Nach russischem Vorbild: Anti-LGBTQ-Gesetz in Bulgarien
12. August 2024In Bulgarien haben Nichtregierungsorganisationen und Juristen eine Petition gegen das neue Schulgesetz eingereicht, das vergangene Woche vom bulgarischen Parlament verabschiedet wurde. Sie halten das Gesetz, das LGBTQ-Inhalte an Schulen verbietet, für verfassungswidrig.
Der Entwurf, der sich an ähnlichen Gesetzen in Ungarn und Russland orientiert, war von der prorussischen Partei Wasraschdane (Wiedergeburt) eingebracht und am 7. 08.2024 im Schnellverfahren verabschiedet worden. 159 von 240 Abgeordneten des bulgarischen Parlaments stimmten zu. Unter ihnen waren auch Parlamentarier des Mitte-Rechts-Bündnisses GERB-SDS, der populistischen Partei ITN, der Sozialisten und der Partei, der bulgarischen Muslime, DPS. Gegen die Novelle stimmte vor allem das liberal-konservative Bündnis PP-DB.
Beleidigungen im Parlament
Die Gesetzesnovelle verbietet das Verbreiten von Informationen über "nicht-traditionelle sexuelle Orientierungen" und Identitäten, die vom biologischen Geschlecht abweichen. Die Befürworter wollen damit erreichen, dass in den Schulen keine Diskussionen über LGBTQ-Themen geführt werden. Dies sei Propaganda. Man müsse die Kinder vor einem angeblichen Abdriften in Homosexualität oder Geschlechtsangleichung schützen.
22 Abgeordnete stimmten gegen das Gesetz. Unter ihnen auch Javor Boschankow von der liberalen Partei "Wir setzen den Wandel fort" (PP). Im Gespräch mit der DW berichtet er von harten Auseinandersetzungen im bulgarischen Parlament, die auch zu körperlichen Angriffen und LGBTQ-feindlichen Beleidigungen führten. "Ein Abgeordneter der prorussischen Partei Wasraschdane hat mich mit den Rufen 'Schwuchtel, Schwuchtel!' angegriffen", sagt er. Jedes Mal, wenn dieser Abgeordnete am Raum seiner Fraktion vorbeigehe, rufe er: "Hier kommen die Schwuchteln raus!"
Ist das Gesetz verfassungswidrig?
Der Vorsitzende der prorussischen Partei Wasraschdane, Kostadin Kostadinow, begrüßte dagegen die Gesetzesnovelle und ermutigte politische Parteien in anderen europäischen Ländern, sich Bulgarien anzuschließen: "In den vergangenen Jahrzehnten wurde in der EU, den Vereinigten Staaten und Kanada nach und nach die These verbreitet, dass es keine traditionelle und nicht-traditionelle sexuelle Orientierung gibt. Was sie jahrzehntelang durchgesetzt haben, ist in Bulgarien gerade zusammengebrochen."
Viele Juristen sind jedoch der Ansicht, dass das Gesetz die bulgarische Verfassung verletze, aus rechtlicher Sicht fehlerhaft verfasst sei und sogar Textpassagen enthalte, die direkt aus Wikipedia abgeschrieben seien. Der politische Beobachter Daniel Smilow schrieb in einer Analyse für DW-Bulgarisch: "Dieses Gesetz ist ungebildete Dunkelheit, verkleidet als Staatsmacht. Es ist auch ein politischer Unsinn mit potenziell großen Konsequenzen für Bulgarien."
Auch bulgarische Menschenrechtsaktivisten protestierten gegen das Gesetz. Es sei nicht nur unsinnig, sondern auch diskriminierend und widerspreche der Europäischen Menschenrechtskonvention. Sie forderten Präsident Rumen Radew auf, sein Veto einzulegen und das Gesetz nicht zu unterschreiben.
Zustimmung unter Wählern
Laut Umfragen aber sind die meisten Wähler in Bulgarien der Meinung, dass solche Verbote richtig sind. Aus diesem Grund stimmten nicht nur Nationalisten und prorussische Abgeordnete für das Gesetz, sondern auch Parteien, die im Europäischen Parlament Mitglieder der Europäischen Volkspartei (EVP) und der liberalen Familie sind. Im DW-Interview sagte Jawor Boschankow, dass der Vorsitzende der größten Parlamentspartei GERB, der langjährige Ministerpräsident Bojko Borissow, offenbar den Werten der Europäischen Volkspartei den Rücken kehre, der seine Partei angehört. Das Gesetz sei homophob, ein "Gesetz des Hasses". Borissow sei ein Populist und denke an die bevorstehenden Wahlen.
In der hitzigen Diskussion über das Gesetz hatte Borissow erklärt: "Wenn Euroatlantismus bedeutet, dass man mich zu einer Frau macht, dann gebe ich euch die Überschrift: Ich bin kein Euroatlantiker."
Wird Brüssel reagieren?
Der Europaabgeordnete Radan Kanew von der konservativen Partei Demokratisches Bulgarien (DB), die zusammen mit Wir setzen den Wandel (PP) fort als einzige Fraktion gegen das Gesetz im bulgarischen Parlament gestimmt hat, schrieb auf Facebook, dass er die Europäische Kommission, das Europäische Parlament und die EVP auffordere, das Anti-LGBTQ-Gesetz zu verurteilen. Doch noch schweigt die EU-Kommission. Nach Auffassung von Beobachtern ist das darauf zurückzuführen, dass auch zwei Parteien aus Parteienfamilien, die eine zweite Amtszeit von Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen unterstützt hatten, für das Gesetz gestimmt hätten.
Der bulgarische Abgeordnete Boschankow mahnt im DW-Interview: "Die Olympischen Spiele in Paris haben gezeigt, dass die russischen Informations- und Propagandakanäle die These vom moralisch degenerierten Westen intensiv vorantreiben und Homophobie verbreiten." Die EU sollte sich der Tatsache bewusst werden, dass die Bulgaren aus historischen, kulturellen und geografischen Gründen besonders anfällig für russische Propaganda seien.
Au dem Weg in die illiberale Demokratie?
Der Kommentator Daniel Smilow befürchtet, dass nach den vorgezogenen Parlamentswahlen im Oktober eine populistische Mehrheit im bulgarischen Parlament entstehen könnte, die Bulgarien in eine "illiberale Demokratie" nach dem Vorbild Ungarns verwandeln und das Land von der EU und der NATO abtrennen könnte.
Boschankow teilt diese Ansicht: "Es ist klar, warum diese Leute ein solches Gesetz durchgesetzt haben. Und wenn wir ihnen nicht entgegentreten, werden sie morgen nicht nur Gesetze für 'traditionelle Sexualität' verabschieden, sondern auch für die traditionelle Hautfarbe und für die traditionelle Nationalität. Das ist ein Weg, den Europa sehr gut kennt und weiß, wie er endet."