Neue Regierung in Kambodscha: Was bedeutet das für die EU?
22. August 2023Kambodschas Langzeitherrscher Hun Sen - er ist seit 1985 an der Macht - kündigte Ende Juli 2023 seinen Rücktritt als Premierminister an. Kurz zuvor hatte, ebenfalls im Juli, seine Regierungspartei Kambodschanische Volkspartei (CPP) bei einer manipulierten Parlamentswahl einen überwältigenden Sieg errungen. Der einzige aussichtsreiche Oppositionskandidat war gar nicht erst zur Wahl zugelassen worden. Den Platz Hun Sens hat heute, Dienstag den 22. August, offiziell dessen ältester Sohn Hun Manet eingenommen, ein ehemaliger Militärchef. Die Nationalversammlung hat als Scheinparlament das neue Kabinett durchgewunken.
In der Europäischen Union (EU) wird dieser Machtwechsel genau beobachtet. Brüssel kritisiert seit 2017 die Schwächung der Demokratie in Kambodscha. Im November 2017 war die größte Oppositionspartei Cambodian National Rescue Party (CNRP) zwangsweise aufgelöst worden - unter dem fadenscheinigen Vorwurf, mit Unterstützung der USA einen Staatsstreich zu planen. Ihr damaliger Anführer Kem Sokha wurde wegen Hochverrats verhaftet und im Mai diesen Jahres zu 27 Jahren Hausarrest verurteilt.
Die CPP hatte die Macht im Jahr 1979 übernommen. Zuvor war eine Gruppe von Überläufern der Roten Khmer, darunter auch Hun Sen, an der Seite des vietnamesischen Militärs in das Land zurückgekehrt, um das Rote-Khmer-Regime zu stürzen. 1985 wurde Hun Sen dann zum Premierminister ernannt und blieb bis zur Übergabe der Macht an seinen Sohn im Amt. Damit wurde er zum am längsten amtierenden Regierungschef der Welt.
EU-Sanktionen gegen Kambodscha
Im Jahr 2020 verhängte die EU Strafzölle auf etwa ein Viertel der kambodschanischen Exporte, die zuvor unter der begünstigenden Handelsregelung "Everything But Arms" (EBA) zollfrei importiert werden konnten. Bei der EBA-Regelung handelt es sich um eine Sonderregelung für die am wenigsten entwickelten Länder. Sie gewährt uneingeschränkt zoll- und kontingentfreien Zugang zum EU-Binnenmarkt für alle Produkte mit Ausnahme von Waffen und Rüstungsgütern. Diese Sonderregelung zielt darauf ab, die Wirtschaft der ärmsten Länder der Welt, darunter Kambodscha, zu stärken und zur Armutsbekämpfung beizutragen.
Die EU ist der viertgrößte Handelspartner Kambodschas. Im Jahr 2022 exportierte Kambodscha Waren im Wert von 5,5 Milliarden Euro in die EU-Märkte; eine beträchtliche Steigerung gegenüber dem Vorjahr mit 3,5 Milliarden Euro. Die Beziehungen verbesserten sich im letzten Jahr etwas, als Kambodscha den jährlich wechselnden Vorsitz der ASEAN, der Vereinigung Südostasiatischer Nationen, übernahm.
Kambodscha hatte den Ko-Vorsitz beim ersten EU-ASEAN-Gipfel in Brüssel im letzten Dezember. Und es ist eines der wenigen asiatischen Länder, die die russische Invasion der Ukraine ausdrücklich verurteilen. Für diese Haltung wird das Land im Westen gelobt. Die umfassenden Maßnahmen der kambodschanischen Regierung gegen die Opposition im Inland in diesem Jahr, darunter die Schließung unabhängiger Zeitungen und die zwangsweise Auflösung der Hauptoppositionspartei, haben die Beziehungen jedoch erneut getrübt.
In einer im März verabschiedeten Resolution forderte das Europäische Parlament die Europäische Kommission und den Europäischen Rat auf, die Handelssanktionen zu verschärfen und gezielte Sanktionen gegen einzelne kambodschanische Offizielle zu verhängen.
Abbau der Demokratie in Kambodscha
Die EU beschrieb die Parlamentswahl im Juli als "in einem eingeschränkten politischen und zivilgesellschaftlichen Raum durchgeführt, in dem die Opposition, die Zivilgesellschaft und die Medien nicht uneingeschränkt und effektiv funktionieren konnten."
Laut einer Quelle aus Diplomatenkreisen sind gezielte Sanktionen gegen kambodschanische Offizielle dennoch unwahrscheinlich. Die Strafmaßnahmen müssten vom Europäischen Rat verhängt werden und vermutlich würden sich mehrere Mitgliedstaaten dagegen aussprechen.
Insbesondere Frankreich hat seine Beziehungen zu Phnom Penh seit Ende 2022 verbessert, als der scheidende Premierminister Hun Sen Präsident Emmanuel Macron in Paris besuchte. Die Quelle sagte auch, dass eine weitere Rücknahme von Handelsprivilegien unwahrscheinlich sei. Brüssel sei nun der Ansicht, dass seine Maßnahmen aus dem Jahr 2020 fast keinen Einfluss auf die kambodschanische Innenpolitik hätten und ihre einzige Wirkung darin bestehe, die Bedingungen für die Arbeiter in den exportgetriebenen Textilfabriken des Landes zu verschlechtern.
Stattdessen werde die EU eine Strategie des "Abwartens und Beobachtens" verfolgen, um zu sehen, ob die neue Regierung "eine Annäherung an den Westen herbeiführen kann", sagt Ou Virak, Präsident des Future Forum, eines kambodschanischen Think Tanks. Er fügt hinzu, Brüssel erwarte vermutlich konkrete Zugeständnisse von der neuen Regierung unter Hun Manet. So stehe die Freilassung des inhaftierten Oppositionspolitikers Kem Sokha wahrscheinlich ganz oben auf der EU-Agenda. Es wurde schon lange spekuliert, dass Kem Sokha begnadigt werden könnte - wenn er zustimmt, aus der Politik auszuscheiden.
Aufstieg der Politiker-Söhne
Mit Hun Manet werden auch noch andere Kinder führender Politiker in die Regierungsriege aufsteigen. So werden die Söhne von Innenminister Sar Sokha, und von Verteidigungsministers Tea Banh direkt ihre Väter beerben. Fast die gesamte Generation von Politikern, die in den 1980er Jahren an die Macht kamen, wird in diesem Monat in den Ruhestand treten, um Platz für Politiker zu machen, die in nun ihren Vierzigern sind. Ob diese Verjüngung des Führungspersonals zu irgendwelchen bedeutenden politischen Veränderungen in Kambodscha führt, bleibt abzuwarten.
Hun Manet wird ein System erben, in dem Patronage und Korruption für das politische Überleben seiner Regierungspartei von wesentlicher Bedeutung sind: Laut Experten gibt es kaum Aussicht darauf, dass seine neue Regierung erlauben wird, dass sich ein bedeutender Herausforderer der Opposition legal etablieren kann.
Es wird erwartet, dass Hun Sen im Hintergrund weiterhin die politischen Fäden ziehen wird. Auch wird sich der Regierung von Hun Manets wahrscheinlich nicht von Peking distanzieren, dem Schlüsselverbündeten Phnom Penhs und dem größten ausländischen Investor. Chinas Außenminister Wang Yi besuchte Phnom Penh am 13. August. Hun Manet wird voraussichtlich im nächsten Monat Peking und Washington für internationale Gipfeltreffen besuchen.
Einige Experten erwarten, dass Hun Manet weniger skeptisch gegenüber dem Westen sein wird als sein Vater. Hun Sen wuchs zu einer Zeit in Kambodscha auf, als die USA das Land illegal bombardierten. Im Gegensatz zu seinem Vater könnte Hun Manet dagegen eher eine Annäherung an den Westen suchen. Hun Manet wurde an der Elite-Militärakademie West Point in den USA und an der Universität Bristol in Großbritannien ausgebildet.
"Wir glauben, dass dieser Generationswechsel in der Führung positive Auswirkungen auf Geschäft, Handel und Investitionen haben wird, aber wir wissen bisher relativ wenig über die Vision und konkrete Strategie der neuen Regierung für die Entwicklung der Wirtschaft", sagt Tassilo Brinzer, Vorsitzender der Europäischen Handelskammer in Kambodscha. Er geht davon aus, dass die neue Regierung sich auf Bürokratieabbau, den Ausbau erneuerbarer Energien und auf Nachhaltigkeit konzentrieren wird. Brinzer erwartet ferner mehr Anstrengungen in Richtung Gleichbehandlung internationaler Unternehmen.
Aktualisierung der EU-Strategie?
Am 16. August führte die scheidende EU-Botschafterin in Phnom Penh, Carmen Moreno, ein Abschiedsgespräch mit dem kambodschanischen Außenminister Prak Sokhonn. "Unsere bisherige Arbeit bildet eine solide Grundlage für eine vielfältige zukünftige Partnerschaft", hieß es anschließend in einer Mitteilung des Außenministeriums.
Im September wird Moreno von dem derzeitigen EU-Botschafter bei der ASEAN, Igor Driesmans, abgelöst. Driesmans könnte möglicherweise eine neue EU-Politik im Land gestalten. "Wir werden weiterhin mit der neuen Regierung Kambodschas zusammenarbeiten und nicht im Voraus beurteilen, wie sie sich in den kommenden Monaten verhalten wird oder nicht", erklärt ein Sprecher der Europäischen Kommission gegenüber der DW. Er fügte gleichzeitig hinzu, dass die EU beabsichtige, ihr Engagement zur Bekämpfung der Korruption weltweit zu verstärken. "Wir setzen uns bereits mit der kambodschanischen Regierung in diesen Angelegenheiten auseinander, zum Beispiel im Hinblick auf die Vergabe von Landkonzessionen."
Den Kampf gegen Korruption zu einem Schwerpunkt zu machen, könnte Teil einer aktualisierten EU-Strategie für Kambodscha sein. Sie könnte konkrete Themen priorisieren, in denen die EU tatsächlich Einfluss ausüben könnte, anstatt sich auf vage und schwere zu beeinflussende Bereiche wie Menschenrechte und Demokratie zu konzentrieren. Die EU suche ein Thema, mit dem sie inmitten des US-chinesischen Wettbewerbs um das Land ihren eigenen Raum beanspruchen könne, analysiert die Quelle aus diplomatischen Kreisen.
Welche Ergebnisse die Strategie des Abwartens und Beobachtens seitens der EU haben wird, könnte später in diesem Jahr sichtbar werden: Dann, wenn das 12. Treffen des Gemeinsamen Ausschusses zwischen Kambodscha und der EU in Brüssel stattfindet.