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NATO will Osteuropa besser schützen

Bernd Riegert3. September 2014

"Abschreckung" ist wieder angesagt. Die NATO setzt auf stärkere Truppen an ihrer Ostgrenze. Der NATO-Gipfel in Wales will Russland den Appetit auf militärische Abenteuer in Europa nehmen.

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Rasmussen PK zu Ukraine 01.09.2014
NATO-Generalsekretär Rasmussen: Bündnis muss sich anpassenBild: Reuters

Auch diesen Gipfel wird man wohl wieder historisch nennen, mutmaßten hohe NATO-Diplomaten bei der Vorbereitung des zweitätigen Treffens in Großbritannien. Historisch deshalb, weil die NATO wegen der Ukraine-Krise und der zunehmenden Konfrontation mit Russland einen völligen Wechsel ihrer Prioritäten einleiten wird. Die letzten 13 Jahre hat sich die Allianz vor allem mit dem Afghanistan-Einsatz auf Krisenbewältigung außerhalb des Bündnisgebietes konzentriert, jetzt geht es wieder um Landesverteidigung in Europa. Ende 2014 soll die NATO-Kampfmission in Afghanistan durch eine viel kleinere Ausbildungsmission abgelöst werden.

"Wir machen uns bereit für die nächste Phase der NATO", umschreibt der Oberbefehlshaber der NATO in Europa, US-General Philip Breedlove, die Situation. "Wir werden von einer Truppe im Auslandseinsatz zu einer Truppe in Bereitschaft. Wir bringen die stationierte Truppe nach Hause, sparen dadurch natürlich Geld ein und nehmen Teile davon, um in bessere Ausbildung und Übungen zu investieren." Der Generalsekretär der NATO, Anders Fogh Rasmussen, hatte in den letzten Wochen immer wieder harte Töne gegenüber Russland angeschlagen. Er sieht die künftige Rolle der NATO so: "Wir sind nicht naiv, noch geben wir uns Illusionen hin. Wir haben damit umzugehen, dass Russland uns als Gegner betrachtet. Daran werden wir uns anpassen."

NATO will "leicht reisen und hart zuschlagen"

Die 28 Staats- und Regierungschefs der NATO werden in Newport beschließen, die Reaktionskräfte zu verstärken und wahrscheinlich fünf vorgeschobene Waffen- und Materiallager in den baltischen Staaten und Polen aufzubauen. Zusätzlich wird eine "Speerspitze" dieser Reaktionskräfte eingerichtet, die ständig in Alarmbereitschaft sein soll, kündigte NATO-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen in Brüssel vor dem Gipfeltreffen an. "Diese Truppe kann mit leichtem Gepäck reisen, aber trotzdem hart zuschlagen, falls das nötig ist", so Rasmussen. Die "Speerspitze" soll nur einige hundert Soldaten umfassen und in zwei, drei Tagen eingesetzt werden können. Diese schnelle Eingreiftruppe würde rotierend jeweils ein NATO-Staat stellen. Danach kämen mehrere tausend Soldaten in den NATO-Reaktionskräften, die aus multinationalen Verbänden bestehen und zurzeit mehrere Wochen brauchen, um vor Ort kampfbereit zu sein.

NATO-Truppen-Landung in Litauen im April 2014 (Foto: AFP)
NATO-Übung in Litauen (April 2014): Mehr Präsenz zeigenBild: AFP/Getty Images

"Wir glauben, so eine Reaktions-Truppe in hohem Alarmierungszustand hätte eine große abschreckende Wirkung", sagte NATO-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen und hantierte mit Vokabeln aus dem überwunden geglaubten Kalten Krieg. "Das Problem war bisher die Reaktionszeit", so der ehemalige NATO-General Harald Kujat. Die soll nun entscheidend verkürzt werden, um ein Gegengewicht zu russischen Truppen zu bilden, die die östlichen NATO-Staaten bedrohen könnten. "Natürlich muss man auch immer daran denken, dass dann weitere Truppen in diese Länder verlegt werden müssten. Aber auch Russland braucht eine gewisse Zeit, um überhaupt angriffsfähig zu sein. Wenn man ein wirksames Frühwarnsystem hat, dann kann man das durchaus ausgleichen", sagte General a.D. Kujat im Gespräch mit der DW.

Harald Kujat, General a.D. (Foto: Karlheinz Schindler)
General a. D. Harald Kujat: Russland einbindenBild: picture alliance/ZB

Festhalten am NATO-Russland-Vertrag

Die baltischen Staaten und Polen hatten verlangt, NATO-Truppen permanent auf ihren Gebieten zu stationieren. Der estnische Präsident Thomas Hendrik Ilves warnte am Dienstag vor einer "Zwei-Klassen-NATO", wenn die östlichen Mitglieder nicht auch permanente NATO-Basen erhielten. Das lehnen die westlichen NATO-Länder ab. Die NATO werde sich an den Grundlagenvertrag zwischen Russland und der Allianz halten, sagte Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen. Dort hatte die NATO im Jahr 1997 einseitig erklärt, sie werde keine größeren Einheiten dauerhaft in ehemaligen Mitgliedsstaaten des kommunistischen Militärbündnisses "Warschauer Pakt" stationieren. NATO-Generalsekretär Rasmussen sieht allerdings, dass sich Russland mit seinem aggressiven Vorgehen gegen die Ukraine und der Annexion der Krim kaum um den Vertrag mit der NATO schert: "Wir haben leider beobachtet, dass Russland eklatant gegen alle Grundsätze der NATO-Russland-Grundakte verstößt. Wir fordern Russland dringend auf, das zu ändern."

Estland Präsident Hendrik Ilves (Foto: Markku Ulander)
Kein NATO-Land zweiter Klasse: Estlands Präsident IlvesBild: picture-alliance/dpa

"NATO macht Fehler"

Beim vorletzten Gipfeltreffen der NATO in Lissabon im Jahr 2010 war der russische Präsident noch dabei. Man traf sich zum gemeinsamen NATO-Russland-Rat auf höchster Ebene. Das scheint jetzt nicht mehr möglich zu sein. Die NATO hatte den russischen Präsidenten wegen der Ukraine-Krise gar nicht erst eingeladen. Auf die Frage einer Reporterin, ob die Russen überrascht sein sollten, dass sie nicht eingeladen wurden, antwortete Generalsekretär Rasmussen lachend: "Nein, das glaube ich nicht!" Die Beziehungen zu Russland sind auf einem Tiefpunkt angekommen. Das kritisiert der ehemalige NATO-General Harald Kujat scharf. Er wirft der NATO eklatante Fehler vor. Der NATO-Russland-Rat, der ja extra für den Dialog auch in kritischen Zeiten geschaffen wurde, werde nicht einberufen, so Kujat. "Es ist eigentlich ein ganz wirksames Mittel zur Konfliktvorbeugung und auch zur Krisenbewältigung. Leider ist dieses sehr gute Instrument zur Krisenbewältigung überhaupt nicht genutzt worden von der NATO. Man hätte damit eine ganze Menge zur Beruhigung und Stabilisierung der Lage in der Ukraine beitragen können."

Der ukrainische Präsident Petro Poroschenko ist eingeladen worden. Er dürfe aber nicht zu viel erwarten, warnen NATO-Diplomaten. Die Ukraine sei kein NATO-Staat und werde es auch in absehbarer Zeit nicht werden, trotz theoretischer Beteuerungen, dass die Tür weiter offen sei. "Eine Mitgliedschaft der Ukraine ist kein Thema", hatte US-Präsident Barack Obama bei seinem Besuch in Brüssel schon im März nach der Annexion der Krim durch Russland gesagt. Auch Waffenlieferungen an die ukrainische Armee lehnen die NATO-Staaten in ihrer Mehrheit ab. "Wir helfen beim Ausbilden und Reformieren der Armee, aber wir verteidigen nur Mitgliedsstaaten", sagte ein hochrangiger NATO-Diplomat in Brüssel.

Nachfolge-Mission in Afghanistan unsicher

Obwohl es in Afghanistan immer noch keinen handlungsfähigen Präsidenten gibt, geht NATO-Generalsekretär Rasmussen davon aus, dass ein Stationierungsabkommen für 15.000 Soldaten einer ISAF-Nachfolgemission noch rechtzeitig unterschrieben werden kann. "Ich bin ermutigt, weil beide Präsidentschaftskandidaten erklärt haben, dass sie die notwendigen Verträge unterschreiben würden, sobald sie im Amt wären. Deshalb bin ich zuversichtlich, dass wir wie geplant eine Trainings-Mission in Afghanistan am 1. Januar 2015 einrichten können." Mittlerweile sind nur rund 30.000 ISAF-Truppen in Afghanistan, davon 1900 Bundeswehrsoldaten. Der Abzug laufe planmäßig, so die NATO.

Zum Schluss des Gipfeltreffens in Wales geht es natürlich auch um Geld. Die USA beklagen seit Jahren, dass die europäischen Staaten bis auf wenige Ausnahmen nicht genug Geld für ihre Verteidigung ausgeben. Im Gegenteil: Die Ausgaben schrumpfen, europäische Armeen wurden radikal abgerüstet und umgebaut. Das räche sich nun, so der Ex-General Harald Kujat, da man wieder Kräfte für die Landesverteidigung in Europa brauche. NATO-Generalsekretär Rasmussen ist optimistisch, denn die verstärkte NATO-Reaktions-Truppe muss ja schließlich bezahlt werden. "In Wales erwarte ich Verpflichtungen, die Verteidigungsausgaben zu erhöhen, da sich die Wirtschaftslage ja erholt."