Neue Gefahr für das Weltklima
2. Oktober 2005Etwa ein Viertel der Erdoberfläche sind dauerhaft gefrorene Böden. Die großen Permafrostgebiete Sibiriens, Alaskas und Kanadas sind seit Jahrtausenden vereist. Kaum eine Region auf der Erde reagiert so empfindlich auf den globalen Klimawandel. Nun schlagen Klimaforscher Alarm: Neue Untersuchungen zeigen, dass in West-Sibirien das ewige Eis schmilzt. Auch wenn diese Permafrost-Schmelze noch in den Anfängen steckt, können die Folgen für Klima, Ökosysteme und Menschen langfristig dramatisch sein. Denn in der auftauenden Moorregion lagern gigantische Mengen Kohlenstoff. Wenn er zu Kohlendioxid (CO2) oxidiert oder durch Bakterien in Methan umgewandelt wird, kann er in die Atmosphäre entweichen und die globale Erwärmung weiter beschleunigen.
Thermisches Gleichgewicht gestört
Die Wissenschaftler vermuten, dass das thermische Gleichgewicht in den subarktischen Regionen Westsibiriens durch die globale Klimaerwärmung nachhaltig gestört ist.
Das periodische Auftauen und erneute Gefrieren des ewigen Eises an der Oberfläche ist für sich genommen nicht ungewöhnlich. Das Auftauen des Permafrostes wird oft von "Thermokarst" begleitet, ein Schreckenswort für viele Bewohner der arktischen Regionen. Thermokarst entsteht, wenn der aufgetaute Grund einbricht und eine von Einsturztrichtern zerklüftete, tümpelige Moorlandschaft hinterlässt. Bisher konnte sich der Permafrost in den subarktischen Regionen Westsibiriens aber immer wieder gegen Schmelzvorgänge durchsetzen.
Sergej Kirpotin von der westsibirischen Universität Tomsk Kirpotin fürchtet nun, dass diese Abfolge durchbrochen ist: "Die Permafrost-Schmelze dominiert die Rückbildung des Permafrostes. Das Gleichgewicht des Vereisungszyklus wurde zerstört."
Beunruhigende Werte
Endgültige Aussagen zur Entwicklung der Permafrost-Regionen sind aus heutiger Sicht nicht möglich, da die Zeitreihen der Messungen noch zu kurz sind. Außerdem spiegeln die heutigen Klima-Modelle die tatsächlichen Wechselwirkungen nur unzureichend wider. Dennoch sind die Klimaforscher alarmiert. Der Permafrost-Experte Volker Rachold vom Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung in Potsdam sieht in der möglichen Freisetzung gigantischer Mengen klimaschädlicher Gase eine besondere Gefahr. Das Auftauen von Permafrost habe globale Konsequenzen, weil überall in den gefrorenen Sedimenten Treibhausgase gespeichert seien. "Durch das weiträumige Auftauen von Permafrost könnten diese Treibhausgase freigesetzt werden und das globale Szenario des Treibhausgas-Effekts noch weiter verstärken."
Zeichen für Klimaerwärmung
In den vergangenen 30 Jahren sind die mittleren Temperaturen in Westsibirien um drei Grad Celsius gestiegen. In Alaska dauerte dies nach neuesten Erkenntnissen nur 15 Jahre. Auch diese Werte sind beunruhigend. Setzte sich die Erwärmung der arktischen Regionen fort, drohten dem weltweiten Klima weitere Belastungen, so Volker Rachold.
Allgemein sei die Arktis eines der Schlüsselgebiete, weil sie am sensibelsten und schnellsten auf Klimaänderungen reagiere. Darüber hinaus sei die Arktis eine Region, die einen Einfluss auf das gesamte Klima habe. "Die Arktis ist die Region, in der die globale Zirkulation der Ozeane gesteuert wird. Und diese Ozean-Zirkulation ist das, was unser Klima langfristig stabil hält. Wenn sich die Zirkulation verändert, verschiebt oder zusammenbricht, hat das katastrophale Folgen fürs Klima", erklärt der Forscher aus Potsdam.
Wirtschaftliche Konsequenzen
Aber auch die ökonomischen Folgen der Permafrost-Schmelze sind massiv, wie sich schon heute im US-Bundesstaat Alaska beobachten lässt. Das Auftauen des Bodens zerstört die Infrastruktur. Fabriken, Pipelines für Erdgas und Erdöl, Bergwerke und Atomkraftwerke sind gefährdet. Straßen legen sich in Wellen, Asphalt reißt meterweit auf, Häuser versinken im Schlamm. Welche weiteren Belastungen durch das Auftauen der Eistorfmoorgebiete mit ihren riesigen Mengen an Klimagasen entstehen würden, können heute noch nicht einmal die Forscher in ihren Rechenmodellen berücksichtigen. Dazu müssten Wissenschaftler auf der ganzen Welt den Eistorfmooren West-Sibiriens mehr Aufmerksamkeit widmen.
Politische Herausforderung
Auch in den politischen Klimaschutz-Verhandlungen gibt es bei diesem Thema Nachholbedarf, wie Wladimr Bleuten von der Universität Utrecht sagt: "Diese Moore sind ein sehr guter Puffer für den Klimawandel, weil sie dauerhaft viel mehr Kohlendioxid speichern als zum Beispiel Wälder." Wälder würden im Kyoto-Protokoll als CO2-Senker zählen, während Moore dort nicht berücksichtigt seien. Schon im Dezember böte sich auch auf politischer Ebene eine gute Gelegenheit, die rasante Permafrost-Schmelze auf die Tagesordnung zu setzen: Dann wird auf der Weltklimakonferenz in Montreal über weitere Maßnahmen gegen die globale Erwärmung verhandelt.