Solidarität mit Osteuropa
5. September 2014Das NATO-Land Polen, das an die russische Exklave Königsberg grenzt, hatte sich eine permanente Truppenbasis der NATO im Osten des Landes gewünscht, um Russland den Verteidigungswillen der NATO zu signalisieren. Daraus wird nichts. Die NATO werde sich an den Grundlagenvertrag zwischen der Allianz und Russland aus dem Jahr 1997 halten, der größere permanente Basen auf dem Gebiet des ehemaligen Warschauer Paktes ausschließt, sagte Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen am Freitag nach dem Gipfeltreffen der 28 Mitgliedsstaaten in Newport in Großbritannien. Die NATO halte daran fest, auch wenn Russland die Prinzipien aus dem Vertrag mit seinem Vorgehen gegen die Ukraine verletzt habe, stellte auch Bundeskanzlerin Angela Merkel klar.
Sozusagen als Trostpreis durfte der polnische Präsident Bronislaw Komorowski auf einer Pressekonferenz mit Rasmussen verkünden, das Polen den nächsten NATO-Gipfel in Warschau ausrichten wird. "Das ist ja auch ein wichtiges Zeichen", sagte dazu der Generalsekretär. Statt mit permanent stationierten Landstreitkräften will die NATO Russland künftig mit einer verbesserten Version ihrer sogenannten Reaktionskräfte (NRF) abschrecken. Die NRF, die es im Prinzip schon seit Jahren für weltweite Interventionen gibt, soll verstärkt werden und statt nach 60 Tagen bereits nach 30 Tagen kampfbereit sein. Zusätzlich soll eine Truppe installiert werden, die innerhalb von 48 Stunden aus den alten NATO-Staaten in die östlichen Mitgliedsländer, also das Baltikum, Polen und Rumänien verlegt werden kann, kündigte Rasmussen an.
Neue "Speerspitze" soll Russland abschrecken
"Wir haben beschlossen, eine neue Truppe als eine Art Speerspitze innerhalb der sowieso bestehenden Reaktions-Kräfte zu bilden. Diese Eingreiftruppe wäre ständig einsatzbereit und könnte kurzfristig eingesetzt werden. Diese Speerspitze wird einige Tausend Soldaten umfassen, die innerhalb weniger Tage eingesetzt werden können, mit Unterstützung von Marine, Luftwaffe und Spezialtruppen." Außerdem will die NATO in Estland, Litauen, Lettland, Polen und Rumänien Material- und Munitionsdepots einrichten, auf die die Reaktions-Truppe im Falle eines Falles dann zugreifen soll. Man hoffe natürlich, dass dieser Fall nie eintreten werde, betonte Bundeskanzlerin Merkel.
Welches Land wie viele Truppen für die Speerspitze stellen wird, ist noch nicht ganz klar. Großbritanniens Premier David Cameron, bot schon einmal 3.500 britische Soldaten an. "Russland trampelt illegal über die Ukraine hinweg. Wir müssen unseren osteuropäischen Mitgliedsstaaten versichern, dass wir immer zu unserer Verpflichtung zur kollektiven Selbstverteidigung aus Artikel 5 des NATO-Vertrages stehen werden. Wir müssen künftig schneller reagieren können", sagte Cameron in Newport.
Die deutsche Bundeswehr werde zunächst einmal ihr Personal im einzigen NATO-Hauptquartier auf polnischem Boden von 200 auf 260 verstärken, bestätigte die Bundeskanzlerin. "Wir werden dort erheblich aufstocken und die Funktionalität dort erheblich verbessern. Es geht im Kern immer darum, dass schnell reagiert werden kann auf äußere Herausforderungen", sagte Merkel. Das Hauptquartier in Stettin, einer polnischen Hafenstadt an der deutschen Grenze, führt das internationale dänisch-polnisch-deutsche Korps.
"Deutschland sollte sich engagieren"
Der britische Militär-Analyst Professor Michael Clarke empfahl im Gespräch mit der DW, dass sich Deutschland in der aufgestockten neuen Landstreitmacht der NATO stärker engagieren müsse. Die Bundesrepublik sei in Europa der Kern der neuen NATO. "Das wichtigste, was Deutschland beisteuern könnte, wäre die Teilnahme an militärischen Manövern, um zu üben, wie deutsche Soldaten an die Grenzen der NATO verlegt werden können. Die Grenzen der NATO sind erheblich länger, jetzt, wo die NATO 28 Mitglieder hat und nicht mehr nur 16." Wie die anderen Mitgliedsländer hat Deutschland in den letzten Jahren seine Armee reduziert und auf Spezialaufgaben, nicht aber auf die Landesverteidigung ausgerichtet. Dieser Trend müsse jetzt umgekehrt werden, auch wenn das Geld koste, sagte Clarke.
Russland lasse sich von der Glaubwürdigkeit der NATO wohl nur durch sichtbare Panzer und Soldaten, nicht aber nur durch virtuelle Truppen in Bereitschaft überzeugen. "Die russische Führung schaut immer auf die Landstreitkräfte. Sie beurteilen Schlagkraft noch so wie im letzten Jahrhundert, während wir Macht in diesem Jahrhundert auch ökonomisch und psychologisch beurteilen. Es ging uns nicht mehr so sehr um tatsächliche physische Macht. Erst wenn wir wieder diese wirklichen Streitkräfte aufstellen, werden die Russen uns ernst nehmen."
NATO will irakische Soldaten ausbilden
Die NATO will nicht nur auf die neue Bedrohung aus Russland, sondern auch auf die Krisen im Irak und Syrien angemessen reagieren können, sagte Generalsekretär Rasmussen. Dort wird die Allianz aber keine eigenen Truppen einsetzen oder in Bereitschaft halten. Der irakischen Regierung wurde für den indirekten Kampf gegen die Terrororganisation "Islamischer Staat" (IS) angeboten, eine 2011 abgebrochene Ausbildungsmission der NATO im Irak wieder aufzunehmen. Noch liegt aber keine entsprechende Anfrage der irakischen Regierung vor. IS-Stellungen im Nordirak und eventuell Syrien aus der Luft anzugreifen, bleibt aber einzelnen NATO-Staaten überlassen.
Die USA könnten bei dieser laufenden Militäraktion demnächst von Großbritannien unterstützt werden. Das deutete der britische Premier Cameron an. Die übrigen NATO-Staaten halten sich zurück und liefern allenfalls Waffen an die Kurden im Nordirak. Deutschlands Außenminister Frank-Walter Steinmeier räumte ein, dass es für den Kampf gegen die Kräfte des "Islamischen Staates" auch nach dem Gipfel von Wales keinen gemeinsamen Plan gibt.
Die üblichen Proteste von NATO-Gegnern waren bei diesem Gipfel relativ klein und friedlich. Rund 250 Menschen zogen nach Angaben der Polizei durch die Innenstadt von Cardiff, wo die 28 Staats- und Regierungschefs am Donnerstagabend dinierten. NATO-Gegner hatten zuvor mehrere Tausend Demonstranten angekündigt.