Wanderwege statt Trampelpfade
11. März 2009Nördlich von Aleppo, nahe der Grenze zur Türkei, liegt das Gebiet der Toten Städte. Eine trockene, karge Landschaft, in der sich Ruinen vergangener Kulturen befinden – Zeugen einer Zeit, in der die Gegend dicht besiedelt und hoch entwickelt war. Vor etwa 1500 Jahren wurden die Städte verlassen, aus welchem Grund ist Wissenschaftlern bis heute ein Rätsel. Seitdem gibt es dort nur einzelne kleine Siedlungen, in denen die Menschen in Armut und unter schwierigen Bedingungen leben. Die Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (DEZA) im Schweizer Außenministerium fördert das Gebiet der Toten Städte mit einem Projekt: An den Ruinen führen Wanderwege jetzt entlang, die Touristen anlocken und der einheimischen Bevölkerung etwas Einkommen bringen sollen.
Einfache Gastlichkeit für Öko-Touristen
Drei Routen sind entstanden, indem Jahrhunderte alte Pfade wiederentdeckt und freigeräumt wurden. Dabei hätten die älteren Bewohner der Gegend geholfen, erklärt Naji Hamoud Saleh, der syrische Vorarbeiter. „Es gibt hier Leute, die um die 100 Jahre alt sind. Sie haben uns gezeigt, wo die Wege entlangführten", erzählt Saleh. An felsigen und gebirgigen Stellen brauchten die Arbeiter teilweise schweres Gerät, ansonsten hätten sie die Steine mit bloßen Händen weggetragen, sagt der 44jährige. Körperliche Schwerstarbeit, an die die Menschen der Region gewöhnt sind. Denn wer hier Getreide oder Olivenbäume anpflanzen will, muss den Boden zunächst von Geröll befreien. Der aus Südsyrien stammende Saleh wohnte während der Bauarbeiten bei einer zehnköpfigen kurdischen Familie in Kafr Nabo, einer kleinen Siedlung 30 Kilometer nordwestlich von Aleppo. Er lobt die Gastfreundschaft und Bescheidenheit der Einheimischen, mit denen er gut zusammengearbeitet habe. Viele Männer der Region konnten sich bei der Anlage der Wanderwege etwas Geld dazuverdienen. Elisabeth Diethelm, die zuständige Projektleiterin der DEZA, möchte die Menschen vor Ort auch zukünftig an den Wanderwegen beteiligen. So wie die kurdische Familie monatelang Vorarbeiter Naji beherbergt hat, könnte sie sich in Zukunft um Touristen kümmern, meint die Schweizerin. In einer Studie wird derzeit ermittelt, wie die lokale Bevölkerung langfristig von dem Projekt profitieren könnte – indem sie zum Beispiel Transport, Verpflegung und Unterkunft der Besucher organisiert.
Von der Diplomaten-Idee zum Entwicklungsprojekt
Mit einem Schmunzeln erinnert sich Diethelm an die Anfänge des Projekts. „Unser früherer Botschafter in Damaskus war ein leidenschaftlicher Wanderer", erzählt die 55jährige. Er sei oft privat in diese Gegend gekommen und querfeldein herumgewandert und habe dann angeregt, Wege anzulegen. „Ein typisch Schweizerischer Gedanke", lacht Diethelm. Die Entwicklungsexpertin setzte die Idee in die Tat um – in enger Zusammenarbeit mit den syrischen Behörden und der libanesischen Umweltorganisation MORES. Minister und Gouverneure, Bauern und Hirten mussten erst für das Projekt gewonnen werden. Insgesamt 152.000 US-Dollar hat die Schweizer Regierung bis jetzt investiert.
Faszination auf den zweiten Blick
Auch sie selbst sei anfangs skeptisch gewesen, erinnert sich die Schweizerin, denn die Gegend habe ihr beim ersten Besuch gar nicht gefallen. „Ich fand es furchtbar, diese Trockenheit, die vielen Steine und kein Baum weit und breit", sagt sie entschuldigend. Doch je länger man die Region kenne desto schöner finde man sie. „Man sieht dann den weiten Horizont und die Details, die zunächst nicht so ins Auge springen", so Diethelm. Vor allem die Ruinen, an denen die Wanderwege vorbeiführen. Byzantinische Kirchen, römische Gräber, griechische Schriftzeichen, Zisternen, Villen und Kellergewölbe stehen wie zufällig in der Landschaft, nicht selten grasen Ziegen und Schafe daneben. Von vielen Gebäuden müsse man erraten, was es sein könnte, sagt die DEZA-Vertreterin. Und genau das findet sie spannend. „Es ist der eigenen Fantasie überlassen, sich vorzustellen, wozu ein Bauwerk gedient hat und wie die Leute damals gelebt haben", so Diethelm.
Nichts für Sonntagsspaziergänger
Wanderer sollten ein bißchen Erfahrung und Kondition mitbringen, rät die sportliche Schweizerin. Denn sie seien weitgehend auf sich selbst angewiesen. „Wenn etwas passiert, ist nicht in zehn Minuten der Krankenwagen hier", warnt sie. Sonntagsspaziergänger hält sie deshalb für zu ungeübt, aber „normal fitte Leute" könnten sich die Toten Städte problemlos auf den ausgeschilderten breiten Trampelpfaden erwandern, sagt Diethelm.
Kristin Helberg (aa)