Netanjahu und die Anklage unter Vorbehalt
4. März 2019Zwei Jahre lang haben Ermittler im Umfeld des israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu wegen Korruption ermittelt. Es kam deshalb nicht unbedingt überraschend für die meisten Israelis, als Generalbundesanwalt Avichai Mandelblit am Donnerstag seine Absicht kund tat, Netanjahu in drei Korruptionsfällen anzuklagen. Untreue, Betrug und Bestechlichkeit lautet die Anklage unter Vorbehalt.
Details über die Fälle waren schon zuvor immer wieder in der Presse zu lesen - doch jetzt, sechs Wochen vor den vorgezogenen Wahlen, wurde auch der Zeitpunkt zum Politikum. Denn nun stellt sich die Frage, ob sich die Stammwähler Netanjahus davon beeinflussen lassen.
Eine ganze Armada von Rechtsexperten im Amt des Generalbundesanwalts war in den vergangenen Monaten erneut die Ermittlungsakten durchgegangen, um die Empfehlungen der Polizei zu überprüfen. Die hatte zwei Jahre lang Sachverhalte geprüft und Zeugen verhört, und eine Anklage in drei Korruptionsfällen empfohlen. Generalbundesanwalts Mandelblit kam nun zu dem Schluss, Netanjahu wegen Bestechlichkeit im sogenannten "Fall 4000" anzuklagen.
Dabei geht es um mutmaßliche Absprachen zwischen Shaul Elovitch, einem Shareholder des Telekommunikationskonzern Bezeq, der im Gegenzug positive Berichterstattung beim firmeneigenen Internet-Nachrichtenportal "Walla" ermöglicht haben soll. Netanjahu war damals auch Kommunikationsminister.
In zwei weiteren Verdachtsfällen soll der Premier wegen Veruntreuung und Betrug angeklagt werden - wegen der Annahme luxuriöser Geschenke von Geschäftsleuten und einem weiteren Fall von Einflussnahme auf mehr "positive" Berichterstattung bei einer der größten israelischen Tageszeitungen.
Schwieriger Zeitpunkt wegen Wahltermin
Die Entscheidung ist vorläufig: Nach israelischem Recht hat der Verdächtige das Anrecht auf eine Anhörung. Bis es dazu kommt, können aber mehrere Monate vergehen. Auch deshalb kritisierte Netanjahu das Vorgehen. Der Premier spricht von einem Komplott der "Linken", die Regierung übernehmen zu wollen und von einem Versuch, die Wahl zu beeinflussen. Die Generalstaatsanwaltschaft sei vor dem Druck der "Medien" eingeknickt, sagte Netanjahu und wies erneut alle Schuld von sich.
"Von einem legalen Standpunkt aus betrachtet hatte der Generalbundesanwalt keine andere Wahl als seine Entscheidung jetzt mitzuteilen, und das war nicht wenige Tage vor der Wahl sondern mehrere Wochen", sagt Guy Lurie, Forscher am "Israel Democracy Institute". Das sei der Professionalität des Amtes geschuldet. Mandelblit habe zudem in ungewöhnlich transparenter Weise die Positionen zur Entscheidungsfindung dargelegt, die in einem mehrseitigen Dokument veröffentlicht wurden.
Benjamin Netanjahu hatte im Dezember entschieden, die ursprünglich für November 2019 geplante Wahl vorzuziehen. Zu dem Zeitpunkt hatte er alle Chancen, mit seinem national-religiösen rechten Bündnis erneut Ministerpräsident zu werden.
Immerhin halten auch 42 Prozent der Israelis den Zeitpunkt der Ankündigung durch den Generalbundesanwalt als problematisch an, so neuste Umfragen. Ein Drittel der Befragten aber würde wiederum gerne den sofortigen Rücktritt von Netanjahu sehen. Auch unter Passanten in Jerusalem ist die Stimmung gemischt: "Natürlich war es wichtig, das der Generalbundesanwalt seine Entscheidung vor der Wahl bekannt gemacht hat", sagt zum Beispiel Simona Biron. "Warum sollte ich jemanden wählen, der korrupt ist. Ich hoffe, die Wahl bringt uns etwas Neues."
Ein anderer Passant, der lieber anonym bleiben will, meint Avichai Mandelblit hätte besser bis nach den Wahlen warten sollen, weil ohnehin so wenig Vertrauen in die Justiz herrsche und dies als Einmischung in die Politik gesehen werden könnte. Die Entscheidung habe seine Meinung aber dennoch beeinflusst: Er habe "Netanjahu unterstützt, aber jetzt wohl nicht mehr ganz so stark", meint er.
Auch Touristenführer Moshe findet den Zeitpunkt der Veröffentlichung problematisch, der aber letztlich darauf zurückzuführen sein, dass Netanjahu auf die vorgezogenen Wahlen gedrängt habe. "Es könnte die Leute beeinflussen, die sich nicht ganz sicher waren, Likud zu wählen und jetzt eher zu Gantz und Lapid tendieren", sagt er. Moshe findet nach wie vor, dass Netanjahu ein guter Ministerpräsident ist, aber es gäbe offenbar tatsächlich Probleme. "Ich denke, es ist nie gut wenn eine Person und eine Regierung zu lange an der Macht sind, das ist nicht gut für eine Demokratie."
Umfragentief trifft Likud
Erste Auswirkungen auf das Wahlergebnis waren bereits am Freitagabend in den Abendnachrichten zu sehen: Bei der Frage, für wen Israelis ihre Stimme abgeben würden, wenn heute Wahlen wären, verlor Netanjahu's Likud-Partei zwischen sechs und sieben Sitze.
Bis dato stand für den rechten Block, also dem Zusammenschluss aus Likud mit den ultra-rechten, national-religiösen und orthodoxen Parteien, nie infrage, auch bei Stimmenverlust eine komfortable Mehrheit der 61 von den 120 Knessetsitzen zu erreichen. Doch zu viele Stimmen darf Netanjahu nicht verlieren. Am Ende geht es im israelischen Wahlsystem darum, wer die beste Möglichkeit hat, eine Koalitionsregierung zu bilden. Fraglich ist auch, ob mit zunehmendem politischen Druck Netanjahus Koalitionspartner ihm auch tatsächlich alle die Treue halten.
Von diesen Wählerstimmen profitiert laut Umfragen das neue Mitte-rechts Bündnis "Blau-Weiss" des ehemaligen Armeechefs Benny Gantz. Der hatte schon in den vergangenen Wochen hohe Umfragewerte erzielt und sich gemeinsam mit seinem Bündnispartner Jair Lapid von der Zukunftspartei als aussichtsreichste Herausforderer Netanjahus etabliert.
Mit den Worten "Israel verdient etwas Besseres" hatte Gantz, der lange auch unter Netanjahu als Generalstabschef gedient hat, auf die Ankündigung reagiert. Es sei ein "trauriger Tag für Israel" und Netanjahu sollte sein Amt ruhen lassen - zumindest bis seine Schuld oder Unschuld geklärt sei. Noch ist aber auch unklar, ob die blau-weiße Allianz genügend Sitze in der Knesset zusammenbekommt, um eine Koalition zu bilden.
Nach israelischem Recht kann Netanjahu - trotz des Verfahrens gegen ihn - weiterhin im Amt bleiben und auch erneut kandidieren. Der Fall Netanjahu ist auch für die israelische Justiz ein Präzedenzfall, weil erstmals ein Ministerpräsident unter Anklageabsicht steht, der noch im Amt ist. Als der frühere Regierungschef Ehud Olmert 2008 unter Korruptionsverdacht stand, war dieser schon vor der Anklageverkündung zurückgetreten - der politische Druck war damals zu groß geworden.