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PolitikUkraine

NATO besänftigt die enttäuschte Ukraine

12. Juli 2023

Am Ende war er doch zufrieden: Der ukrainische Präsident Selenskyj dankt der Allianz für Hilfen und bekommt neue Zusagen, aber keine Mitgliedschaft. Aus Vilnius Bernd Riegert.

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Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selensky bei einer Pressekonferenz beim NATO-Gipfel im litauischen Vilnius.
Monatelang hatte der ukrainische Präsident Selenskyj auf eine offizielle Einladung zum NATO-Beitritt für sein Land gedrungen. Doch dazu kam es beim Gipfel in Vilnius nicht. Trotzdem zog er am Ende eine positive Bilanz.Bild: Thomas Trutschel/photothek/picture alliance

Mit freundlichen Worten eröffnete NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg die erste Sitzung des neuen NATO-Ukraine-Rates im litauischen Vilnius. "Ich bin wirklich geehrt, dich in unserer Mitte begrüßen zu können, mein lieber Freund Wolodymyr Selenskyj. Willkommen!", säuselte Stoltenberg.

Der Präsident der Ukraine lächelte und schien zufrieden, dass er nun gleichberechtigt im neuen Gremium mit der NATO reden durfte. Die Harmonie zwischen der von Russland angegriffenen Ukraine und der Militärallianz, die Waffen und Ausrüstung liefert, war wieder hergestellt.

Und das, obwohl Selenskyjs ursprüngliche Forderung, eine Einladung für einen zeitlich festgelegten Beitritt zur NATO zu bekommen, nicht erfüllt wurde. Erst nach Ende des russischen Krieges gegen die Ukraine wollen die bald 32 Mitglieder der Militärallianz entscheiden, ob die Ukraine irgendwann Nummer 33 werden kann, falls die Bedingungen erfüllt sind und alle Alliierten zustimmen.

NATO Gipfel in Vilnius | Präsident Selenskyj
Die Litauer lieben den Kriegshelden Selenskyj: Tausende wollten ihn während des NATO-Gipfels unterstützenBild: Pavel Golovkin/AP/picture alliance

Diese eher schwammige Formel der NATO hatte Wolodymyr Selenskyj tags zuvor bei einer Rede vor jubelnden Anhängern in Vilnius noch harsch kritisiert. Die Soldaten, Mütter und Kinder in der Ukraine verdienten Gewissheit, dass sie von der Allianz aufgenommen und geschützt würden.

Unter starkem Applaus fügte der Präsident selbstbewusst hinzu: "Die Ukraine wird die NATO stärker machen!" Schließlich kämpfe die Armee für die westlichen Werte und verhindere einen Durchmarsch des russischen Aggressors auf NATO-Gebiet.

NATO verspricht Sicherheitsgarantien

Nach einer Reihe bilateraler Gespräche am Mittwoch schien der enttäuschte Präsident dann wieder besänftigt. Ihm wurden mehr Munition, mehr Waffen und mehr Ausbildung für seine Soldaten zugesagt. 

Die Hilfen und die finanziellen Zuwendungen in Milliardenhöhe, wollen die G7 (USA, Kanada, Japan, Frankreich, Großbritannien, Italien, Deutschland) dauerhaft zahlen. Das vereinbarte die Gruppe am Rande des NATO-Gipfels unter der Führung von US-Präsident Biden und bezeichnete diese Versprechen als Sicherheitsgarantien

NATO Gipfel Biden mit G7 in Vilnus
G7 unterschreiben einen Vertrag mit Selenskyj: Finanz- und Rüstungshilfen als "Sicherheitsgarantien" oder einstweiligen Ersatz für NATO-MitgliedschaftBild: Kacper Pempel/REUTERS

"Wir können sagen, dass die Ergebnisse dieses Gipfels gut sind, aber sie wären optimal, wenn wir eine Einladung hätten", gestand Wolodymyr Selenskyj am Ende zu. Und er fügte hinzu: "Die ukrainische Delegation bringt einen bedeutenden Sieg in Sachen Sicherheit nach nach Hause, für unser Land, die Menschen und die Kinder. Dieser eröffnet neue Chancen für die Sicherheit. Danke, dass ihr das möglich macht Kollegen."  

Mehr finanzielle Hilfen und Waffen

Die Sicherheitsgarantien der G7, die die Staatengemeinschaft als Zwischenlösung bis zu einer endgültigen Mitgliedschaft der Ukraine in der NATO definiert haben, umfassen aber keine Truppen oder Personal, das in die Ukraine entsandt würde. Es geht hauptsächlich um Material und Geld, stellte die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock in Vilnius klar.

"Bisher geben wir von einen Tag auf den anderen. Das wird jetzt durch die Sicherheitsgarantien ersetzt. Diese sind klar definiert in akute, mittelfristige und langfristige Hilfen. So gibt es eine Verlässlichkeit für die Ukraine, dass wir ihr Recht auf Selbstverteidigung unterstützen, solange die Ukraine uns braucht", sagte die Außenministerin auf eine Frage der DW.

Christoph Heusgen, Chef der Münchner Sicherheitskonferenz
Deutscher Ex-Diplomat Christoph Heusgen: Jetzt kann die Ukraine nicht beitretenBild: Bernd Riegert/DW

Keine Mitgliedschaft für ein Land im Krieg

NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg versuchte die Diskussion um eine Mitgliedschaft der Ukraine in der NATO ein wenig zu entschärfen. Schließlich soll die Allianz nach außen und vor allem gegenüber dem russischen Gegner geschlossen wirken.

Die baltischen Staaten, Großbritannien und Frankreich hätten sich durchaus eine konkretere Sprache zur Beitrittsperspektive vorstellen können. Deutschland und vor allem die NATO-Führungsmacht USA bremsten. Für US-Präsident Joe Biden kommt es überhaupt nicht in Frage, dass er womöglich aus einer Beistandsverpflichtung nach Artikel 5 des NATO-Vertrages Soldaten in die Ukraine schicken müsste.

"Die Ukraine kann jetzt nicht Mitglied werden, denn die Pflicht, ihr beizustehen, würde die NATO direkt in einen Krieg hineinziehen", erklärt Christoph Heusgen, ehemaliger Sicherheitsberater von Bundeskanzlerin Angela Merkel und Chef der Münchner Sicherheitskonferenz, im Gespräch mit der DW.

Litauen Margariat Seselgyte, Politikwissenschaftlerin, Professorin an der Universität Vilnius
Sicherheitsexpertin Margarita Seselgyte von der Universität Vilnius: Überraschende GeschlossenheitBild: Bernd Riegert/DW

Signal an Putin

Mit ihrem einstimmigen Beschluss, die Hilfen für die Ukraine zu verstärken, sie aber nicht einzuladen, hat die NATO Einigkeit bewiesen, glaubt die Politikwissenschaftlerin Margarita Seselgyte von der Universität Vilnius, die den Gipfel beobachtet.

"Bisher gab es bei der Unterstützung der Ukraine immer Einigkeit. Das war überraschend. Aber am meisten hat es [den russischen Machthaber Wladimir] Putin überrascht", erklärte Seselgyte im DW-Gespräch. "Putin ging davon aus, dass der Westen nicht zusammenhalten und zum normalen Geschäft zurückkehren würde." Da habe er sich getäuscht.

Allerdings habe sie das Gefühl, diese Einigkeit könne schnell Risse bekommen, wenn nach dem Krieg politische Entscheidungen zur Zukunft der Ukraine getroffen werden müssten. Denn da hätten die NATO-Staaten durchaus unterschiedliche Interessen. Margarita Seselgyte hält die Zögerlichkeit der NATO bei einem Beitritt der Ukraine für kein gutes Signal an Putin. Er könnte versucht sein, den Krieg in die Länge zu ziehen, um eine NATO-Erweiterung zu verhindern.

Nato-Gipfel Wolodymyr Selenskyj, Präsident der Ukraine
Am Ende ist der NATO-Gipfel ein Erfolg? Präsident Selenskyj zwischen zwei Sitzungen in VilniusBild: Kay Nietfeld/dpa/picture alliance

Zuerst gewinnen

Generalsekretär Jens Stoltenberg lobte im Namen aller NATO-Partner ausdrücklich den großen Mut, mit dem Präsident Selenskyj und sein Volk für ihre Freiheit und Souveränität kämpften. "Wir sind beschämt durch all die Opfer, die die Ukrainer für diesen Kampf bringen. Wir sind inspiriert durch euren Mut. Wir müssen unsere Hilfe ausweiten, um Russland von weiterer Aggression abzuhalten", sagte Stoltenberg während der Sitzung des NATO-Ukraine-Rates.

Den Zwist um einen möglichen Beitritt wischte der Generalsekretär, der Wolodymyr Selenskyj herzlich umarmte, mit dieser Bemerkung vollends zur Seite. "Es ist nicht wichtig, sich jetzt um Gremien, Texte oder Papier zu streiten, sondern am dringensten ist es jetzt, dass die Ukraine Waffen und Munition bekommt, damit sie weiter existieren kann. Denn wenn sie scheitert, brauchen wir über einen Beitritt zur NATO sowieso nicht mehr zu reden."

NATO-Gipfel in Litauen

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Bernd Riegert Korrespondent in Brüssel mit Blick auf Menschen, Geschichten und Politik in der Europäischen Union