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Nahost: Digitale Identifizierung nutzt repressiven Regimes

Cathrin Schaer
27. August 2023

Der Einsatz biometrischer Daten gewinnt im Nahen Osten als Identifizierungstechnik an Bedeutung. Experten fürchten, dass dadurch auch die Überwachung und Verfolgung politischer Kritiker weiter zunehmen wird.

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Ein Sicherheitsbeamter überwacht auf Bildschirmen die religiösen Stätten in Mekka
Mit Hilfe digitaler Techniken überwachen saudische Behörden auch die Teilnehmer der PilgerfahrtenBild: FAYEZ NURELDINE/AFP

Der Fluchtversuch von Khalaf al-Romaithi endete mit seiner Verhaftung. Im Mai dieses Jahres reiste der ursprünglich aus den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE) stammende Dissident aus der Türkei nach Jordanien, um sich dort nach einem Schulplatz für seinen Sohn umzusehen. Doch noch am Flughafen von Amman wurde al-Romaithi verhaftet: Ein Scanner hatte die biometrischen Daten seiner Augen identifiziert.

Unterwegs war der 58-Jährige mit einem türkischen Pass. Doch der Scanner identifiziert ihn als jenen Khalaf al-Romaithi, der 2013 in den VAE zu 15 Jahren Gefängnis verurteilt worden war. Das damalige Urteil fiel im Rahmen eines Massenprozesses gegen 94 Kritiker der VAE-Staatsführung. Dieser war damals von Menschenrechtsorganisationen als politisch motiviert kritisiert worden.

"Al-Romaithi wurde nach einem Iris-Scan verhaftet", bestätigt Hamad al-Shamsi, Direktor des 'Emirates Detainees Advocacy Center', einer gemeinnützigen Organisation, die in den Gefängnissen der VAE einsitzende politische Häftlinge unterstützt. Derzeit wisse man nicht, wie die jordanischen Behörden in den Besitz von al-Romaithis biometrischen Daten gekommen seien. Denkbar sei, dass die Informationen von den VAE an sie weitergegeben worden seien.

Weder offizielle Vertreter Jordaniens noch der VAE in Deutschland reagierten auf eine entsprechende Anfrage der DW.

Al-Romaithi wurde - nach Angaben von Anwälten illegalerweise - von Jordanien in die Vereinigten Arabischen Emirate verbracht, wo er sich seitdem in Haft befindet.

Fortschritt gefährdet Menschenrechte

Im Fall al-Romaithi zeige sich, wie persönliche biometrische Daten im Nahen Osten verwendet würden, sagt Yana Gorokhovskaia von der in den USA ansässigen Demokratie-Beobachtungsorganisation 'Freedom House'. Sie vereinfachen Überwachung und Menschenrechtsverletzungen. "Wir sind sehr besorgt über den zunehmenden Einsatz biometrischer Technologie, die repressiven Regierungen eine enge Zusammenarbeit ermöglicht. Das konnten wir im Nahen Osten wie auch in Zentralasien beobachten", so Gorokhovskaia gegenüber der DW.

Sicherheitskameras im Al-Thumama-Stadion in Katar während der WM 2022
Digitale Überwachung zu unterschiedlichen Anlässen: Sicherheitskameras im Al-Thumama-Stadion in Katar während der WM 2022Bild: ActionPictures/IMAGO

Biometrische Daten umfassen viele Körpermerkmale: so etwa die Form eines Gesichts, die Iris der Augen, die Form und Größe der Ohrläppchen - wie auch die Art, in der eine Person atmet und geht. In Zukunft dürfte es möglich sein, auch die Art, in der eine Person in eine Tastatur tippt oder ihren Namen schreibt, zu identifizieren, meinen Experten. Mit Hilfe der so genannten Künstlichen Intelligenz (KI) könne auch Sprache und Gestik eines Menschen identifiziert werden.

Rasante technische Entwicklung

Tatsächlich sei die technische Entwicklung in den letzten Jahren enorm fortgeschritten, sagte Ella Jakubowska von dem in Brüssel ansässigen Netzwerk 'European Digital Rights' (EDRi).  "Es gibt mehrere Möglichkeiten, eine Person zu identifizieren und zu verfolgen", so Jakubowska. "Zugleich hat sich die Fähigkeit der Software, Muster zu erkennen, in den letzten fünf Jahren exponentiell verbessert." So könne man heute eine Person nicht nur anhand eines Bildes identifizieren, sondern auch durch das Bewegungsmuster ihrer Beine und Füße beim Gehen.

"Dank dieser Entwicklung lassen sich Massendaten schneller und billiger als je zuvor speichern und verarbeiten. Dadurch kann man sehr schnell und effizient viele Menschen erkennen. Das erweitert das Potenzial für eine willkürliche Massenüberwachung", so Jakubowska.

Diese Entwicklung könnte in autoritären Regimen, etwa denen im Nahen Osten, zu größeren Problemen führen. "Der weit verbreitete Einsatz biometrischer Identifizierungssysteme in Verbindung mit laxen Datenschutzgesetzen sowie einem schwachen Schutz von Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechten öffnet autoritärem Missbrauch Tür und Tor", heißt es in einer vom 'Europäischen Institut für das Mittelmeer' veröffentlichten Studie zum Einsatz Künstlicher Intelligenz im Nahen Osten aus dem Jahr 2022.

Biometrische Sicherheitsschleusen am Flughafen von Dubai
Biometrische Sicherheitsschleusen am Flughafen von Dubai Bild: MOHAMAD ALI HARISSI/AFP/Getty Images

Digitale Transformation am Golf

In wohlhabenderen Ländern der Region - etwa den Golfstaaten -  wird die biometrische Identifizierung auf Grundlage der Künstlichen Intelligenz schon jetzt sehr geschätzt - und auch genutzt. Angesichts des Umstandes, dass die Region eine digitale Transformation durchläuft, komme diesen Technologien eine "zentrale Bedeutung zu", sagt Mohammed Soliman, Direktor des Programms für strategische Technologien und Cybersicherheit am 'Middle East Institute in Washington', der DW.

Derzeit verwenden fast alle Länder des Nahen Ostens biometrische Daten für die Einreise an Flughäfen und Grenzen.

Auch sinnvoller Daten-Einsatz möglich

Dabei hilft die biometrische Identifizierung aber durchaus auch in einem positiven Sinne, beim Kampf gegen Kriminalität. Am Flughafen Dubai fassten die Strafverfolgungsbehörden auf diese Weise einen Mann, der gefälschte Kreditkarten benutzte. Verhaftet wurde er, weil die Technik die Form seiner Ohren erkannte. Einem anderen Mann, der sich durch ein bodenlanges Frauenkleid und einen Gesichtsschleier zu tarnen versuchte, wurde die Art seines Ganges wie auch seine Körpermaße zum Verhängnis.

Auch für bürokratische Angelegenheiten kann die Erfassung biometrischer Daten sinnvoll sein. In einigen Ländern, unter ihnen Katar, Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate, sind biometrische Daten Teil der Staatsbürgerschafts-Registrierung, die den Einheimischen den Zugang zu staatlichen Dienstleistungen ermöglicht. Der Irak und der Jemen nutzen die Daten zur Registrierung von Wählern. Auch bei der Hadsch, der alljährlichen großen Pilgerfahrt nach Mekka und Medina, werden biometrische Daten der Teilnehmer wohl nicht zuletzt zum Schutz der Sicherheit der Pilgernden erfasst.  

Ein Mann aktiviert sein Smartphone mit Hilfe der Gesichtserkennung
Daran habe sich viele längst gewöhnt: Gesichtserkennung bei Tablets und SmartphonesBild: CHRIS J RATCLIFFE//AFP/Getty Images

"Das kann sehr gefährlich werden"

Doch all diese Informationen könnten Experten zufolge auch auf andere Weise eingesetzt werden. "Jede Regierung könnte eine Datenbank mit den biometrischen Daten ihrer gesamten Bevölkerung anlegen und diese mit dem Videomaterial einer ganzen Stadt kombinieren", sagt Expertin Ella Jakubowska vom EDRi. "Man verfügt dann regelrecht über ein Live-Bild von den intimsten Bereichen des menschlichen Lebens. Man kann erfassen, wer sich mit einem Journalisten getroffen hat, wer in eine Queer-Bar gegangen ist oder wer sich mit einem politischen Gegner oder einem Dissidenten verbrüdert hat. Das kann sehr gefährlich werden."

Dass die neuen Technologien Regierungen zusätzliche Macht über ihre Bürger verschaffen können, davon ist auch Amba Kak, Direktorin des in New York ansässigen 'AI Now Institute', überzeugt: "Die Massenüberwachung verschiebt das Machtgleichgewicht zwischen denen, die überwachen, und denen, die überwacht werden. Das hat schwerwiegende Auswirkungen auf das politische und private Leben der Bürger", so Kak.

Debatte in der EU

Derzeit debattiert übrigens auch die Europäische Union über ein Rahmengesetz zum Einsatz künstlicher Intelligenz. Zentrales und strittigstes Thema ist voraussichtlich die Frage, wie die Daten verwendet werden dürfen. "Wenn die EU zu dem Schluss kommt, es gebe legitime Anwendungsfälle für diese Technologien, dann, fürchte ich, dürfte dies auch den Einsatz in anderen Ländern legitimieren", sagt Ella Jakubowska, die sich eine strengere Gangart der EU wünscht. "Es ist definitiv eine Macht, wenn ein ganzes Land sagt: 'Wir halten das nicht für akzeptabel'."

Das 'AI Now Institute' fordere darum ein vollständiges Verbot der biometrischen Fern-Identifizierung, sagt Amba Kak. "Alles andere macht keinen Sinn. Das gilt nicht nur für den Nahen Osten, sondern auch für die USA und in Europa."

Aus dem Englischen adaptiert von Kersten Knipp.