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Ansturm auf Lampedusa

Karl Hoffmann, z.Zt. Lampedusa20. Februar 2015

Nach Einstellung der Rettungsaktion Mare Nostrum und getrieben vom Krieg in Libyen sind mehr als 1000 Menschen auf der Insel gelandet. Doch die Bewohner fürchten noch Schlimmeres. Karl Hoffmann berichtet.

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Flüchtlinge auf dem Weg in die Fähre nach Sizilien (Foto: DW/Karl Hoffmann)
Bild: DW/K. Hoffmann

Vor ein paar Tagen ist Lampedusa heftig aus seinem Winterschlaf gerissen worden. Vor der kleinen Insel, mitten zwischen Europa und Afrika gelegen, tauchten mehr als zwei Dutzend Flüchtlingsboote auf. Seither sind täglich Militärmaschinen im Einsatz, um Hunderte von Menschen aufs Festland zu bringen, Lebende und Tote. Zum Auftakt der neuen Flüchtlingswelle musste die Küstenwacht 29 Leichen in den kleinen Hafen von Lampedusa bringen. Ein wahres Trauma für die Bewohner, sagt die Sozialarbeiterin Marta Bernardini: "Als die Toten letzte Woche hier ankamen, herrschte auf der Insel wieder einmal eine Atmosphäre stiller Trauer. So als fehlten den Inselbewohnern inzwischen die Worte für all das Leid."

Per Lufttransport brachte man die Toten weg, nach Sizilien. Gleich darauf kam der große Ansturm. Allein seit Anfang der Woche mussten 2700 Menschen von Schlauchbooten gerettet werden, gut die Hälfte wurde in Lampedusa an Land gebracht, weil es an geeigneten Rettungsschiffen fehlt. Seit die Seenotrettungsaktion "Mare Nostrum" Ende Oktober 2014 aus Kostengründen eingestellt wurde, sind nur noch wenige Marineeinheiten zum Schutz der Küstengewässer unter dem Namen "Triton" im Einsatz. Giusi Nicolini, die Bürgermeisterin von Lampedusa, hält die Aktion "Triton" für vollkommen sinnlos. "Man begreift gar nicht, vor wem sie uns eigentlich schützen soll. Das Drama im Mittelmeer, das wir nun schon fast 20 Jahren miterleben, ist rein humanitärer Natur. Menschen müssen gerettet werden. Triton, das ist rausgeschmissenes Geld."

Gedenken an die Toten (Foto: DW/Karl Hoffmann)
Gedenken an die Toten auf LampedusaBild: DW/K. Hoffmann

"Triton" treibt die Flüchtlinge wieder nach Lampedusa

"Mare Nostrum" war dabei ein Segen für die kleine italienische Insel. Die Marineoperation garantierte die Rettung von mehr als 100.000 Menschen auf hoher See, die vor allem nach Sizilien und auf das italienische Festland gebracht wurden. Lampedusa profitierte und erlebte nach vielen Jahren des ständigen Flüchtlingsdramas einen friedlichen Sommer und eine gute Touristensaison. Doch die von der europäischen Grenzagentur organisierte Aktion "Triton" kehrte die Ausgangslage wieder um. Denn "Triton" schützt nur die Küstengewässer. Nun sind die Flüchtlingsboote wieder gezwungen Lampedusa den Vorposten Europas Richtung Afrika anzulaufen.

Ein kleines Boot liegt im Hafen von Lampedusa (Foto: DW/Karl Hoffmann)
Das Idyll auf Lampedusa trügtBild: DW/K. Hoffmann

In Lampedusa macht sich Wut breit. Wut über die sinnlosen Toten, Wut über die Zustände im Flüchtlingslager, Wut über die Negativschlagzeilen, die den Ruf der Insel wieder einmal zu ruinieren drohen. Zur Angst vor einer neuen Invasion von Flüchtlingen und der immer näher rückenden Gefahr vor islamistischen Terroristen jenseits des schmalen Meeresgebietes, gesellt sich die Sorge um die wirtschaftliche Zukunft der 5000 Inselbewohner. Dabei sei das Bild, das von Lampedusa verbreitet werde, einfach falsch, sagt Paola la Rosa, Besitzerin einer Ferienpension. An den Toten Flüchtlingen seien die Bewohner ebenso wenig Schuld wie an den Zuständen im Flüchtlingslager, für die das Ministerium im fernen Rom verantwortlich ist. "Wieder einmal wird da ein Bild von Lampedusa verbreitet, das falsch ist und das schlimme Folgen für den Tourismus haben könnte."

2000 Dollar für einen Platz in Europa

Touristen gibt es zurzeit nicht auf Lampedusa, derzeit spazieren nur Jugendliche aus Afrika durch das kleine Städtchen. Tagsüber dürfen sie das völlig überfüllte Lager verlassen, dadurch vermeidet man Streit unter den allzu vielen Menschen. 800 Flüchtlinge leben aktuell im Lager, in dem eigentlich nur 380 Platz haben. Viele sind Minderjährige ohne Begleitung. Abdomasi und Omar kamen aus Somalia über Libyen nach Lampedusa. Zwei Monate sei er in Libyen eingesperrt gewesen, sagt Omar. Die Lage sei sehr schlimm. "Überall Kämpfe und Schießereien", sagt der 18-Jährige. "In Libyen lebt die Bevölkerung im Terror". Er will unbedingt nach Deutschland, denn dort lebe sein Bruder. Aus Somalia sind sie geflohen, weil auch dort Krieg herrscht, Dutzende Tote jeden Tag. 2000 Dollar haben die Jungen den Schlepperbanden bezahlen müssen, um ihr Leben bis nach Europa zu retten. Noch weiß Omar nicht, wann es von Lampedusa weitergeht und wohin. Aber irgendwie wird er sich schon durchschlagen nach Norden, sagt er.

Die Flüchtlinge Omar (r.) und sein Freund (Foto: DW/Karl Hoffmann)
Die Flüchtlinge Omar (r.) und sein Freund sind dem Terror in Libyen entkommenBild: DW/K. Hoffmann

Die Bewohner der Insel wollen ausharren und hoffen, dass es zumindest keinen Krieg vor ihrer Haustüre gibt. Denn es gibt Gerüchte über neue Schreckensszenarien, die den Weg bis auf die kleine Mittelmeerinsel gefunden haben. Die italienischen Geheimdienste wollen mindestens 500.000 Flüchtlinge ausgemacht haben, die in verschiedenen Lagern in Libyen leben. Mindestens die Hälfte davon sei bereit, die Überfahrt nach Europa zu wagen. Es macht sich auch die These breit, dass islamische Terroristen die Menschen zur Flucht zwingen, um damit Unruhe in Europa zu stiften und nicht zuletzt fürchtet man, dass unter den Flüchtlingen auch unerkannt Terroristen nach Europa kommen.