NATO: Neuer Generalsekretär Mark Rutte tritt an
30. September 2024Mark Rutte fiel bislang stets durch gute Laune und so manchen flotten Spruch auf. Als er noch niederländischer Ministerpräsident war, fuhr er gern mit dem Fahrrad von seiner bescheidenen Wohnung in Den Haag zu seinem Amtssitz. Der talentierte Pianist spielte schon mal im Hauptbahnhof auf einem öffentlichen Klavier. In einer Schule gab er regelmäßig Politik-Unterricht.
Als NATO-Generalsekretär wird er sich wohl ein wenig zurücknehmen und diplomatischer werden müssen. Seine Hauptaufgabe wird schließlich sein, die widerstreitenden Interessen unter den 32 Mitgliedsstaaten der Allianz auszugleichen und ihr nach außen ein einheitliches Auftreten zu ermöglichen. "Die wichtigste Aufgabe jedes Generalsekretärs ist es, die Einigkeit der Allianz zu gewährleisten", sagt Timo Koster, ein ehemaliger NATO-Diplomat, im Gespräch mit der DW. Ruttes Vorgänger, der Norweger Jens Stoltenberg, war darin ein stoischer Meister.
Job als NATO-Generalsekretär: "unglaublich interessant"
"Wahre Führung erfordert die Fähigkeit zuzuhören und verschiedene Perspektiven zu verstehen", hat der 56-jährige Rutte selbst einmal in einer Rede gesagt. Als im Juni klar war, dass er auf den NATO-Chefsessel kommen würde, trat Mark Rutte hemdsärmelig vor sein Büro im Binnenhof in Den Haag und schoss zunächst einige Selfies mit überraschten Touristen. Dann erklärte er wartenden Reportern mit gespielter Bescheidenheit: "Naja, eigentlich wollte ich den Job am Anfang gar nicht." Einige Menschen hätten ihm dazu geraten, weil er es könne, so Rutte. "Mit allem, was in der Ukraine passiert, und der großen Instabilität in der Welt, da habe ich gedacht, ich kann es nicht einfach sein lassen. Das ist eine unglaublich interessante Position."
Die Zugeständnisse des Mark Rutte an Viktor Orban
Der gewiefte Niederländer, der 13 Jahre lang vier komplexe Koalitions-Regierungen anführte, verschwieg im Juni allerdings, dass er seit Oktober letzten Jahres bereits einen diskreten Ein-Mann-Wahlkampf in den Hauptstädten der NATO-Staaten geführt hatte. Im Juli 2023 hatte er die Wahlen in den Niederlanden verloren und wurde von der Partei des rechtsextremen Gert Wilders verdrängt. Als überzeugter Transatlantiker und vehementer Unterstützer der Ukraine konnte der studierte Historiker die USA und die allermeisten Verbündeten schließlich überzeugen.
Bei seinem europäischen Intimfeind Viktor Orban dauerte es aber länger. Dem rechtsnationalen ungarischen Ministerpräsidenten musste Mark Rutte per Brief versprechen, dass Ungarn während seiner Amtszeit als NATO-Generalsekretär niemals an Aktivitäten der Allianz für die Ukraine außerhalb des NATO-Gebietes teilnehmen muss. Waffenlieferungen an die Ukraine schloss der Russland zuneigende Viktor Orban ebenfalls aus.
Der liberale Niederländer und der illliberale Ungar waren in der Europäischen Union öfter aneinandergeraten. Mark Rutte hatte 2021 Viktor Orban öffentlich angeblafft, wenn es ihm in der EU nicht passe, könne er ja gehen. Orban gab Rutte die Schuld an allen Krisen in der EU.
Kann Mark Rutte die NATO "Trump-sicher" machen?
Sollte in den USA Donald Trump wieder Präsident werden und die NATO ins Visier nehmen, ist Mark Rutte vorbereitet. Er hat überraschenderweise während dessen erster Amtszeit ein gutes Verhältnis zu Trump entwickelt. Donald Trump bezeichnet ihn sogar als Freund, obwohl der liberale Chef der Handelsnation Niederlande sich heftig gegen die Wirtschaftspolitik des sprunghaften Republikaners gewehrt hat.
"Sollte Donald Trump eine zweite Amtszeit bekommen, dann sind die Alliierten zuversichtlich, dass Rutte der Schlüssel dazu ist, die Allianz 'Trump-sicher' zu machen. Er wird als cool, ruhig und aufgeräumt wahrgenommen. Er weiß, wie man mit übergroßen Egos umgeht. Er hat mit Trump gearbeitet", meint Rachel Rizzo von der transatlantischen Denkfabrik "Atlantic Council."
Allerdings setzte sich Mark Rutte als Ministerpräsident im Gegensatz zu Trump für Waffenlieferungen an die Ukraine ein, stellte selbst Haubitzen und Kampfflugzeuge aus der niederländischen Armee bereit. Die war in den 13 Jahren seiner Regierungszeit finanziell nicht gut ausgestattet. Erst in diesem Jahr erreichen die Niederlande erstmals das NATO-Ziel, zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) für Verteidigung auszugeben.
Den russischen Machthaber Wladimir Putin betrachtet der Niederländer seit Jahren mit Misstrauen und Ablehnung, schließlich war Russland wohl mitverantwortlich für den Abschuss des Verkehrsflugzeuges MH-17 über der Ostukraine 2014. Mehr als 200 Menschen, die meisten von ihnen Niederländer, kamen damals ums Leben.
Mark Rutte: geschmeidiger Pragmatiker statt Visionär
In der Europäischen Union galt Mark Rutte oft als "Mr. No", berichtet ein EU-Diplomat. Weitreichende Reformpläne und Visionen à la Macron, dem französischen Präsidenten, waren ihm ein Gräuel. Mit dem eher kühlen Bundeskanzler Olaf Scholz versteht sich Mark Rutte gut. Er kann auch mit der Rechtsaußen-Ministerpräsidentin aus Italien, Giorgia Meloni. Mit ihr zusammen trat er für die Auslagerung von Asylverfahren in Drittstaaten ein.
Er sei so etwas wie ein Houdini der Politik, schreibt seine Biografin Sheila Sitalsing. Wie der Entfesselungskünstler könne sich Rutte aus fast jeder Krise herauswinden. Eine Eigenschaft, die auf seinem neuen Posten als NATO-Generalsekretär noch nützlich sein könnte.