Vor dem NATO-Gipfel
31. März 2008Die USA sind in der NATO die Führungsmacht und stellen in Afghanistan mit 16.000 Mann den weitaus größten Teil der Internationalen Sicherheitstruppe ISAF. Im Osten des Landes und in Kabul sind die Soldaten für Sicherheit und Ordnung verantwortlich; im Süden und an der Grenze zu Pakistan im Osten kämpfen US-amerikanische Einheiten seit 2001 gegen Taliban, Rebellen und Privatarmeen von Stammesführern.
Mehr als 600 NATO-Soldaten wurden bisher getötet. Der Einsatz geht den Verbündeten langsam an die Kräfte und auf die Nerven. Kein Wunder, dass US-Außenministerin Condoleezza Rice jüngst betonte, dass die NATO in Afghanistan trotz mancher Ermüdungserscheinungen nicht versagen dürfe: "Der im Konsens beschlossene Einsatz in Afghanistan gehört zum Kerngeschäft der NATO. Die Mission muss erfolgreich sein." Ansonsten liefe Afghanistan Gefahr, wieder in einen Bürgerkrieg oder gar in die Hände der islamistischen Taliban zurück zu fallen.
Es fehlen 7000 Soldaten
NATO-Generalsekretär Jaap de Hoop Scheffer und der Oberste Alliierte Kommandeur sind ständig damit beschäftigt, bei den Mitgliedsstaaten und den übrigen 14 ISAF-Truppenstellern um Soldaten und Ausrüstung für die Mission zu betteln. Trotz der eingesetzten 43.000 Mann fehlen noch 7000 Soldaten, sagt die NATO-Militärführung. Der NATO-Generalsekretär beklagte bei seinem letzten Besuch in Berlin, dass der politische Wille, den Afghanistan-Einsatz zu unterstützen, abnehme: "Dieses Land wird entweder als Ganzes gewonnen oder als Ganzes verloren. Es ist nicht nur die Aufgabe der NATO, sondern auch der nationalen Politik in unseren 26 Mitgliedsstaaten, diesen Punkt eindringlich klar zu machen."
Die Niederlande, Großbritannien, Dänemark und Kanada haben ihre Einheiten in den umkämpften Süden des Landes geschickt. Kanada aber droht damit, seine Truppen bald abzuziehen, sollte kein anderes Land 1000 Mann Verstärkung schicken. Auch Rice fordert Solidarität: "Die Allianz ist verpflichtet, gemeinsam etwas zu leisten, weil dies eine NATO-Mission ist und keine kanadische, dänische oder amerikanische Mission!"
Bush kurz vor NATO-Gipfel kooperationsbereiter
Die Aufforderungen an Staaten wie Spanien, Italien und Deutschland, Kampftruppen in den Süden zu schicken und Verluste in Kauf zu nehmen, wurden zuletzt immer energischer. US-Präsident Bush ging am Wochenende allerdings im Vorfeld des NATO-Gipfels vom 2. bis 4. April in Bukarest auf Deutschland zu: Gegenüber der "Welt" verneinte er die Frage, ob Deutschland aufgefordert werde, Bodentruppen nach Südafghanistan zu entsenden. "Ich möchte, dass Kanzlerin Merkel mit den Ergebnissen gut leben kann. Mit anderen Worten, ich möchte von anderen Staaten nichts fordern, wozu sie politisch nicht in der Lage sind", sagte er dem Blatt.
Bei seiner Außenministerin hatte das auf der NATO-Frühjahrstagung Anfang März noch anders geklungen. Deutschland trage wie andere seine Teil bei. Aber: "Wir können uns nicht nur damit beschäftigen, wie wir die Herzen der Menschen erobern. Wir müssen auch gegen die Aufständischen gewinnen. Wir müssen den Afghanen helfen zu gewinnen und die Armee trainieren."
Deutsche Truppen noch nicht aus dem Schneider
NATO-Diplomaten gehen auch davon aus, dass die amerikanische Forderung aufgeschoben, aber nicht aufgehoben ist, denn an den grundsätzlichen militärischen Problemen in Afghanistan hat sich ja nichts geändert. Der amerikanische Kommandeur der ISAF, General Dan McNeill, hat vorsorglich gefordert, die Bundeswehr solle schnelle Reaktionskräfte in ganz Afghanistan einsetzen, und zwar mehr Truppen als bislang vorgesehen.
Merkel bleibt hart
Die Bundesregierung lehnt es bisher ab, deutsche Soldaten aus der Nordprovinz für den Kampf im Süden abzuziehen oder neue Truppen zu schicken. Das unterstrich Kanzlerin Angela Merkel jüngst auf der Kommandeurstagung der Bundeswehr: "Ich halte nichts davon, dass wir in einen Wettlauf um die Gefährlichkeit eintreten. Diejenigen, die im Norden engagiert sind, wissen, dass das nun alles andere als ungefährlich ist."
NATO-Generalsekretär kritisiert Deutschland
Die NATO hat ihre Interessen gegenüber Deutschland immer wieder klar bekundet: "In einer Allianz, in der alle füreinander da sind, kann es keine Arbeitsteilung geben, bei der sich die einen auf das Kämpfen und die anderen auf die Konflikt-Nachsorge spezialisieren", gab Generalsekretär de Hoop Scheffer in Berlin zu verstehen. Die NATO hat immer wieder die schlechte Koordination zwischen der Militärmission und den zivilen Hilfsorganisationen bemängelt. Der Aufbau eines funktionierenden Staatswesens und einer Wirtschaft, die nicht vom Drogenanbau abhängt, geht zu langsam voran. Hilfsorganisationen behaupten, dass von den 25 Milliarden US-Dollar, die Afghanistan auf Geber-Konferenzen zugesagt wurden, nur 15 Milliarden gezahlt worden seien.
Zwist um Bündnissolidarität
Beim NATO-Gipfel soll nun mit dem afghanischen Präsidenten Hamid Karsai eine bessere Strategie vereinbart werden. In einigen Monaten soll zudem eine internationale Konferenz in Paris eine Zwischenbilanz des Aufbaus ziehen. Frankreichs Staatspräsident Nicolas Sarkozy deutete in einem Interview an, er könne neue Truppen nach Afghanistan schicken und forderte gleichzeitig ein besseres militärisches Konzept.
Die Ausbildung der afghanischen Armee und Polizei, die seit Jahren zu kurz kommt, wollen NATO und Europäische Union gemeinsam verstärken. Mittlerweile wurden 60 000 afghanische Soldaten ausgebildet. Schließlich sollen die afghanischen Sicherheitskräfte irgendwann die Verantwortung übernehmen. Dann könnten die NATO-geführten ISAF-Truppen abziehen. Der Zwist um die Solidarität im Bündnis wäre hinfällig. Wann das jedoch sein wird, weiß derzeit niemand.