1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Neuer Raum für deutsch-türkische Annäherung?

Regina Mennig4. Februar 2014

Die Beziehungen zwischen Berlin und Ankara waren zuletzt beherrscht von Unstimmigkeiten. Beobachter sehen aber gerade angesichts der jüngsten Turbulenzen die Chance auf eine Wende.

https://p.dw.com/p/1B299
Die deutsche und die türkische Flagge wehen im Wind - Foto: Peter Steffen (dpa)
Bild: picture-alliance/dpa

Der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdoğan besucht die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel - kein ganz einfaches Treffen, denn in den Beziehungen der beiden Länder hat es in den vergangenen Monaten immer wieder vernehmbar geknirscht.

Kaum hatte die neue deutsche Bundesregierung Ende des vergangenen Jahres ihren Koalitionsvertrag besiegelt, wurde aus der Türkei Kritik laut: Sie entfachte sich an der geplanten Änderung zum Doppelpass für Deutsch-Türken. Als geradezu "menschenrechtswidrig" soll der türkische Vizeministerpräsident Bekir Bozdağ die Neuregelung bezeichnet haben.

Diese sieht vor, dass sich in Deutschland geborene Kinder von Migranten künftig nicht mehr mit 23 Jahren zwischen der deutschen und der Staatsbürgerschaft ihrer Eltern entscheiden müssen, sondern beide Nationalitäten behalten können. Das lasse, so bemängelte man von türkischer Seite, eine große Gruppe von Migranten außen vor: Wer erst im Erwachsenenalter nach Deutschland kommt und einen deutschen Pass haben möchte, muss seinen ausländischen Pass abgeben.

Eine Hand hält einen deutschen und einen türkischen Pass
Entfachte Kritik aus der Türkei: Die neue Doppelpass-RegelungBild: picture-alliance/dpa

Im vergangenen Sommer, nach der gewaltsamen Niederschlagung der Proteste im Gezi-Park, hatte es in den zwischenstaatlichen Beziehungen ein noch größeres Poltern gegeben: Kanzlerin Merkel kritisierte das Vorgehen gegen die Demonstranten als "viel zu hart". Der türkische Europaminister Egemen Bağıs bezeichnete dies als Instrumentalisierung für den deutschen Wahlkampf, was das Auswärtige Amt in Berlin wiederum mit der Einbestellung des türkischen Botschafters quittierte. Daraufhin wurde auch der deutsche Botschafter in Ankara vorgeladen. Sogar die Androhung, die EU-Beitrittsverhandlungen der Türkei auszusetzen, geisterte in dieser Zeit durch die politische Diskussion in Deutschland.

Neuer Schwung für die EU-Beitrittsverhandlungen?

Die Kritik an den innerstaatlichen Verhältnissen in der Türkei, verbunden mit der Debatte um den EU-Beitritt des Landes: Diesen Zusammenhang sieht der Türkei-Experte Yaşar Aydın von der deutschen Stiftung Wissenschaft und Politik als das größte Problem der deutsch-türkischen Beziehungen. "Das Vertrauen in die Rechtsstaatlichkeit in der Türkei ist beschädigt", sagt Aydın. Er verweist dabei auf jüngere Ereignisse im Korruptionsskandal in der türkischen Politik: Um unliebsame Ermittlungen abzuwehren, hat Erdoğans Regierung mehrere tausend Beamte zwangsversetzt, darunter vor allem Polizisten und Staatsanwälte. Auch die Folgen der Gezi-Proteste im Sommer 2013 säßen tief, so Aydın: "Damals kamen ja zwei Spitzenpolitiker der deutschen Grünen zu den Protesten, und das wurde von türkischer Seite als illegitime Einmischung in die inneren Angelegenheiten empfunden."

Kurz vor Erdoğans Besuch in Berlin machte eine Meldung die Runde, Äußerungen auf der Website eines türkischen Oppositionspolitikers seien gerichtlich zensiert worden. Außerdem debattiert das türkische Parlament über ein neues Internet-Gesetz, das Behörden das Recht zur Sperrung von Internet-Seiten einräumen soll - solche Nachrichten sind eine Bestätigung für die Skeptiker der EU-Beitrittsverhandlungen mit der Türkei. Doch gerade jetzt sei die Zeit reif für neuen Schwung in Richtung EU-Beitritt, meint der Politikwissenschaftler Aydın.

Wasserwerfer bei den Protesten um den Gezi-Park in der Türkei treffen eine Gruppe von Demonstranten (Foto: Reuters)
Sorgte für bilaterale Verstimmungen: Das Vorgehen bei den Protesten um den Gezi-ParkBild: Reuters

Konkret bezieht er sich darauf, die Verhandlungen über die beiden bisher blockierten Kapitel über Menschenrechte und Justiz zu eröffnen. "Ohne diese Verhandlungen hätten weder Brüssel noch Berlin die Möglichkeit, konstruktiv auf den Demokratisierungsprozess in der Türkei einzuwirken", so Aydın. Kurz vor den Gesprächen zwischen Merkel und Erdoğan deutete sich bereits eine Annäherung an: So sagte der deutsche Außenminister Frank-Walter Steinmeier bei einem Treffen mit seinem türkischen Amtskollegen Ahmet Davutoğlu in Berlin am Montag (03.02.2014), Deutschland wolle sich auf EU-Ebene für eine Eröffnung der entsprechenden Kapitel stark machen.

Vision von deutsch-türkischen Regierungskonsultationen

Kenan Kolat, der Vorsitzende der Türkischen Gemeinde in Deutschland, fordert noch eine weitere offizielle Plattform, auf der sich Deutschland und die Türkei näher kommen können - er nennt es "institutionalisierten Dialog", nach dem Vorbild der Regierungskonsultationen zwischen Deutschland und Frankreich. "Das Bundeskabinett und die türkische Regierung sollten in regelmäßigen Abständen gemeinsame Sitzungen veranstalten", so Kolat. Für ihn wäre das ein Forum, um offen gegenseitige Kritik zu üben - aber auch, um gemeinsame Strategien zu entwickeln, aktuell beispielweise in der Syrien-Politik. Die Türkei hat sich dafür ausgesprochen, militärisch gegen den syrischen Machthaber Assad vorzugehen, Deutschland ist für eine diplomatische Lösung.

Kenan Kolat, Vorsitzender der Türkischen Gemeinde in Deutschland (Foto: dpa)
Kenan Kolat, Vorsitzender der Türkischen Gemeinde in DeutschlandBild: picture-alliance/dpa

Nicht zuletzt böten regelmäßige Regierungsgespräche nach Ansicht von Kenan Kolat auch den Raum für besondere Themen, die beide Länder betreffen, etwa den deutschen Prozess gegen den rechtsradikalen Terror des NSU. "Will man das wieder unter den Teppich kehren oder sich ernsthaft damit beschäftigen?" das sei eine der großen Fragen, die sich in der Türkischen Gemeinde in Deutschland derzeit stellen. Fürs erste hofft Kenan Kolat, dass der türkische Ministerpräsident sie der deutschen Bundeskanzlerin stellt.