Neuseeland - es wird eng im Naturparadies
22. Februar 2017Für 2016 vermeldet die neuseeländische Tourismusbehörde einen Besucherrekord: 3,5 Millionen Besucher und damit einen Zuwachs von 16,2 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Prognosen sagen für den Tourismussektor ein Wachstum von jährlich 5,4 Prozent voraus. Und im Jahr 2022 soll die 4,5 Millionen Marke geknackt werden - dann würden genauso viele Menschen in Neuseeland Urlaub machen wie Menschen dort leben.
Der Erfolg hat seinen Preis
Die Landschaft, das moderate Klima und die freundlichen englischsprachigen Bewohner - diese Kombination kommt bei Touristen gut an. Zu gut, finden viele Neuseeländer. Vor kurzem wurden sie gefragt, wie sie die Tourismusindustrie in ihrem Land einschätzen. Jeder fünfte war der Meinung, auf ihrem Inselstaat tummelten sich zu viele Touristen. Am meisten beklagten sich die Einheimischen über den enormen Anstieg von Autounfällen. Danach folgten die Angst vor drohender Überfüllung, die Kritik an einer fehlenden Infrastruktur und die Sorge um die negativen Auswirkungen auf die Umwelt. Von ihrer Regierung wünschten sich die Inselbewohner endlich ein nachhaltiges Tourismus-Konzept, das die Besucherströme lenkt.
Von der Fläche ist Neuseeland etwa drei Viertel so groß wie Deutschland. Es hat aber nur einen Bruchteil an Einwohnern, nämlich nur 4,5 Millionen gegenüber über 80 Millionen. Drangvolle Enge haben Neuseeländer nicht gerade in ihrem Erfahrungsschatz. Nun erlebt das outdoor-verrückte Volk ausgebuchte Unterkünfte, überfüllte Wanderwege und empört sich, dass man sogar mitten in den Naturschutzgebieten auf die Hinterlassenschaften von respektlosen Campern trifft - deren Müll und Exkremente. "Die Auswirkungen des Tourismus sind unübersehbar. Straßen, Parkplätze, Campingplätze, Naturparks und Zugangswege - alles leidet unter den Besuchermassen", warnt der Federated Mountain Club (FMC), ein Dachverband von 80 Wandervereinen.
Zum Traum vom perfekten Naturerlebnis gehört es für viele Besucher, mit einem Wohnmobil oder Pkw in Neuseeland unterwegs zu sein. Einfach dort parken und übernachten, wo man es am Schönsten findet - ein Traum für die 60.000 Camper, die jährlich auf diese Weise das Land entdecken. Ein Alptraum für die Einheimischen.
Überfüllte Wanderwege
Die Tourismusbehörde vermarktet mit ihrer Werbekampagne "100% Pure New Zealand" die authentische Natur des Inselstaats und lockt Besucher auf die weit verzweigten Wanderwege. Die meisten Gäste kommen aus dem benachbarten Australien, gefolgt von China, den USA, Großbritannien und Deutschland. Besonders bemerkbar macht sich der Ansturm auf die sogenannten "Great Walks".
Deren Zugang ist meist kostenlos und die Benutzerzahl nicht limitiert. Die mehrtägigen Wanderrouten führen durch spektakuläre Landschaften entlang der Küste, über die neuseeländischen Alpen oder durch Regenwälder. Wanderer übernachten rustikal in Hütten oder auf Campingplätzen. In der Saison 2015/2016 waren auf den "Great Walks" 120.000 Menschen unterwegs, 12 Prozent mehr als in der Saison davor. Es wird also eng im Naturparadies.
Wer soll das bezahlen?
Stark frequentiert sind jene "Great Walks", für die Besucher im Voraus buchen müssen. Das gilt zum Beispiel für den Milford Track, der durch das Fjordland führt. Um die Natur zu schützen, ist dort nur eine limitierte Anzahl von Wanderern erlaubt. Die Wanderhütten sind deshalb bereits Monate im Voraus ausgebucht, selbst auf Campingplätzen gibt es kaum noch Platz.
Verwaltet und unterhalten werden die neun Wanderrouten der "Great Walks" in Neuseeland von der Naturschutzbehörde "Department of Conversation" (DOC). Zu deren Aufgaben gehört die Kontrolle und Instandhaltung der Wege, Brücken, Hütten und Campingplätze sowie die Abfallbeseitigung. Die Einheimischen sind sauer, dass sie als Steuerzahler die Kosten dafür überwiegend alleine tragen. Und diese Kosten steigen jährlich mit der Zahl der Besucher.
Dringend gesucht: ein Tourismus-Konzept
Einem Bericht der Unternehmensberatung McKinsey im Auftrag der Tourismusindustrie zufolge deckt das DOC durchschnittlich nur fünf Prozent seiner Kosten über Einnahmen von Gästen. Zum Vergleich - in den Nationalparks von Australien, USA und Kanada sind es 20 Prozent. Die Untersuchung beleuchtet auch alternative Möglichkeiten der Finanzierung: Von Eintrittsgebühren für die "Great Walks", einer DOC-Gebühr für Touristen, Parkgebühren für Nationalparks und Aussichtspunkte bis hin zur Privatisierung der "Great Walks".
"DOC prüft diese Optionen mit allen Beteiligten. Wir haben noch keine Entscheidung getroffen, aber eine Reihe von Möglichkeiten sind in der engeren Wahl, darunter unterschiedliche Gebühren für Einheimische und internationale Gäste", äußert sich die neuseeländische Tourismus-Ministerin Paula Bennett.
Peter Wilson, Präsident des FMC (Federated Mountain Club) ist kein Befürworter der Einführung von Eintrittsgeldern. "Der freie und kostenlose Zugang zu den "Great Walks" ist in unserem Gesetz verankert - das ist Teil unserer Kultur", betont er und erklärt, "was wir brauchen, ist eine bessere finanzielle Ausstattung des DOC (Department of Conversation), damit es eine Infrastruktur aufbauen kann, die sowohl für Touristen als auch Einheimische funktioniert - und vor allem anderen für unsere Natur."
Anne Termeche (mit dpa, ONT, afp)