NATO startet mit dem Abzug aus Afghanistan
1. Mai 2021Faktisch hat der Abzug bereits begonnen, seit Wochen wird Material aus Afghanistan gebracht. Mit diesem 1. Mai beginnt aber auch offiziell der Rückzug vom Hindukusch. Zuletzt waren 36 NATO-Staaten und Partnerländer an der Mission beteiligt, darunter 2500 Soldaten aus den USA und rund 1100 aus Deutschland.
Für mögliche Angriffe der Taliban während des Abzugs der internationalen Truppen werden schwere Waffen und zusätzliche Kräfte bereitgehalten. Die US-Armee hat schwere Waffen vor Ort. Für Deutschland soll das Kommando Spezialkräfte (KSK) den Abzug absichern. Von der NATO hieß es, da die Sicherheit der Truppen höchste Priorität habe, würden keine Details zu der Operation mitgeteilt, etwa Truppenzahlen oder Zeitpläne für einzelne Staaten.
Militärstrategen rechnen mit zusätzlichen Gefahren durch mögliche Angriffe der militant-islamistischen Taliban auch auf Soldaten des Bündnisses. Jegliche Taliban-Angriffe während des Rückzugs wolle man mit einer "entschiedenen Reaktion" beantworten, hieß es von der NATO.
US-Präsident Joe Biden hatte Mitte April den Abzug aller US-Soldaten aus Afghanistan bis spätestens zum 11. September angekündigt. Die NATO hatte unmittelbar darauf verkündet, das Bündnis werde den Einsatz vollständig beenden.
Damit endet auch der Einsatz deutscher Soldaten in Afghanistan. Es war der bislang verlustreichste und teuerste Auslandseinsatz in der Geschichte der Bundeswehr. 59 deutsche Soldaten verloren ihr Leben, 35 bei Anschlägen oder in Gefechten, andere bei Unfällen oder durch Spätfolgen ihrer Militärzeit. Mehr als 12 Milliarden Euro kostete der Einsatz, der ursprünglich der Friedenssicherung dienen sollte und dann zum Kampfeinsatz gegen die aufständischen Taliban wurde. Zuletzt war der Kernauftrag der NATO-Truppe die Ausbildung afghanischer Streitkräfte.
Schwierige Sicherheitslage
In Afghanistan wird der Abzug mit gemischten Gefühlen wahrgenommen. Lokale Medien berichten von Menschen, die sich darüber freuen und einen neuen Unabhängigkeitstag feiern wollen, wenn der letzte Soldat das Land verlassen hat. Bei anderen löst der Abzug blanke Angst aus. Vor allem finanziell gut situierte und liberale Afghanen wollen das Land verlassen. Sie fürchten eine Rückkehr des repressiven Regimes der Taliban oder einen neuen Bürgerkrieg.
Große Teile der afghanischen politischen Elite sagten, sie hätten sich einen "verantwortungsvollen" Abzug der Truppen gewünscht. Damit meinen sie, dass die USA - die durch ihren Entschluss, die eigenen Truppen abzuziehen, auch den Abzug der anderen NATO-Länder ausgelöst hatten - auf weitere Fortschritte im Friedensprozess hätten warten sollen. Friedensverhandlungen der Regierung mit den aufständischen Taliban laufen seit September, sind aber zuletzt ins Stocken geraten.
Der vollständige Abzug der Truppen ist auch ein Test für die afghanischen Sicherheitskräfte, ob diese ohne direkte Unterstützung die Regierung verteidigen können. Die Taliban greifen weiter täglich Einrichtungen der Sicherheitskräfte im ganzen Land an. US-Generäle hatten in den vergangenen Wochen ihre Sorge ausgedrückt, die Regierung könne nach dem Abzug kollabieren oder es könnten erneut Unruhen in dem Land ausbrechen.
Terrorexperte warnt vor "Weckruf für Dschihadisten weltweit"
Auch der deutsche Terrorexperte Guido Steinberg warnt vor einem möglichen Wiederaufstieg der Dschihadisten. Nach dem US-Abzug aus Afghanistan werde es schwer, die Extremisten dort zu bekämpfen, sagte der Mitarbeiter der Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) der Deutschen Presse-Agentur. Zudem hätten die militant-islamistischen Taliban keinen Grund, ihr Bündnis mit Al-Kaida aufzugeben. Vielmehr sei davon auszugehen, dass sich die Taliban in Afghanistan durchsetzten: "Das könnte zu einem Weckruf für Dschihadisten weltweit werden", warnte Steinberg. Viele junge Dschihadisten seien heute orientierungslos. Wenn die Taliban sich in Afghanistan nach dem US-Abzug durchsetzen und das "klug" spielten, könnten sie in der Lage sein, Dschihadisten aus der ganzen Welt in das Land zu holen.
qu/sti (dpa, afp)