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Biodiversität auf dem Dach

13. März 2017

In Skandinavien gehören grüne Dächer zum Erscheinungsbild. Auch in Deutschland entdecken immer mehr private Bauherren und Kommunen die Vorteile von Gräsern, Flechten, Blumen, Sträuchern und sogar Bäumen in Höhenlagen.

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Grün + Dach Krefeld
Bild: Jürgen Quindeau

Über Auftragsmangel kann sich Jürgen Quindeau nicht beklagen. "Ob Privathäuser, Bürogebäude, Betriebshallen oder das ausgefallene Hundertwasserhaus im Grugapark Essen: Jedes zehnte Dach in Deutschland mit einer wasserundurchlässigen Abdichtung wird begrünt", freut sich der Dachdecker und Diplom-Ingenieur für Grünplanung. "Tendenz steigend."

Die Gründe sind vielfältig: Für Eigentümer ist das Dach eine zusätzliche Fläche, die sie auf ihrem Grundstück nutzen können. Grünflächen in luftiger Höhe sind daher vor allem in Ballungsgebieten eine Alternative zu teuren größeren Grundstücken.

Würden in den deutschen Städten alle Dächer nachträglich bepflanzt, könnten der Natur bis zu zwei Drittel der versiegelten Flächen zurückgegeben werden, so begründen Umweltpolitiker, Energieberater, Stadtplaner und Architekten ihre Unterstützung der Dachbegrünung. Studien zeigen, dass bepflanzte Dächer dem Klimawandel und der damit verbundenen großen Hitze in den Städten sowie häufigeren Starkregenfällen entgegenwirken.

Hundertwasser-Hauses im Grugapark
Harmonische Einbettung der Natur auf dem Hundertwasserhaus im Essener GrugaparkBild: Jürgen Quindeau

Jürgen Quindeau weiß seit langem um die Vorteile grüner Dächer. 1984 pflanzte er, damals noch angestellter Gärtner, die ersten Sukkulenten in schwindelnde Höhen. Seine Kunden trugen überwiegend lange Haare und Norweger-Pullover und hatten Grasdächer in Skandinavien entdeckt.

Nach dem Gartenbau-Studium absolvierte er noch eine Ausbildung als Dachdecker, um die wasserdichte und wurzelfeste Abdichtung zu erlernen. "Dachpfannen, Ziegel, Schiefer oder ähnliche Abdeckungsmaterialien haben mich nie interessiert", sagt Quindeau über reguläre Dächer. Er stieß genau in eine Marktlücke, denn begrünte Dächer sind heute Teil moderner Architektur. 

Bei der Verlegung von Abdeckfolien muss der Gartenbauer sorgfältig vorgehen. Ausgeschlossen werden muss, dass Wurzeln ins Gebäudeinnere wuchern oder durch Leckagen im Dach Wasser ins Haus dringt.

Schmutzfilter, Sauerstoffproduzent, Regenwasserspeicher

Die Gestaltung von Flachdächern ist für Jürgen Quindeau Routine. "Durch individuelle Gestaltung werden auch Garagen- oder Hallendächer, die mit gewöhnlich mit Kiesschicht oder beschieferter Bitumenschweißbahn abgedeckt sind, einzigartig", erzählt er. Richtig spannend sei auch die Begrünung auf steilen Dächern.

Für ein begrüntes Dach sprechen viele Faktoren. Die Bepflanzung ist ein Hingucker. Die Pflanzen filtern Schmutz und produzieren Sauerstoff. Grüne Dächer speichern Regenwasser, das verdunstet und langsam an die Umgebungsluft abgegeben wird. Eigentümer von begrünten Dächern sparen dadurch Steuern für Brauchwasserverbrauch. Bei Starkregen können grüne Dächer Abwasserkanäle und Kläranlagen entlasten. 

Begrüntes Dach Dachgrün Dachbegrünung
Alles Tarnung? Das Haus in der Berliner Innenstadt verschwindet unter der Dachbegrünung Bild: picture-alliance/dpa/S.Pilick

Die Pflanzen regulieren die Temperatur in Räumen unter Flachdächern. Und die Luft an der Oberfläche auf dem Dach, die sich bei hohen Außentemperaturen auf 80 Grad Celsius erhitzen kann, wird gekühlt. 

Zahlreiche Kommunen statten öffentliche Gebäude längst mit einer grünen Mütze aus, um dadurch Energiekosten zu sparen. Staatliche Förderprogramme bieten zusätzlich Anreize zur Dach-Bepflanzung, besonders in Städten, um dort die Anzahl der Grünflächen zu erhöhen. Das wirkt gegen Hitzestaus und trägt entscheidend zur Wahrung der Lebensqualität bei.

Hamburgs 'Gründachstrategie' für nachhaltige Stadtentwicklung

Die Stadt Hamburg hat sich die Förderung von begrünten Dächern besonders auf die Fahnen geschrieben, um sich gegen den Klimawandel zu wappnen. 70 Prozent aller Dächer in der Hansestadt sollen begrünt werden. So sollen Freiflächen zur Erholung und Nutzung und zum Versickern von Regenwasser entstehen.

Die HafenCity Universität begleitet das Projekt wissenschaftlich. Experten untersuchen die Wirkung der Dächer bei Starkregen. Eine Studie der Uni hat mit Hilfe von Infrarotaufnahmen gezeigt, dass die grünen Dächer an heißen Sommertagen eine kühlende Wirkung von rund 30 Grad Celsius haben.

Grün + Dach  Dachgrün   Haan Rheinland Wohnhaus
Nicht nur Flachdächer können begrünt werden!Bild: Jürgen Quindeau

Kommunen wie zum Beispiel Bietigheim-Bissingen, Ludwigsburg, Ingersheim oder Freiberg prämieren Firmen, die ihre Grundstücke in "qualitätsvolle, grüne Außenanlagen" verwandelt haben. Kriterien sind neben der Gestaltung soziale Funktionen wie Entspannung, Stressabbau und Kommunikation. Bewertet werden auch ökologische Aspekte wie Artenreichtum, Umgang mit Ressourcen und Auswirkungen auf das Klima. 

"Die Dachhaut wird durch nichts besser geschützt als durch eine grüne Pflanzenschicht", erzählt Dachdecker und Gartenbauer Quindeau. "Keine grellen UV-Strahlen dringen bis zur Abdeckschicht, es gibt keine großen Temperaturschwankungen. Alles, was Material vorzeitig altern lässt, wird auf ein Minimum reduziert." Während ein Kiesdach nach 15 bis 25 Jahren erneuert werden muss, bescheinigt das Fraunhofer-Institut für Bauphysik den begrünten Dächern eine Lebensdauer von 40 Jahren. Das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) hat eine Methode entwickelt, um mit Hilfe von Luftbildaufnahmen Gründächer zu erfassen und deren Zustand zu bewerten. Zugleich werden potentiell begrünbare Dachflächen kenntlich gemacht.

Dachbiotope als Ersatzlebensräume

Je nach Pflanzenart gibt es unterschiedliche Varianten der Dachbegrünung. Extensive Gründächer mit niederwüchsigen Pflanzen wie Moosen, Gräsern, Kräutern und Sedum sind am günstigsten und pflegeleichtesten. Lebewesen finden extensives Dachgrün anziehend. "Erst kommen die Insekten und die locken Vögel an", hat Jürgen Quindeau beobachtet. "Es ist interessant, wie sich solch ein Dach entwickelt."

Autobahnraststätte Beverbach an der A40
Doppelt gemoppelt: Dachbegrünung und Photovoltaikanlage auf der Autobahnraststätte BeverbachBild: Jürgen Quindeau

Neu ist das Biodiversitätsdach, sagt der Dachgarten-Fachmann: "Das Dach wird aufgepimpt mit Sand, Baumwurzeln und Ausbuchtungen für Pfützen." So sollen dort noch mehr Tiere laichen, nisten und Futter finden. 

Rasen, Stauden, Sträucher und sogar Bäume dagegen müssen regelmäßig gewässert, gedüngt und beschnitten werden. Die Intensivbegrünung auf Flachdächern kann einen Garten in eine Oase mit Weitblick verwandeln: Sitzplätze, Spielbereiche, Wege, Teiche oder Gemüsebeete - ein großer Dachgarten bietet Natur pur am Wohnort oder Arbeitsplatz. 

Gute Kombi: Dachbegrünung und Photovoltaik

Doch wieviel Last kann das Dach tragen? Das müssen Statiker klären und Baubehörden genehmigen. Bei extensiver Begrünung erschweren die Pflanzen das Dach um 120 Kilogramm pro Quadratmeter. Bei größeren Pflanzen steigt das Gewicht auf der gleichen Fläche auf 500 Kilogramm. 

Doppelten Nutzen haben laut Quindeau Eigentümer, die die Dachbegrünung mit einer Photovoltaikanlage kombinieren: "Die Pflanzen kühlen die Umgebung im Sommer. Und die Module zur Stromerzeugung durch Sonne arbeiten in kühlerer Umgebung effizienter", erklärt Quindeau, bevor er sich wieder seiner Auftragsarbeit widmet - in seinem Büro unter einem begrünten Dach.