Petersburger Dialog vor Zerreißprobe
28. Mai 2021Mit Russland über verschiedene Kanäle im Gespräch bleiben - das war das Ziel des 2001 gegründeten "Petersburger Dialogs". In seinem Jubiläumsjahr droht dem zivilgesellschaftlichen Forum zum Austausch zwischen Deutschland und Russland eine Zerreißprobe. Was tun, wenn Moskau keinen Dialog will? Oder zumindest nicht mit allen? Die Generalstaatsanwaltschaft in Moskau teilte am Mittwoch mit, dass die Aktivitäten von drei deutschen Nichtregierungsorganisationen unerwünscht sind. Das kommt einem faktischen Verbot gleich.
Betroffen sind das Zentrum für Liberale Moderne (LibMod), der Deutsch-Russische Austausch (DRA) sowie das Forum Russischsprachiger Europäer. Der deutsche Außenminister Heiko Maas sprach noch am selben Tag von einer "besonders befremdlichen und inakzeptablen" Entscheidung und forderte Moskau auf, sie rückgängig zu machen.
Empörung bei NGOs
Die drei NGOs wurden in eine schwarze Liste des Justizministeriums aufgenommen, in der seit 2015 mehr als 30 Organisationen eingetragen wurden, die meisten aus den USA. Als erste und bisher einzige deutsche NGO wurde die Europäische Plattform für Demokratische Wahlen (EPDE) entsprechend eingestuft- wenige Tage vor der Präsidentenwahl in Russland im März 2018. Vorstandsmitglied war damals Stefanie Schiffer. "Dieses Gesetz ist sehr brutal und hat verheerende Auswirkungen auf die Zusammenarbeit", sagte die Osteuropa-Expertin im Gespräch mit der DW. Sie darf seit der Einstufung nach Russland nicht mehr einreisen. Schiffer sprach von einer "unwürdigen Situation", in der russische Bürger für Kontakte mit ausländischen NGOs kriminalisiert würden und mit Haftstrafen belegt werden könnten.
Die nun betroffenen Organisationen haben eine unterschiedliche Geschichte. Der 1992 gegründete Deutsch-Russische Austausch ist eine der ältesten deutschen NGOs, die in Russland aktiv sind. Der DRA fördert zum Beispiel Schüleraustausch und organisiert Bildungsreisen. Hinzu kommen Projekte zu Menschenrechten oder Inklusion im Bereich Kultur auch in anderen Ländern der früheren Sowjetunion, darunter die Ukraine und Georgien. Damit sei jetzt Schluss, sagte DRA-Geschäftsführer Stefan Melle der DW: "Das ist eine sehr harte und ungerechtfertigte Entscheidung". Man sei "empört und enttäuscht."
Das Zentrum für Liberale Moderne wurde 2017 von der ehemaligen Grünen-Politikerin und Osteuropa-Expertin Marieluise Beck und ihrem Ehemann Ralf Fücks gegründet, der früher die Grünen-nahe Heinrich-Böll-Stiftung leitete. Das Zentrum beschreibt sich selbst als eine "unabhängige Denkwerkstatt, ein Debattenforum und ein Projektbüro". Erst vor wenigen Tagen veranstaltete LibMod eine Online-Debatte anlässlich des 100. Geburtstags des sowjetischen Dissidenten und Bürgerrechtlers Andrei Sacharow.
Die dritte gelistete NGO, Forum Russischsprachiger Europäer, steht etwas abseits der anderen beiden. Sie wurde 2017 von einem Exil-Russen in Berlin gegründet. Der Verein bezeichnet sich als Netzwerk der "Anhänger liberal-demokratischer Werte und Gegner der putinschen Diktatur, Aggression und Propaganda". Er organisiert Proteste gegen die Kreml-Politik.
Darum sind diese NGOs in Russland unerwünscht
Überraschend kam die Einstufung nicht. Wenige Wochen zuvor, im April, wurde der deutsche Botschafter in Moskau in die russische Staatsduma eingeladen. Hintergrund war ein neues Gesetz über "Aufklärung", das Russland vor "Propaganda" durch "antirussische Kräfte" schützen soll, so die Initiatoren. Der Botschafter habe scharfe Kritik an vier deutschen NGOs zu hören bekommen, sagt Stefan Melle vom DRA. Neben den drei nun "unerwünschten" wurde dabei auch die Heinrich-Böll-Stiftung kritisiert. Sie ist jedoch von der jetzigen Einstufung nicht betroffen.
Was genau gefiel russischen Abgeordneten nicht? Der Vorsitzende des Duma-Ausschusses für Sicherheit und Kampf gegen Korruption, Wassili Piskarjew, warf in einer Stellungnahme deutschen NGOs Rechtfertigung des Terrorismus und Separatismus, Behinderung der russischen Energiepolitik sowie Verdrehung der Geschichte vor. Stefan Melle nennt diese Vorwürfe "absurd". Gemeint sei wohl die Bezeichnung der von Russland annektierten Krim als völkerrechtlicher Teil der Ukraine oder die Erwähnung des Hitler-Stalin-Paktes in Debatten über den Zweiten Weltkrieg. Das seien "Dinge, die in der heutigen Selbstbetrachtung und Geschichtsschreibung der russischen Führung nicht mehr erwünscht" seien, so Melle.
Ähnlich sieht es Ralf Fücks, Geschäftsführer bei LibMod. Seinem Zentrum sei außerdem der Einsatz für die Rechte der LGBT-Community und für ein Projekt über erneuerbare Energie zum Verhängnis geworden. "Die Brandmarkung zielt vor allem darauf, der demokratischen Zivilgesellschaft in Russland die internationale Unterstützung zu entziehen", sagte Fücks der DW.
Wird der Petersburger Dialog ausgesetzt?
Während die betroffenen NGOs ihre Projekte in Russland nun abwickeln müssen, steht die Frage im Raum: Was bedeutet das für den Petersburger Dialog? Die Einstufung trifft drei Vertreter des Forums auf der deutschen Seite: Marieluise Beck sitzt im Vorstand, Ralf Fücks und Stefan Melle sind Mitglieder. "Ich erwarte mir schon als Signal, dass die geplanten Aktivitäten ausgesetzt werden, solange ein Teil des Petersburger Dialogs und der deutschen Zivilgesellschaft von russischer Seite ausgeschlossen wird", sagt Ralf Fücks. "Dieses Teile-und-herrsche-Spiel, in dem man Teile der deutschen NGOs zu unerwünschten Partnern erklärt und die anderen zu willfährigen Gefolgsleuten, wird nicht gelingen."
Ähnlich sieht es Stefanie Schiffer, Vorstandsmitglied beim Petersburger Dialog. "Es wird kein Weiter-so geben", sagte Schiffer. Die deutsche Seite werde in den kommenden Tagen beraten, was sich ändern müsse. Für eine Aussetzung sprachen sich in einer Presseerklärung die Grünen-Bundestagsabgeordneten Katrin Göring-Eckardt und Manuel Sarrazin aus. Auch mehrere Vertreter der Zivilgesellschaft plädierten in einem offenen Brief für eine Denkpause für das Forum, darunter der frühere Bundestagspräsident Norbert Lammert.