Nemonte Nenquimo: Die indigene Siegerin
2. Oktober 2020"Das ist ein noch nie dagewesener Sieg! Unser Volk hat die Regierung besiegt. Nutzen wir den Sieg für drei Millionen Hektar mehr." Mit diesem Tweet feierten die Waorani 2019 die Entscheidung des Provinzgerichts von Pastaza in Ecuador, das die Förderung von Erdöl in ihrem Stammesgebiet im Amazonas-Regenwald untersagt hatte.
Es war das Ende einer langen juristischen Auseinandersetzung zwischen dem indigenen Volk und der ecuadorianischen Regierung, die in dem Siedlungsgebiet der Waorani 180.000 Hektar zur Erdölförderung freigegeben hatte. Zu verdanken hatten sie diesen historischen Erfolg ihrer charismatischen Anführerin Nemonte Nenquimo, die für ihren Einsatz zum Schutz ihres Volkes vom "Time Magazin" in die diesjährige Liste der einhundert einflussreichsten Personen der Welt aufgenommen wurde.
Indigene Identität
Die Klage gegen die Regierung hatte die Organisation Alianza Ceibo eingereicht, in der sich vier indigene Völker zusammengeschlossen haben. Nemonte Nenquimo war 2015 Mitbegründerin dieser Allianz.
Die heute 35-jährige Sprecherin der Waorani ist in der Gemeinde Nemonpare am Curaray-Fluss aufgewachsen, wo ihre Familie bis heute lebt. Die Eltern schickten sie auf eine Missionsschule außerhalb des Dorfes. Sie fühlte sich jedoch von den Missionaren gezwungen, ihre Sprache und ihre indigene Identität aufzugeben. Nemonte brach die Schule ab und kehrte in ihr Dorf zurück.
2018 wurde sie als erste Frau zur Präsidentin von "Conconawep" gewählt, der Organisation der Waorani in Pastaza. In der diesjährigen Time-100-Liste vom 22. September steht Nemonte Nenquimo in der Kategorie "Leaders" unter anderem neben der demokratischen US-Vizepräsidentschaftskandidatin Kamala Harris, Bundeskanzlerin Angela Merkel und EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen.
Für Nenquimo ist das "eine Anerkennung nicht nur für das Volk der Waorani im Amazonas, sondern für alle indigenen Völker der Welt, die ihr Land und ihr Leben verteidigen. Ich fühle mich sehr ermutigt, das gibt mir Kraft und Hoffnung."
Ölindustrie auf dem Vormarsch
Das Siedlungsgebiet der Waorani ist eine der letzten noch fast unberührten Regionen des Amazonas-Urwaldes in Ecuador. Die rund 5000 Angehörigen des Volkes leben auf einem Gebiet von rund 600.000 Hektar, das von zahlreichen Flüssen durchzogen ist. Die östliche Hälfte des Gebietes liegt im Yasuní-Nationalpark.
Der Plan der ecuadorianischen Regierung, die Erdölvorkommen in diesem Gebiet unangetastet zu lassen, wenn die internationale Staatengemeinschaft das Land im Gegenzug für die entgangenen Öleinnahmen entschädigt, war 2013 gescheitert. Als Reaktion darauf öffnete der damalige Präsident Rafael Correa das Naturschutzgebiet für die Ölindustrie - mit verheerenden Folgen für die Umwelt.
In den noch nicht erschlossenen Siedlungsgebieten der Waorani bilden Jagd, Fischfang und Landwirtschaft die Lebensgrundlage der Waldbewohner. Inzwischen sind auch Tourismus und die Ölindustrie zu einer wichtigen Einnahmequelle geworden. So arbeiten viele Waorani als Wachleute, Träger, Bootslenker, Hilfsköche oder Dolmetscher. Die Ölförderung wird allerdings zunehmend als Bedrohung für die Existenz der Waorani gesehen.
"2019 habe ich im Namen der Waorani Klage eingereicht gegen die Ölfördervorhaben der ecuadorianischen Regierung. Es ging konkret um das als Block 22 ausgewiesene Gebiet, in dem die Waorani-Gemeinschaften von Pastaza leben. Die Regierung wollte dieses Gebiet an Erdölfirmen verkaufen. Aber wir Waorani waren dazu nicht konsultiert worden. Unser Recht auf Leben und Natur wurde nicht respektiert", sagt Nemonte Nenquimo.
Natur für künftige Generationen bewahren
2012 waren Vertreter der Regierung nach Pastaza geflogen, hatten den Menschen versprochen, mit den Ölfirmen werde der Wohlstand in die Region kommen. Die von den Waorani unterschriebenen Anwesenheitslisten wurden von der Regierung später als vermeintlicher Beweis für die Zustimmung zu dem Projekt gewertet.
Der Block 22 deckt 16 Prozent des Siedlungsgebietes der Waorani. Das Gericht in Pastaza kam 2019 zu dem Schluss, dass die Waorani von der Regierung und den Ölfirmen betrogen worden waren. Mit dem Urteil hat zum ersten Mal in der Geschichte Ecuadors ein indigenes Volk Recht bekommen. Das Verfassungsgericht in Quito hat das Urteil später bestätigt.
"Oft denken die Menschen in den Städten, dass die Ureinwohner den Wald besitzen, ohne ihn zu nutzen. Das ist ein sehr kapitalistisches Denken. Unsere indigene Sichtweise ist, dass wir Mutter Erde respektieren. Denn sie gibt uns alles, was wir brauchen: Wasser, Nahrung, Fische, Heilpflanzen, Raum und Luft. Als indigene Völker sind wir überzeugt, dass wir die Natur für künftige Generationen bewahren müssen", so die Waorani-Anführerin gegenüber der DW.
Ungewisse Zukunft
Der Schutz des Waldes sei aber auch für das Klima wichtig, fährt Nenquimo fort: "Die Weißen halten sich für entwickelt und reden viel über Technologie. Aber sie wissen nicht, wie die Welt in Zukunft aussehen wird. Sie hinterlassen ihren Kindern keine lebenswerte Welt. Dagegen kämpfen wir. Ich bin sehr glücklich, dass das 'Time Magazin' unsere Werte, unseren Kampf anerkennt."
Dieser Kampf wird auf Seiten der Waorani besonders von den Frauen geführt, betont Nemonte Nenquimo: "Überall auf der Welt müssen Frauen, nicht nur indigene Frauen, die Führung beim Aufbau der Zukunft übernehmen. Für unsere Kinder, damit sie gut, gesund, ohne Krankheiten und ohne Umweltverschmutzung leben können."
Dass sie jetzt zu den einhundert einflussreichsten Personen der Welt zählt, ermutigt Nemonte Nenquimo, ihr Engagement für die Zukunft der Waorani fortzusetzen. Sie weiß, dass das Gerichtsurteil von 2019 keine absolute Sicherheit bedeutet.
"Menschen, die kommen, um unsere Wälder zu verschmutzen, um Öl zu fördern, Bäume zu fällen und zu verbrennen oder unser Wasser zu verschmutzen, sind nicht willkommen. Aber Menschen, die aus verschiedenen Ländern kommen und uns unterstützen und den Wald erhalten wollen, sind willkommen. Unser Haus ist offen."