Neue Straßennamen für Afrikanisches Viertel
20. April 2018Eigentlich ist der Nachtigalplatz eine friedliche Ecke mitten in der deutschen Hauptstadt. Vögel zwitschern auf den Straßenbäumen, Kindern toben lachend über den Schulhof der benachbarten Grundschule, das grüne Meer des Volksparks Rehberge liegt um die Ecke. Doch um den Nachtigalplatz, die Petersallee und die Lüderitzstraße gibt es in Berlin seit zehn Jahren Streit.
"Straßennamen sind nach geltendem Berliner Recht Ehrungen. Daher stellt sich für mich nicht die Frage, ob wir die Namen beibehalten können. Die Antwort liegt auf der Hand: Wenn es Ehrungen sind, können wir das nicht", sagt Josephine Apraku im DW-Gespräch. Mit anderen Aktivisten kämpft sie seit Jahren für die Umbenennung der drei Straßen.
Denn sie ehren drei umstrittene Persönlichkeiten der deutschen Kolonialgeschichte: Adolf Lüderitz, der den Grundstein für die frühere Kolonie Deutsch-Südwestafrika legte, indem er Land durch Betrug erwarb. Carl Peters, Reichskommissar im damaligen Deutsch-Ostafrika, der für seine Brutalität gefürchtet war. Gustav Nachtigal, den deutschen Afrikaforscher und Befürworter des Kolonialismus.
Kolonialismusgegner statt Kolonialisten
Die Politik hielt sich lange aus dem Streit raus, um nun doch zu entscheiden. Am Donnerstagabend stimmte eine Mehrheit im Bezirksparlament von Berlin-Mitte für neue Straßennamen. Wenn das Bezirksamt grünes Licht gibt, ziehen symbolisch Kolonialismus-Gegner ins Afrikanische Viertel.
Die Lüderitzstraße würde dann nach Cornelius Frederiks benannt, einem Widerstandskämpfer im damaligen Deutsch-Südwestafrika. Aus dem Nachtigalplatz würde der Bell-Platz, der an den kamerunischen König Rudolf Manga Bell erinnern soll, der von den Deutschen 1914 hingerichtet wurde. Die Petersallee soll zwei Namen bekommen. Ein Teil hieße künftig nach der namibischen Unabhängigkeitskämpferin Anna Mungunda, der andere Maji-Maji-Allee. Damit wird eine Widerstandsbewegung im früheren Deutsch-Ostafrika geehrt.
"Einige Straßennahmen im Afrikanischen Viertel glorifizieren immer noch den deutschen Kolonialismus und seine Verbrechen. Das ist mit unserem Demokratieverständnis nicht zu vereinbaren und beschädigt dauerhaft das Ansehen der Stadt Berlin", heißt es in dem Antrag von SPD, Grünen und Linken. Sehr zur Freude von Aktivistin Apraku: "Wenn ich ganz ehrlich sein soll, bin ich nicht davon ausgegangen, dass die Straßen während ich lebe umbenannt werden ", sagt sie.
"Ich halte das für einen Witz"
Manche Anwohner sehen das ähnlich. "Die Kolonialverbrecher sollen aus den Straßen verschwinden", schimpft ein junger Mann, der an den Baucontainern und Absperrgittern am Nachtigalplatz vorbeiläuft.
"Ich halte das für einen Witz", brummelt ein anderer mit langen grauen Haaren, der im benachbarten Kleingartengebiet eine Blume einpflanzt. "Da hätten sie früher dran denken sollen, statt nach so vielen Jahren damit anzufangen. Die Namen haben sich eingebürgert."
Auch eine Frau mit zwei Jutebeuteln gerät bei der Frage nach der Umbenennung in Rage: "Wir sind erst vor einem Monat hierher gezogen, haben uns umgemeldet, und jetzt fängt das Theater wieder an. Ich kann mir die neuen Namen doch gar nicht merken".
Die Stimmung sei schlecht in der Nachbarschaft, meint auch Karina Filusch. Mit der Initiative "Pro Afrikanisches Viertel" kämpft sie gegen die Umbenennungen. "Uns wurden immer indiskutable Namen von den Politikern genannt. Das ganze Verfahren war eigentlich nur von Dilettantismus, Ideologie und Rechthaberei geprägt", sagte sie der DW.
Zunächst sollte eine Jury aus Bürgervorschlägen neue Namen auswählen. Das Verfahren endete in einem heftigen Streit über die Vorschläge des Gremiums. Schließlich zogen die Parteien im Bezirksparlament Wissenschaftler zu Rate, um neue Namensvorschläge zu erarbeiten. Die drei Vorschläge, auf die sich SPD, Grüne und Linke geeinigt hatten, wurden nun beschlossen.
Die Initiative "Pro Afrikanisches Viertel" will die Straßen dagegen umwidmen: Die Lüderitzstraße soll nach der Stadt Lüderitz benannt werden, der Nachtigalplatz nach dem Theologen Johann Nachtigal. Die Petersallee soll ihren Namen behalten. Denn sie wurde 1986 bereits offiziell umgewidmet: Seitdem ist sie nicht mehr nach Carl Peters, sondern nach Hans Peters benannt, einem Widerstandskämpfer gegen den Nationalsozialismus.
Anwohner könnten klagen
"Das Verfahren sollte an die Bürger zurückgegeben werden, damit sich die Interessensgruppen noch einmal miteinander verständigen können", sagt Karina Filusch. Doch Umwidmungen lehnen Aktivisten wie Josephine Apraku ab. "Eine kritische Aufarbeitung der Vergangenheit sieht anders aus", sagt sie.
Sie hofft auf die Umbenennung - auch als Signal für weitere Straßen mit belasteten Namen, die es in Berlin und anderen deutschen Städten gibt. "Es wird zunehmend in den Blick genommen, welche Straßennamen wir eigentlich haben, welche Bezüge sie haben und ob das Bezüge sind, die wir auch nach dem gegenwärtigen demokratischen Verständnis noch tragbar finden."
Die Initative "Pro Afrikanisches Viertel" hält trotz allem zumindest die Umbenennung der Petersallee für rechtswidrig, da die Straße schon umgewidmet wurde. "Ich denke, dass der Bezirksbürgermeister ermuntert werden muss, diesen offensichtlich rechtswidrigen Beschluss zurückzunehmen, um das Andenken an Hans Peters nicht herabzuwürdigen, und natürlich ermutigen wir auch Anwohner, zu klagen", sagt Karina Filusch.
Der Streit um die Straßen könnte also bald auch Berliner Gerichte beschäftigen. Bis wieder Frieden am Nachtigalplatz einkehrt, wird es wohl noch eine Weile dauern.