NATO spart und ringt um Raketenabwehrschild
14. Oktober 2010Zumindest in einem Punkt haben die Verteidigungs- und Außenminister der 28 NATO-Staaten bei ihrem gemeinsamen Treffen in Brüssel Nägel mit Köpfen gemacht: Sie verständigten sich am Donnerstag (14.10.2010) auf durchgreifende Sparmaßnahmen. So soll die Zahl der NATO-Hauptquartiere von elf auf sieben sinken und die Zahl der dort Beschäftigten von 12.500 auf 9000. Außerdem soll es künftig nur noch drei statt bisher 14 NATO-Agenturen geben. Noch keine Entscheidung fiel bei der derzeit brisantesten Frage, der Errichtung eines gemeinsamen Raketenabwehrsystems, das die Bündnispartner vor allem gegen mögliche Raketenangriffe aus dem Iran schützen soll. Allerdings scheint die Zustimmung zu dem seit langem diskutierten Projekt zu wachsen. Unklar ist dagegen die künftige Rolle der Atomwaffen.
Die Bundesregierung stellte sich bei dem Brüsseler Treffen erstmals öffentlich hinter das Projekt, das auf einen Vorschlag des damaligen US-Präsidenten George W. Bush zurückgeht. Sein Nachfolger Barack Obama hatte es als rein amerikanisches System vor einem Jahr zunächst gestoppt. Stattdessen wollen die USA nun alle europäischen NATO-Länder in ein Netz von Abwehrsystemen einbeziehen.
Bundesverteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) sagte zum Raketenschild, die Allianz sei einer Einigung "sehr nah": "Wir sind alle der Meinung, dass es einer Raketenabwehr angesichts der Gefährdungslage heute und morgen bedarf." Der Schutzschirm ist Teil der neuen Bündnisstrategie, welche die Staats- und Regierungschef beim Gipfel am 19. und 20. November in der portugiesischen Hauptstadt Lissabon beschließen wollen. Sie soll die Aufgaben des Militärbündnisses bis zum Jahr 2020 festschreiben.
Westerwelle betont Einbindung Russlands
Außenminister Guido Westerwelle (FDP) begründete das Umdenken damit, dass die USA das Abwehrsystem nun gemeinschaftlich mit allen NATO-Partnern aufbauen wollen und nicht mehr im Alleingang mit Polen und Tschechien. "Der entscheidende Durchbruch" sei zudem die US-Einladung an Russland, sich an dem Raketenschirm zu beteiligen. Der Kreml hat sich bisher nicht zu dem Vorhaben geäußert.
Auf erhebliche Bedenken stieß das Abwehrsystem bei Frankreich. "Es gibt noch viele technische und finanzielle Unwägbarkeiten", sagte Verteidigungsminister Hervé Morin. Er zog sogar einen gewagten historischen Vergleich, indem er auf die Maginot-Linie verwies - eine Kombination von Bunkern und Befestigungen, die Frankreich im Zweiten Weltkrieg gegen die Truppen Nazi-Deutschlands vergeblich zu schützen versuchte.
Kostenfrage weiter ungeklärt
NATO-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen warb erneut für den Raketenschirm: "Die Bedrohung ist klar, das Potenzial ist klar, und die Kosten sind überschaubar", sagte der Däne. Während Rasmussen die nötigen Mittel auf 200 Millionen Euro beziffert, gehen die USA nach Angaben von Verteidigungsminister Robert Gates nur von 85 bis 110 Millionen Euro über zehn Jahre aus. Diplomaten rechnen allerdings damit, dass für Abfangsysteme in den einzelnen Ländern Milliardenkosten hinzukommen.
Die Bundesregierung knüpft ihre Zustimmung zu dem Raketenschild an Fortschritte insbesondere bei der nuklearen Abrüstung. Hier ist der Graben zur verbündeten Atommacht Frankreich noch größer, denn diese wehrt jeden NATO-Einfluss auf ihr Arsenal ab. Die französischen Nuklearwaffen sind nämlich nicht der NATO unterstellt. Dementsprechend steht die Regierung in Paris dem geplanten Verweis auf das Ziel einer atomwaffenfreien Welt in der neuen Bündnis-Strategie skeptisch gegenüber, die in Lissabon beschlossen werden soll.
Frankreich setzt auf atomare Abschreckung
In Brüssel wies Verteidigungsminister Morin auch die Forderung des Bundestags nach einem Abzug der rund 20 verbleibenden US-Atomsprengköpfe aus Deutschland zurück: "Die Präsenz dieser US-Bomben ist für uns Ausdruck der transatlantischen Solidarität", sagte er. Morin unterstrich, die NATO brauche auch in Zukunft noch eine glaubwürdige atomare Abschreckung.
Autor: Reinhard Kleber (afp, dpa, dapd, rtr)
Redaktion: Sabine Faber