Neue Debatte über Abschiebungen nach Afghanistan und Syrien
4. Juni 2024Im Bundesinnenministerium wird über Wege nachgedacht, Straftäter nach Afghanistan abzuschieben. "Bundesinnenministerin Nancy Faeser lässt intensiv Möglichkeiten prüfen, wie Abschiebungen von Straftätern und Gefährdern nach Afghanistan wieder erfolgen können", erfuhr die Nachrichtenagentur Reuters aus Ministeriumskreisen.
"Sicherheitsinteresse klar vor Bleibeinteresse"
"In diesen Fällen muss das Sicherheitsinteresse Deutschlands klar gegenüber dem Bleibeinteresse des Betroffenen überwiegen", hieß es weiter. Es werde auch die "Wiederermöglichung der Rückführung" von Syrern geprüft, die schwere Straftaten begangen hätten oder als Gefährder eingestuft seien. Zugleich warnt das Innenministerium aber vor Illusionen. Angesichts der schwierigen Sicherheitslage und der Tatsache, dass keine international anerkannte Regierung in Afghanistan existiere, seien hier noch schwierige Fragen zu klären.
Auslöser der Überlegungen ist, dass am Wochenende ein aus Afghanistan stammender Mann mit einem Messer einen Polizisten in Mannheim getötet hatte. Politiker aus SPD, FDP und Unionsparteien forderten daraufhin, dass auch wieder Abschiebungen nach Afghanistan möglich sein müssten. Entsprechend hatte sich etwa bei den Sozialdemokraten der Hamburger Innensenators Andy Grote geäußert.
Für Abschiebung von Straftätern und Gefährdern
Unterstützung erhielt Grote von mehreren Unions-Landesinnenministern. "Es ist spät, aber immerhin: Hamburg und die Bundes-SPD erwachen endlich beim Thema Abschiebung", sagte etwa Sachsens Ressortchef Armin Schuster (CDU) dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND). Schuster verwies darauf, dass entsprechende Vorschläge bereits im vergangenen Jahr hätten umgesetzt werden können. Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) drängte ebenfalls auf konkrete Schritte zur Rückführung von Straftätern und Gefährdern. Er kritisierte die Bundesregierung für ihre bisherige Untätigkeit in dieser Angelegenheit und betonte die Dringlichkeit des Handlungsbedarfs.
Der Vorsitzende der Innenministerkonferenz, Brandenburgs Innenminister Michael Stübgen (CDU), äußerte sich zwar ebenfalls positiv über mögliche Fortschritte in der Debatte, betonte jedoch gleichzeitig, dass Abschiebungen allein nicht ausreichten, um sämtliche Probleme zu lösen. Es bedürfe weiterer Maßnahmen, um potenzielle Täter frühzeitig zu identifizieren und Gewalttaten zu verhindern.
Grüne: Abschiebungen rechtsstaatlich nicht möglich
Die Grünen bremsten hingegen in der Debatte. Lamya Kaddor, innenpolitische Sprecherin der Grünen-Bundestagsfraktion sagte im deutschen Fernsehen, eine Abschiebung von Straftätern nach Afghanistan sei nicht sinnvoll. Denn dort hätte ein in Deutschland verurteilter Täter unter den radikalislamischen Taliban womöglich "gar keine Strafe mehr zu befürchten". Wahrscheinlich werde er dort noch eher belohnt, so Kaddor. Sie verwies auch darauf, dass Abschiebungen nach Afghanistan wegen der Lage in dem Land derzeit rechtsstaatlich nicht möglich seien: "Wollen wir wirklich diplomatische Beziehungen mit dem Taliban-Regime in Afghanistan aufbauen und denen Geld geben, dass sie Menschen nach Afghanistan zurücknehmen?" Menschen, die in Deutschland Straftaten verübt hätten, sollten auch hier ihre Strafe bekommen, so die Grüne weiter.
Regierungserklärung vom Kanzler erwartet
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) will nun am Donnerstag im Bundestag eine Regierungserklärung zur aktuellen Sicherheitslage abgeben. Justizminister Marco Buschmann schrieb auf der Plattform X, mittlerweile lägen "klare Hinweise für ein islamistisches Motiv" des Täters von Mannheim vor. Kurz zuvor hatte die Bundesanwaltschaft verkündet, sie gehe von einer religiösen Motivation des Täters aus, und die Ermittlungen an sich gezogen. Man gehe davon aus, dass der Mann islamkritischen Menschen ihr Recht auf freie Meinungsäußerung absprechen wollte, sagte eine Sprecherin.
Bei der Tat in Mannheim hatte ein 25-Jähriger aus Afghanistan am Freitag Mitglieder der islamkritischen Bürgerbewegung Pax Europa mit einem Messer angegriffen. Ein 29 Jahre alter Polizist wurde dabei schwer verletzt und starb am Sonntag. Fünf weitere Männer erlitten teils schwere Verletzungen. Durch den Schuss eines Beamten wurde der Angreifer gestoppt. Der mutmaßliche Täter lebt seit 2014 in Deutschland. Nach Informationen der Zeitung "Die Welt" war sein Asylgesuch damals abgelehnt worden. Er bekam aber später eine befristete Aufenthaltsgenehmigung.
sti/mak (afp, dpa, rtr)