Brustimplantate: Neuer Prozess gegen TÜV
10. Oktober 2018Das oberste französische Gericht hob ein Urteil der Vorinstanz aus Aix-en-Provence auf. Diese hatte 2015 eine Haftung des deutschen Prüfunternehmens abgelehnt und eine Schmerzensgeld-Forderung von Frauen in Höhe von fast sechs Millionen Euro abgewiesen. Die Frage soll nun vor dem Pariser Berufungsgericht neu verhandelt werden, wie das Kassationsgericht bekanntgab.
Der TÜV Rheinland hatte zwischen 1997 und 2010 die Brustimplantate des französischen Herstellers Poly Implants Prothèses (PIP) mit dem europäischen CE-Qualitätssiegel versehen. Dann stellte sich heraus, dass der Produzent ein minderwertiges, nicht zugelassenes Gel für die Silikonkissen nutzte. Nach zahlreichen Beschwerden über gerissene und undichte Implantate sowie Entzündungen infolge der Billigkissen stoppten die französischen Behörden Herstellung und Vertrieb.
Kein Urteil in der Sache
Zahlreiche Frauen und einige Händler hatten den TÜV Rheinland auf Schadenersatz verklagt, weil sie ihm Schlamperei bei der Zertifizierung von PIP vorwerfen. Der TÜV betont, die Mängel seien für ihn nicht erkennbar gewesen und argumentierte, dass er selbst Opfer des Betrugs sei. Dies wurde in einem französischen Strafprozess gegen den PIP-Gründerauch anerkannt.
Das Kassationsgericht urteilte nicht in der Sache, sondern überprüfte, ob das Berufungsgericht von Aix-en-Provence das Recht korrekt angewandt hatte. Es beanstandete, dass das damalige Urteil nicht ausreichend auf bestimmte Vorwürfe der Kläger eingegangen war. Das Gericht argumentierte nun, der Überwachungsverein habe eine "Pflicht zur Wachsamkeit" und müsse die Produkte und die Unterlagen eines Herstellers eingehend untersuchen. Dies umfasse auch unangemeldete Besuche.
Opfer-Anwalt feiert Gerichtsentscheidung als "großen Sieg"
Der Opferverband PIPA erklärte, die Gerichtsentscheidung gebe "tausenden Opfern in der ganzen Welt die Hoffnung zurück". Der Geschädigten-Anwalt Olivier Aumaître sprach von einem "großen Sieg": Der Richterspruch ebne grundsätzlich den Weg für eine Entschädigung aller 400.000 Opfer weltweit. Die TÜV-Anwältin Cécile Derycke erklärte dagegen, der Überwachungsverein sei zuversichtlich, "dass die Gerichte weiterhin feststellen werden, dass die TÜV-Rheinland-Unternehmen im Bereich des PIP-Falls nicht haftbar sind".
Der PIP-Skandal war 2010 aufgeflogen: Schätzungen zufolge könnten die Silikonkissen weltweit bei Hunderttausenden Frauen eingesetzt worden sein. Behörden empfahlen Frauen damals, die reißanfälligen Implantate herausoperieren zu lassen - in Frankreich kamen dem mehr als 18.000 Betroffene nach.
TÜV drohen weitere Entschädigungsforderungen in Millionenhöhe
Die fehlerhaften Implantate wurden auch nach Deutschland geliefert. Der Bundesgerichtshof in Karlsruhe hatte im Juni 2017 entschieden, der TÜV könne nicht für die mangelhaften Silikonkissen haftbar gemacht werden.Er lehnte die Klage einer Frau ab, die 40.000 Euro Schmerzensgeld gefordert hatte. Zuvor hatte auch der Europäische Gerichtshof (EuGH) den TÜV in seiner Haltung bestärkt: Das Gericht entschied auf Vorlage des BGH, der TÜV sei nicht verpflichtet gewesen, PIP mit unangemeldeten Inspektionen zu überprüfen, weil ihm keine konkreten Hinweise auf Mängel der Implantate vorgelegen hätten.
In Frankreich drohen dem TÜV noch weitere Verfahren und Entschädigungsforderungen in Millionenhöhe. Das Handelsgericht im südfranzösischen Toulon hatte erst im vergangenen Jahr 20.000 Klägerinnen insgesamt rund 60 Millionen Euro zugesprochen. Dagegen hat der TÜV Berufung eingelegt. Der Geschädigten-Anwalt Aumaître bereitet nach eigenen Worten weitere Klagen vor. "Der TÜV ist eine Institution in Deutschland", sagte der Anwalt der Nachrichtenagentur AFP. "In den Augen der Nutzerinnen war die TÜV-Zertifizierung der Implantate die beste Qualitätsgarantie, die es gab."
ww/ehl (dpa, afp)