Neue bayerische Grenzpolizei geplant
19. April 2018Polizeihauptkommissar Timo Schüller steht neben der Autobahn A3, direkt an der Grenze zu Österreich. LKW nach LKW zieht vorbei. Der Lärm ist ohrenbetäubend. Der schlanke Bundespolizist in der blauen Funktionsjacke muss ziemlich laut reden, um sich verständlich zu machen. "Hier erreichen viele Flüchtlinge aus dem Nahen Osten Deutschland", sagt er. Es ist ein Teil des Migrationsweges, der oft als Balkanroute bezeichnet wird.
Schüller schaut hinüber zu einem heruntergekommenen dunkelbraunen Wachhäuschen zwischen den Fahrspuren. Ein Blick in die Vergangenheit: Das Gebäude gehört zur ehemaligen Kontrollstelle Suben. Sie befindet sich südlich des Grenzflusses Inn, also auf österreichischem Staatsgebiet. Der Checkpoint war in Betrieb, bis Österreich dem Schengener Abkommen beigetreten war, das die offenen Binnengrenzen der EU regelt. Seit 1995 ist die Grenze offen. Bis damals versahen in Suben noch Beamte der Bayerischen Grenzpolizei ihren Dienst. Sie wurde überflüssig und 1998 aufgelöst. "Jetzt sorgen wir für die Überwachung in einem 30 Kilometer breiten Streifen hinter der Grenze und wir machen da gute Arbeit", stellt Schüller fest.
Offiziell rüttelt niemand an dieser Aussage. Aber es gibt politisch Verantwortliche im Freistaat Bayern, die andeuten, dass es vielleicht doch noch besser gemacht werden müsste. Die Zukunft der Grenzüberwachung, wie sie sich die bayerische Staatsregierung denkt: Vor kurzem hat der neue bayerische Ministerpräsident, Markus Söder (CSU) angekündigt, wieder eine eigene Bayerische Grenzpolizei aufstellen zu wollen. "Wir packen an!", verspricht der Ministerpräsident. "Mit unseren unseren neuen Grenzpolizeieinheiten werden wir die illegale Migration, menschenverachtende Schleuserbanden und grenzüberschreitende Kriminelle noch besser bekämpfen", führt sein Innenminister Joachim Herrmann (CSU) aus. 1000 Stellen sind für die Neuauflage der Truppe geplant.
Flüchtlingskrise und Kontrollverlust
Timo Schüller kennt diese Pläne "aus den Medien". Irgendwie politisch einordnen wolle er sie nicht. Aber er stellt mit schmalen Lippen klar: "In Deutschland ist die Bundespolizei für den Grenzschutz zuständig." Das stehe auch so im Gesetz über die Bundespolizei. Das ist gegenwärtig der Alltag: Im grenznahen Raum patrouillieren Bundespolizisten in Uniform und zivil. Sie dürfen Autos, die sie verdächtig finden, ohne konkreten Anlass anhalten und kontrollieren. Das Überwachungs- und Fahndungssystem wird häufig als Schleierfahndung bezeichnet. Daran beteiligt sich auch die bayerische Polizei. Nur dass die Landespolizisten Asylsuchende, Illegale und Schleuser nach der Festnahme an die Bundespolizei übergeben. Eine Frage der Zuständigkeit.
Denn auch mit Schengen hat die Überwachung des Grenzraums nicht aufgehört - die Bürger sollten einfach nur das Gefühl haben, das Staatsgrenzen unwichtig sind. Doch inzwischen hat sich die Gefühlslage verändert. Schüller setzt sich wieder in seinen weißen Dienstwagen mit den blauen Streifen. Er will zeigen, wo die Vergangenheit die Bundespolizei schon eingeholt hat.
Im Südosten Deutschlands, in Niederbayern, ist das Thema Grenzschutz außerordentlich sensibel. Die Region hat Situationen erlebt, die für viele einer Katastrophe nahe kamen, als ab Ende September 2015 hunderttausenden Flüchtlingen aus dem Nahen und Mittleren Osten die Einreise gestattet wurde. Jeder in der Gegend hat sofort wieder die Bilder von damals präsent. Ein nicht abreißender Strom von hilfesuchenden Migranten. Alle haben damals mitgeholfen, das Drama zu bewältigen. Bis zur Erschöpfung: Bundes- und Landespolizei, die Bundeswehr und zigtausende Freiwillige Helfer. Ein gewaltiger Kraftakt, bei dem enorm vielen Flüchtlingen geholfen werden konnte. Aber viele Bürger hatten danach ein das bleibende Gefühl, dass Politik und Behörden irgendwie die Kontrolle verloren hatten. Vertrauen in bestehende Strukturen ging verloren.
Sicherheit und Grenzpolizei als Wahlkampfthema
Gerhard Waschler vertritt den Wahlkreis Passau-Ost im bayerischen Landtag. Der CSU-Politiker hat bei der letzten Bundestagswahl miterleben können, wie sich das Gefühl der Unsicherheit in der Grenzregion auf die Wähler auswirkt. Die rechtspopulistische AfD hat enorm zugelegt. "Die Sache mit der bayerischen Grenzpolizei trifft auf überwältigende Zustimmung", freut sich der Abgeordnete. Man wisse aus Umfragen, dass Sicherheit das wichtigste Thema für die Menschen in Bayern sei und "mit der Grenzpolizei erhöhen wir die ganz konkret."
Sein Landtags- und Parteikollege aus Passau-West, Walter Taubeneder hofft, dass die "unzähligen Grenzübergänge nach Österreich und Tschechien bald besser überwacht werden." Die Bundespolizei konzentriere sich ja hauptsächlich auf die Autobahnen. Taubeneder ist ganz gespannt, wie das Konzept zur Grenzpolizei aussehen wird, "daran wird ja noch gearbeitet". In seiner jüngsten Regierungserklärung hat Ministerpräsident Söder von "mehr als nur Schleierfahndung plus" gesprochen und auch von "neuer Drohnentechnik". Erfreulich für die beiden Passauer Abgeordneten ist, dass die Zentrale der Grenzpolizei am 1. Juli in ihrer Stadt eröffnet werden soll - und dass sie das Thema Sicherheit im anstehenden Landtagswahlkampf mit einem ganz konkreten Projekt bespielen können.
"Da trifft die bayerische Staatsregierung tatsächlich einen Nerv", gesteht Christian Flisek ein. Der SPD-Politiker war in der letzten Legislaturperiode ein profilierter Innenpolitiker im Bundestag. Im Oktober strebt er jetzt einen Sitz im Landesparlament an. Mehr Sicherheitskräfte im Grenzraum lehnt er nicht ab, die Neuauflage der Grenzpolizei ist ihm aber einigermaßen suspekt. "Das soll den Leuten sagen, Merkel hat versagt, der Bund hat versagt, jetzt nehmen wir die Angelegenheit eben wieder in die eigenen Hände - aber eigentlich ist es ein Etikettenschwindel", kritisiert Flisek. An den derzeitigen Zuständigkeiten im Grenzraum werde sich nichts ändern, eine neue Organisation, eine neue Uniform und Abzeichen, aber die gleichen Befugnisse wie der Rest der Landespolizei. "Das ist Symbolpolitik, genau wie die festen Grenzkontrollen, die sie in Bayern wieder eingeführt haben."
Fahrzeugkontrolle im Schafszelt
Zehn Kilometer hinter der Grenze zu Österreich hat die Bundespolizei Ende 2015 einen neuen Kontrollpunkt aufgebaut. Auf einem Parkplatz. Die bayerische Staatsregierung wollte das, damit menschenverachtenden Schleusern, illegalen Migranten und sonstigen Euro-Kriminellen das Handwerk gelegt wird. Und natürlich damit die Bevölkerung spürt, dass man ihre Sorge um die Sicherheit ernst nimmt - indem man es wie früher macht. Drei solcher Checkpoints an Autobahnen die nach Bayern führen, machen das Streben nach mehr Sicherheit derzeit sichtbar. Allerdings fällt dadurch auch stärker auf, dass an den vielen anderen Übergängen niemand steht. Daran wird auch eine neue Grenzpolizei nichts ändern - denn auch die wird künftig keine Einreisekontrollen machen dürfen.
Auf der A3 selbst führt die Kontrollstelle dazu, dass der Verkehr ziemlich häufig stockt. Symbolpolitik hat ihren Preis. "Die Verkehrsbehinderung ärgert besonders die Pendler", weiß Georg Perl, der Leiter der Kontrollstelle. Die Arbeit hier ist anstrengend und personalintensiv. Er und seine Kollegen schauen sich normalerweise jedes vorbeifahrende Auto an - ein Verkehrsleitsystem regelt den Verkehr auf Schrittgeschwindigkeit herunter. Traditionelle Einreisekontrolle: Verdächtige Fahrzeuge werden auf die Seite gewunken und von einem Team in einem großen weißen Tunnelpavillon - eigentlich für Tierherden draußen konstruiert - genauer untersucht. Jetzt ist der Pavillon aber leer. "Wenn der Verkehr sehr stockt, dann machen wir eine Pause bei den Kontrollen, damit er wieder in Gang kommt", erklärt Perl.
Gehen ihm denn dann nicht all die Schleuser und Illegalen durchs Netz, die nach Deutschland wollen? Perl grinst. "Heute hatten wir wieder einen Kofferraum mit verbotenen Hundewelpen - höchstens acht Wochen alt", sagt der Bundespolizist. Die Schleuserbanden wissen, dass die Beamten hier stehen. Die Menschentransporte können über einen der zahlreichen anderen Übergänge in der Region abgewickelt werden. Aber Perl geht trotzdem so Einiges ins Netz. "Wir haben hier viele Treffer bei Personen die zur Fahndung ausgeschrieben sind, oder Verkehrsdelikte, aber eher weniger Fälle mit Migrationshintergrund." Solche Fälle überstellt er der Landespolizei. Perl nennt es "Beiwerk".