Neuseeland zum unternehmerfreundlichsten Staat der Welt. "Aber trotz der niedrigen Arbeitslosigkeit gibt es gravierende soziale Spannungen", sagt Dieter. Während die Städte boomten, habe es der ländliche Raum zunehmend schwer. Ein weiteres Problem seien die geringen Löhne.
Abwanderung als Wahlkampfthema
Die dadurch verursachte Abwanderung sei zu einem der wichtigsten Wahlkampfthemen geworden, erklärt Dan Zirker, Politologe an der Universität Waikato in Hamilton. Allein im vergangen Jahr verließen 20.000 Bürger das kleine Land; viele siedeln in das etwas kosmopolitischere Australien um, wo sie im Schnitt 30 Prozent mehr verdienen. Insbesondere die gut Ausgebildeten gehen: Während rund 14 Prozent der Gesamtbevölkerung im Ausland leben, sind es bei den Akademikern 25 Prozent. Der Spitzenkandidat der Nationalpartei, Don Brash, fordert daher umfassende Steuererleichterungen. Ministerpräsident Clarke reagierte mit der Ankündigung, Studenten, die im Land bleiben, die Zinsen für Studien-Darlehen zu erlassen.
Dass die regierende Arbeiterpartei die Wahl verlieren könnte, habe auch einen ganz einfachen Grund, meint der Politologe Zirker: "Neuseeländer lieben den Wechsel. Es ist hier sehr ungewöhnlich, dass eine Partei drei Wahlen in Folge gewinnt." Für Labour wäre es sogar das erste Mal in der Geschichte. Angesichts des möglicherweise knappen Ergebnisses könne sich "New Zealand First" als Königsmacher erweisen, erklärt Zirker. Denn falls die Grünen die Fünf-Prozent-Hürde nicht überspringen, käme es allein auf die rechtspopulistische Partei an - wie die Grünen liegt "New Zealand First" in Umfragen bei sechs Prozent. Deren charismatischer Führer Winston Peters schlägt unter anderem vor, eine "Sondereinsatzgruppe patriotischer Neuseeländer" aufzubauen, welche die Arbeit der Einwanderungsbehörde überwachen und illegale Immigranten aufspüren sollen.
Ethnische Karte
Auch der konservative Kandidat Brash hat keine Scheu, die ethnische Karte zu spielen: Der frühere Notenbankchef attackiert die Regierung dafür, dass die Ureinwohner Neuseelands besondere Unterstützung in den Bereichen Gesundheit, Bildung und Entwicklung erhalten. Diese "rassenbasierte Finanzierung" der Maori, die rund 15 Prozent der Bevölkerung ausmachen, müsse abgeschafft werden, fordert Brash. Von dem rechten Populisten Peters distanzierte sich Brash jedoch: Er sei gegen "Gestapo-ähnliche Gruppen von patriotischen Neuseeländern".
Allerdings schließen weder Brash noch die Ministerpräsidentin Clark eine Koalition mit New Zealand First aus. Einfluss auf die Arbeiterpartei hat Peters schon jetzt: Nachdem er mit seiner Forderung nach Bürgerwehren an die Öffentlichkeit gegangen war, kündigte die Regierung an, Fahnder zur Aufdeckung von Missbräuchen des Einwanderungsrechts einzusetzen.