Manege frei für Ringen um EU-Haushalt
20. Februar 2020Die erste Runde des Meinungsaustauschs in großer Runde ist beendet. Jeder und jede der 27 Staats- und Regierungschefs hat in der Brüsseler Manege noch einmal seine Interessen dargelegt. Der Etatzirkus hat begonnen. In der Nacht wollte EU-Ratspräsident Charles Michel als Vermittler nach Angaben von EU-Diplomaten einen neuen Kompromissvorschlag vorlegen. Zuvor gab es Einzelgespräche mit Nettozahlern und Nettoempfängern, um rote Linien auszuloten. Der neue Vorschlag soll dann an diesem Freitag beraten werden. Mit viel Glück könnte dann bereits ein Durchbruch gelingen, was in Brüssel aber nur wenige Beobachter vermuten. Zu weit liegen die Positionen auseinander. Der niederländische Premierminister Mark Rutte zum Beispiel weigerte sich über seine harte Haltung, nämlich keinen einzigen Euro mehr für die EU, überhaupt zu verhandeln. "Ich habe mir ein Buch mitgebracht. Eine Biografie von Chopin", flachste Rutte mit Journalisten. Das sei gegen die Langeweile, während sich andere Regierungschefs von Charles Michel weichklopfen ließen.
Alle sieben Jahre wird der Haushaltsrahmen der EU neu festgelegt. Der nächste gilt von 2021 bis 2027. Es geht um Milliarden Euro, die ein Mitgliedsland entweder in den gemeinsamen EU-Haushalt einzahlen muss oder als Beihilfe aus dem Etat der Europäischen Union bekommt.
Alle Staats- und Regierungschefs verteidigen ihre Interessen, doch am Ende muss ein Kompromiss stehen. "Es gibt viele Interessen und Sorgen, die alle berechtigt sind", sagte der EU-Ratspräsident Charles Michel zu Beginn des Gipfels am Donnerstag. "Aber ich glaube, dass Fortschritte in den nächsten Stunden und Tagen möglich sind."
Eine Einigung ist nötig
Der siebenjährige Haushaltsrahmen soll auch ein Beweis dafür sein, dass die Solidarität in der EU funktioniert. Dabei muss die EU den Austritt Großbritanniens verdauen, des bisher zweitgrößten Beitragszahlers.
Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel sieht noch große Differenzen: "Wir von deutscher Seite sind mit dem Verhandlungsstand noch nicht zufrieden, weil wir glauben, dass innerhalb der Nettozahler die Balance noch nicht ausgearbeitet ist." Es sei klar, dass Deutschland mehr einzahle, als es herausbekomme, aber der Vergleich mit anderen Nettozahlern müsse stimmen. Deutschland möchte gern ein Rabattsystem erhalten, dass die Höhe seines Beitrages mindert.
Andere Einzahler wie Finnland lehnen das ab. "Nach dem Ausscheiden Großbritanniens gibt es keinen Grund mehr für Rabatte", sagte die finnische Ministerpräsidentin Sanna Marin. 1984 war den Briten ein Nachlass auf ihren Beitrag gewährt worden. Im Laufe der Jahre gab es dann immer neue Rabatte für andere Nettozahler.
Sparsame gegen Freunde der Kohäsion
Grob gesprochen ringen drei Gruppen von Staats- und Regierungschefs miteinander: Die "sparsamen Vier", Niederlande, Dänemark, Schweden und Österreich, wollen auf keinen Fall mehr Geld an die EU überweisen. Sie erklärten gemeinsam am Montag, dass nach dem Austritt der Briten der Kuchen nicht noch größer werden könne.
Die 17 "Freunde der Kohäsion", also von Strukturbeihilfen, wollen hingegen möglichst viel aus dem EU-Haushalt bekommen. Angeführt wird die Gruppe von Portugal. Außerdem gehören die südlichen und östlichen Staaten wie Bulgarien, Polen, Ungarn oder Lettland dazu, die die größten Nutznießer der Umverteilung in Europa sind.
Dazwischen stehen Nettozahler wie Deutschland, Frankreich, Italien, Finnland, Belgien und Luxemburg, die allesamt bereit wären etwas mehr zu zahlen als bisher, aber sehr unterschiedliche Ziele verfolgen. Deutschland möchte einen "modernen" Haushalt mit höheren Ausgaben für Forschung, Klimaschutz, Digitalisierung und Grenzschutz. Frankreich dagegen besteht auf hohen Agrar-Ausgaben - für seine eigene Landwirtschaft.
Eine Billion oder mehr?
Seit fast zwei Jahren liegt ein Haushaltsentwurf der EU-Kommission auf dem Tisch, der 1135 Milliarden Euro an Ausgaben über sieben Jahre vorsieht. Diesen Entwurf findet niemand so richtig attraktiv, weil er Einsparungen bei Agrar und Kohäsion vorsieht und den Einzahlern mehr Beiträge abverlangt. Der Schiedsrichter in dem Finanz-Wettkampf ist der Vorsitzende der Gipfelrunde, EU-Ratspräsident Charles Michel. Der ehemalige belgische Premier legte einen Kompromissvorschlag vor, der nur ein Volumen von 1094 Milliarden Euro hat. Das Werk wurde aber heftig von allen Seiten kritisiert und wird jetzt für die Beratungen an diesem Freitag noch einmal aufgehübscht.
Das Europäische Parlament hat einen eigenen Vorschlag gemacht, der 1324 Milliarden Euro an Ausgaben vorsieht. Der wird von allen Nettozahlern geschlossen als zu teuer abgelehnt. Allerdings muss das Europäische Parlament den Haushaltsrahmen noch billigen, den die EU-Elefanten in der Manege aushandeln.
Bedingungen für Auszahlungen
Ein besonderes Problem stellen Polen und Ungarn dar. Beiden Staaten wird von der EU-Kommission und den meisten Mitgliedsstaaten ein Aushöhlen des Rechtsstaats vorgeworfen. Sie sollen über das Haushaltssäckel diszipliniert werden. Je wenige Rechtsstaat desto weniger Zuschüsse lautet die Formel.
Dagegen läuft der ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán Sturm. Er verlangt einen "fairen" Haushalt, sieht er doch, dass Ungarn bei den Kohäsionsmitteln ordentlich Federn lassen soll. Orban erinnert daran, dass jedes Land ein Vetorecht hat, denn der Haushalt muss einstimmig beschlossen werden. Das "Blabla" aus Brüssel von "ausgelaugten Eliten" sei er leid, sagte Orbán kürzlich in seiner Rede zur Lage der Nation. Polen, Ungarn und andere Staaten sollen außerdem zahlen, wenn sie keine Flüchtlinge aufnehmen. Wie das genau im Haushalt funktionieren soll, ist aber noch unklar.
Gut ausschlafen
Dieser erste Sondergipfel zum Haushaltsrahmen 2021 bis 2027 hat offiziell kein Ende. Chef-Verhandlungsführer Charles Michel will ein wenig Druck machen. Seine Helfer orakeln, der Zirkus könne vier Tage dauern. Erfahrene EU-Diplomaten gehen aber davon aus, dass die Staats- und Regierungschefs spätestens am Freitag erklären, dass die Lücken noch zu groß sind und ein zweiter Gipfel gebraucht wird.
"Jeder muss zeigen, dass er gekämpft hat", sagte dazu ein EU-Diplomat. "Nachgeben kann man erst in der zweiten Runde, oder der dritten."