Rücksichtnahme bei heiklen Themen ist selbst auferlegt
15. Februar 2015Der Karnevalsumzug in Braunschweig ist am Sonntag kurz vor dem Start wegen Hinweisen auf einen möglichen Terrorakt abgesagt worden. Der Braunschweiger Karneval gilt als der größte Karnevalsumzug Norddeutschlands und misst sich gern mit den Narrenzentren Köln, Mainz und Düsseldorf, wo am Rosenmontag bis zu drei Millionen Menschen aus den In- und Ausland bei den Straßenumzügen erwartet werden.
Auf den diesjährigen Motivwagen sieht man den US-Präsidenten, der als lahme Ente verfolgt wird. Oder den russischen Präsidenten Putin, der im Bärenkostüm am Ölhahn dreht. Oder die deutsche Verteidigungsministerin, die auf einem unbrauchbaren Waffenarsenal reitet.
"Wir haben für die Besucher eine besondere Verantwortung. Sie sollen sorglos Karneval feiern", sagt Christoph Kuckelkorn, der den größten Karnevalsumzug Deutschlands in Köln leitet. Aus Sorge um die Sicherheit der Besucher ließen Kuckelkorn und das Festkommitee des Kölner Karnevals einen Motivwagen nicht zuende bauen. Die Befürchtung: Extremisten hätten das Motiv zum Anlass für einen Anschlag nehmen können. Bei dem Wagen ging es nicht um Kritik an Politikern, die es gewohnt sind, öffentlich am Pranger zu stehen, sondern um ein Thema aus dem Bereich Islamismus und Terror. Eine Zeichnung zeigt, was auf dem Wagen für den Kölner Umzug entstehen sollte. Eine Reaktion zu dem brutalen Anschlag auf das Satire-Magazin "Charlie Hebdo": Ein Clown stopft einen Bleistift in die Waffe eines Terroristen und macht die Pistole damit unbrauchbar.
Unnötige Provokation vermeiden
Der Rückzug des Wagens mit diesem Motiv löste bundesweit heftige Reaktionen aus. Es äußerten sich Politiker, Kirchenvertreter, Moralethiker und viele Bürger. Ihr Tenor: "Wer vor dem Terror zurückweicht, hat verloren. Meinungsfreiheit gehört zum Karneval". Dem stimmen die meisten Karnevalsvereine in Deutschland auch zu, weisen aber darauf hin, dass das Recht auf freie Meinungsäußerung im Karneval dann Grenzen habe, wenn es um die Sicherheit gehe. Provokationen zum Thema Terror und Extremismus sollten deshalb vermieden werden.
Michael Bonewitz vom Mainzer Carneval Verein (MCV) respektiert die Entscheidung in Köln. "Mutig kann Karneval immer sein, aber die Frage ist, wie weit man geht." Bonewitz und auch sein Mainzer Kollege Kay Uwe Schreiber räumen ein, dass es gewisse Themen gebe, die sich für den Karneval nur wenig eignen würden. Zwar habe man auch schon mal Vertreter der katholischen Kirche persifliert. Aber dafür hätten sich konkrete Personen nachgewiesene Verfehlungen leisten müssen. Generell gelte in Glaubenssachen eher Zurückhaltung statt Provokation. "Wir sind immer schon sensibel mit den Bereichen Minderheiten und Religion umgegangen", sagt Bonewitz. Auf die Ereignisse um Charlie Hebdo oder die Bereiche Terror oder Islamismus könne man schon aus einem anderen, einfachen Grund nicht aktuell eingehen. Eine Jury wählt immer schon im November des Vorjahres die Motivwagen aus. Für den Rosenmontagsumzug habe man sich allerdings dazu entschieden, den Umgang mit freiheitlichen Werten aufzugreifen. Hintergrund: Der Kabarettist Dieter Nuhr wurde wegen seiner Koran-Kritik angezeigt. Der Mainzer Karneval will deshalb deutlich machen, dass in Deutschland das Grundgesetz gilt, in dem Meinungsfreiheit verbrieft ist.
Zurückhaltung – nicht Mutlosigkeit
Die Themen Religion, Terror und Islamismus sollten aus den närrischen Feiern herausgehalten werden, betont Hans Weidemann, der Vizepräsident der Vereinigung Badisch-Pfälzischer Karnevalvereine. Ähnlich sieht das Roland Wehrle, der Präsident der Vereinigung Schwäbisch-Alemannischer Narrenzünfte. Ihre Einschätzung wird in vielen Karnevalsvereinen geteilt. Die aktuelle Bedrohungslage durch Extremisten würde eindeutig dafür sorgen, dass viele Narren sich zurückhalten, "zu derb" zu kritisieren.
Einige Ausnahmen bestätigen die überwiegende Zurückhaltung. Im nordrhein-westfälischen Menden wollen die Karnevalisten doch noch ein Zeichen setzen. Dort soll ein "Charlie Hebdo-Wagen" fahren. Mit 20 überdimensionalen bunten Stiften will man für die Pressefreiheit werben und die Anschläge von Paris verurteilen. Ein Sicherheitsproblem sieht man nicht.
Anspielungen auf Terror und Islamismus weichen in diesem Jahr auch schon mal vom Karneval in den Straßen auf Saalveranstaltungen aus. Mutigstes Beispiel ist die "Stunksitzung" des Kölner Karnevals: Hier bezeichnen Kabarettisten als voll verschleierte Frauen einen älteren Selbstmordattentäter schon mal in einem Wortspiel als "Spätzünder". Auch sonst halten sich die Darbietungen der "Schleiereulen" mit Witzen über extremistische Islamisten nicht zurück.
In Düsseldorf saßen bisher immer die schärfsten und frechsten Karnevalisten. Doch traditionell werden die Motive der Karnevalswagen bis zum Rosenmontag geheim gehalten. Der als unerschrocken geltende Wagenbauer Jacques Tilly verrät auch noch keine Details, gibt im Interview mit der Deutschen Welle aber zu, dass Satire nicht unbedingt alles dürfe. "Mohammed werden wir nicht bauen. Wir wollen ja nicht religiöse Grundlagen angreifen." Tilly hatte in den vergangenen Jahren immer wieder für Aufsehen mit seinen Wagenmotiven gesorgt. Es gab Pappmaché-Figuren als islamistische Selbstmörder oder einen Osama bin Laden, der in Blut badet. Ein anderes Mal machte ein Karnevalist Jagd auf einen salafistischen Extremisten. Vom Düsseldorfer Carneval Commitee hieß es dazu, es werde weiterhin Wagenmotive mit Anspielungen geben : "Wir dürfen uns nicht einschüchtern lassen".
Zwischenzeitlich gab die US-Regierung für ihre Bürger eine Reisewarnung heraus, die den Rosenmontag in Düsseldorf betrifft. Größere Menschenmengen sollten gemieden werden, hieß es in einer Notiz des US-Außenministeriums. Allerdings stand die Warnung eher im Zusammenhang mit einer ebenfalls für den Montag angekündigten Demonstration von Pegida-Anhängern. Die sagten die Demo zwar ab, kündigten dafür aber an, man wolle sich als Terrorist oder Salafist verkleiden und mit Sprengstoffgürtel-Attrappen unter die Karnevalisten mischen. Die Veranstalter des Düsseldorfer Karnevals bauen darauf, dass die Polizei rechtzeitig eingreift. Die Polizeikräfte sehen sich dafür gut gerüstet.