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Neue Schäfchen in Osteuropa

Anne Herrberg31. Januar 2004

In den vergangenen 50 Jahren haben die traditionellen Volkskirchen in Westeuropa kontinuierlich an Bedeutung verloren. In einigen osteuropäischen Ländern erleben sie dagegen eine Renaissance.

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In Staaten wie Italien, Spanien oder Irland, in denen die Kirche traditionell stark verwurzelt ist, verliert die Kirche an Boden bei der Bevölkerung. Auch in Deutschland gibt es den Trend, sich von der Kirche abzuwenden, auch wenn die katholische und die evangelische Kirche in Deutschland jeweils rund 26 Millionen Mitglieder zählen. Zwar ist die große Austrittswelle der 1970er Jahren vorbei, jährlich treten jedoch immer noch etwa drei mal so viele Menschen aus der Kirche aus wie ein.

Westliche Feiertagschristen

Pauschal gesagt: "Die Deutschen sind großteils Feiertagschristen geworden, die nur noch zu Festtagen und bei Lebenshöhepunkten in die Kirche gehen", meint Peter Maser, Theologieprofessor an der Universität Münster. Zu Anlässen wie Weihnachten, Taufe, Hochzeit sei das Haus voll. 200.000 Menschen haben den Kirchentag in Berlin besucht. Aber in der normalen Sonntagsmesse seien die Kirchenbänke leer. Das sei übrigens kein Indiz für den Grad der individuellen Religiosität der Leute, meint Renate Polak vom Institut für Pastoraltheologie in Wien, die sei in ganz Europa wieder sehr stark vorhanden. Laut einer Studie des Wiener Instituts verstehen sich zwei Drittel der Europäer sich als religiöse Menschen.

Kirchentag Ordensschwester
auf dem Kirchtag 2003 in BerlinBild: AP

Vor allem bei jungen Menschen kommen die Kirchen nicht mehr an. "Ein Vermarktungsproblem der traditionellen Kirchen", erklärt Fernando Enns vom Ökumenischen Institut in Freiburg, "denn das Engagement der Menschen ist eher punktuell, individualisiert" – was soviel heißt wie: Man wählt nicht mehr das Gesamtpakt, sondern pickt sich die Themen und die Positionen heraus, die einen interessieren. Daher müsse man wie beim Fernsehen ein Programm für spezielle Zielgruppen machen, meint Hermann Barth, Vizepräsident des Kirchenrates des EKD.

Kirche in Osteuropa

Weniger schlecht steht die Kirche in Ländern des ehemals kommunistischen östlichen Europas da. "Generell kann man sagen, dass die Leute dort eine größere Neugierde haben, offen sind und fragen: Was will die Kirche, was hat die zu bieten", sagt Maser.

Griechisch-orthodoxe Ostern
Orthodoxe ChristenBild: AP

Beispielsweise habe sich Georgiens Ex-Präsident Eduard Schewardnadse vor drei Jahren taufen lassen. Auch in dem ehemals streng atheistischen Albanien haben die Kirchen an Zulauf gewonnen – meist durch die Unterstützung der katholischen Kirchen aus dem Ausland. Denn in vielen östlichen Ländern sei zwar die Nachfrage nach Kirche groß, aber es mangele an intellektuellem, finanziellem und strukturellem Angebot.

Die EU-Osterweiterung könnte eine Chance sein für eine stärkere internationale Zusammenarbeit auf Kirchenebene. "Obwohl man da ja von ganz anderen Voraussetzungen ausgeht, die den gemeinsamen Diskurs erschweren, "sagt Maser. Orthodoxe Christen predigen, singen, beten anders als Christen in den Niederlanden oder Italien.

In Russland blüht die Kirche auf

In Russland könne man heute sogar von einer "Renaissance der Religion" sprechen, so der Theologe Peter Maser aus Münster. Trotz des Sowjet-Regimes mit seiner "aggressiven atheistischen Propaganda" habe sich die Religiosität im Untergrund erhalten. Vor allem durch einen Volksglauben, der sich in Gesang, Symbolen und Ritualen äußerte.

Weihnachten in Russland: Präsident Vladimir Putin und ein orthodoxer Priester
Präsident Putin und ein orthodoxer PriesterBild: AP

Der Wiener Studie zufolge verstehen sich rund drei Viertel der Bevölkerung als religös. Heute seien die Kirchen ausgelastet und Menschen ihren Kirchen tief verbunden, meint Maser. Die Kirche sei vor allem ein Trost für die Armen und Schwachen geblieben, ein Ort der kulturellen Zusammengehörigkeit. "In den ärmsten Dörfern gibt es immer zwei glänzend renovierte Gebäude – die Kirche und das Pfarrhaus, während Wohngebiete zerfallen."

Die Kirche und der Staat

13 Jahre nach Ende des Kommunismus steht die orthodoxe Kirche wieder dort wo sie schon vor 800 Jahren stand: an der Seite der Macht. Zeigte sich Boris Jelzin noch extrem unsicher im Umgang mit religiösen Symbolen, baut der jetzige Präsident Wladimir Putin auf die Kirche: sei es als moralisches Standbein in der modernen wirtschaftlich geprägten Gesellschaft, oder als oft einziger Träger des sozialen Systems. Örtliche Priester und Diakonien ersetzen ein mangelhaftes Gesundheitssystem, übernehmen Pflegedienste und segnen Kühe und Saatgut auf dem Land.

Andererseits segnen die hohen Kleriker auch Panzer und Atomwaffen, pflegen die Nähe zum russischen Geheimdienst, machen mobil gegen kritische Künstler und alternative Glaubensrichtungen, proben den Schulterschluss in der Tschetschenien-Frage: "eine Sakralisierung der Macht", schreibt die Süddeutsche Zeitung.

Das weniger kirchenfreundliche Osteuropa

Papst Johannes Paul II in Polen
Papst Johannes Paul in PolenBild: AP

Anders in Ländern wie Tschechien, Estland oder Polen: Dort sieht Maser einen "dramatischen Absturz des Religiösen im Vergleich zu 1990". Die Kirche habe in Polen – auch durch den polnischen Papst Johannes Paul den Zweiten – eine starke Stellung in der Bevölkerung gehabt. Nachdem die ganze Gesellschaft liberaler geworden ist, seien auch die eindeutigen Positionen der Kirche aufgeweicht, "was zu tiefen Irritationen" geführt habe, meint Maser.