Neue Regeln für die Einwanderung
9. Mai 2019Suhl ist eine kleine Stadt mitten in Deutschland. Sie liegt im Bundesland Thüringen, an der Grenze zu Hessen. Seit dem Fall der Mauer erlebte Suhl einen andauernden Niedergang. Ein Drittel der Einwohner sind weggezogen. Jetzt leben nur noch 35.000 Menschen hier. Das Durchschnittsalter liegt bei knapp über 50 Jahren. Damit ist Suhl die "älteste Stadt" Deutschlands.
Das hat Folgen: Die Renten sinken, Altersvorsorge fehlt und es fehlen immer mehr Arbeitskräfte. Nun will ein Projekt in Suhl - unterstützt von der Industrie- und Handelskammer Thüringen - den Fachkräftemangel in Zusammenarbeit mit vietnamesischen Nachwuchsarbeitern lindern.
Einer von ihnen ist Cao Quang Truong. Seit acht Monaten lebt er in Deutschland und macht eine Ausbildung zum Baufacharbeiter. Der 22-Jährige ist froh über diese Chance: "Am besten sind meine Kollegen. Manchmal ist die Arbeit sehr schwer, aber dann lachen wir alle zusammen und das ist motivierend." Nach seiner Ausbildung würde Cao gerne in Suhl bleiben. Doch das ist gar nicht so einfach. Denn dafür bräuchte der Vietnamese eine dauerhafte Aufenthaltsgenehmigung. Die ist nicht so einfach zu bekommen.
Wer Arbeit hat, soll kommen können
Fast elf Millionen Menschen ohne deutschen Pass leben in Deutschland. Jedes Jahr lassen sich mehr als 100.000 Ausländer einbürgern. Trotzdem hat sich die Bundesrepublik in den vergangenen Jahrzehnten nie als Einwanderungsland verstanden. Das soll sich nun ändern. Mit einem Fachkräfteeinwanderungsgesetz soll die Arbeitsmigration für Nicht-EU-Fachkräfte erleichtert werden.
Im Bundestag debattierten die Parlamentarier an diesem Donnerstag zum ersten Mal über das Gesetz. Es regelt, dass in Deutschland Fachkräfte auch aus Staaten jenseits der EU arbeiten können, wenn sie über einen Arbeitsvertrag und eine anerkannte Qualifikation verfügen. Die Beschränkung auf bestimmte Berufe soll ebenso entfallen wie die Vorrangprüfung, ob nicht auch Deutsche oder EU-Bürger für die Stelle infrage kommen. Diese Prüfung soll allerdings kurzfristig regional wieder eingeführt werden können.
Historische Weichenstellung
Wer qualifiziert ist und gut Deutsch spricht, soll auch ohne Arbeitsvertrag für maximal sechs Monate einreisen dürfen, um sich einen Job zu suchen. Das war bisher nur für Hochschulabsolventen möglich. Der Arbeitssuchende muss allerdings selbst für seinen Unterhalt sorgen. Sozialleistungen gibt es nicht. Diese Regelung soll fünf Jahre erprobt werden.
Bundesinnenminister Horst Seehofer sprach von einer "historischen Weichenstellung" für die Bundesrepublik Deutschland hin zu einer "modernen Migrationspolitik". Mit dem neuen Gesetz werde es klare Kriterien geben, wer unter welchen Voraussetzungen kommen und bleiben dürfe. Deutschland werde dabei jederzeit die Kontrolle darüber behalten, wer ins Land komme, versicherte der Innenminister: "Wir schaffen mit diesem Gesetz die Voraussetzungen dafür, dass diejenigen Fachkräfte, die unsere Wirtschaft dringend braucht, gesteuert und geordnet zu uns kommen können."
Immer mehr Arbeitsstellen bleiben unbesetzt
Rund 1,2 Millionen Fachkräfte fehlen der deutschen Wirtschaft aktuell. Besonders brisant ist die Lage in der Pflege und auf dem Bau. "Wer in Berlin gerade mal versucht, beispielsweise einen Handwerker zu bekommen, der weiß, wie viel mehr an Arbeit erledigt werden könnte, wenn wir mehr Fachkräfte zu Verfügung haben", fasste Bundesarbeitsminister Hubertus Heil in der Bundestagsdebatte die Lage zusammen.
Eine Debatte, die sehr kontrovers geführt wurde. Während der FDP, den Linken und den Grünen die Pläne der Bundesregierung nicht weit genug gehen, werden sie von der rechtspopulistischen AfD rundweg abgelehnt. "Was lesen wir da? Keine Beschränkung auf Mangelberufe?", sagte der AfD-Abgeordnete Gottfried Curio: "Also egal, ob wir die Leute überhaupt brauchen: Hauptsache mehr fremd-kulturelle Zuwanderung!"
Die Linken-Abgeordnete Susanne Ferschl kritisierte an dem Gesetz, die Bundesregierung bediene ausschließlich wirtschaftliche Interessen, anstatt sich um gute Arbeit für alle zu kümmern. Fachkräfte aus Drittstaaten seien zudem erpressbar nach dem Motto: "Wer aufmuckt, fliegt raus."
Chance für abgelehnte Asylbewerber
Zum Gesetzespaket gehört auch die sogenannte Beschäftigungsduldung. Ausländer ohne Aufenthaltsrecht in Deutschland, die nur geduldet sind, etwa weil sie nicht abgeschoben werden können, sollen damit die Chance auf einen legalen Status erhalten. Voraussetzung dafür ist, dass der Betreffende seit mindestens eineinhalb Jahren mehr als 35 Stunden pro Woche arbeitet und damit seinen Lebensunterhalt sichern kann. Außerdem muss er "hinreichend" deutsch sprechen können, wie es im Gesetzentwurf heißt und darf sich nicht strafbar gemacht haben.
Mit diesem sogenannten "Spurwechsel", also der Möglichkeit, von einem Asylverfahren in die legale Zuwanderung zu wechseln, tun sich CDU und CSU nach wie vor schwer. Seehofer betonte im Bundestag, der Gesetzentwurf sei "keine Spielart des Asylverfahrens". Die SPD sieht das anders. "Wir haben hier Leute, die wir richtig gut gebrauchen können", sagte Bundesarbeitsminister Heil.
Gesetz seit Monaten auf der langen Bank
Die große Koalition aus Union und SPD hatte das Fachkräfteeinwanderungsgesetz bereits im Dezember 2018 nach langem internen Ringen im Kabinett beschlossen. Im Bundestag wurde der Entwurf erst jetzt in erster Lesung debattiert, weil CDU und CSU seither auf der Bremse standen. Für die Union steht das Gesetz im Zusammenhang mit einem anderen Entwurf zur besseren Durchsetzung der Ausreisepflicht. Dieses "Geordnete-Rückkehr-Gesetz" soll nun in der kommenden Woche ebenfalls beraten werden.
Das unterstützt der Städte- und Gemeindebund. Dessen Hauptgeschäftsführer Gerd Landsberg warnte die Bundesregierung davor, dass Arbeitssuchende von außerhalb der EU bei ergebnislosen Bemühungen nicht freiwillig ausreisen könnten. Schon jetzt gelinge es nur unzureichend, die Ausreise abgelehnter Asylbewerber durchzusetzen.
Eine Chance auch für Suhl
Für die Handelskammer in Thüringen ist das Fachkräfteeinwanderungsgesetz hingegen unbedingt notwendig. Nur dann könnten Projekte wie das in Suhl auch bundesweit erfolgreich sein. Für die kleine Stadt in Thüringen ist das neue Gesetz so etwas wie eine letzte Hoffnung. Das Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung schätzt, dass Suhl - wenn sich nichts ändert - im Jahr 2030 nur noch 27.400 Einwohner haben könnte.