Nach Nehammer-Aus: Regiert in Österreich doch bald die FPÖ?
5. Januar 2025Die Koalitionsgespräche sind geplatzt, der Kanzler ist zurückgetreten: Österreichs Bundespräsident Alexander Van der Bellen hat nur noch wenige Optionen, wem er als nächstes den Auftrag zur Bildung einer Regierung geben soll. Nun rückt die eigentliche Wahlsiegerin wieder in den Mittelpunkt: die rechtspopulistische Freiheitliche Partei Österreichs (FPÖ), mit der bislang niemand in Wien koalieren wollte.
Er habe FPÖ-Chef Herbert Kickl für diesen Montag zu einem Gespräch in die Wiener Hofburg eingeladen, um mit ihm über die Regierungsbildung zu sprechen, verkündete Van der Bellen am frühen Sonntagnachmittag. Er habe den Eindruck, dass die Stimmen in der Österreichischen Volkspartei (ÖVP) deutlich leiser geworden seien, die eine Zusammenarbeit mit Kickl ausschließen. "Das wiederum bedeutet, dass sich möglicherweise ein neuer Weg auftut."
Van der Bellen will Übergangskanzler ernennen
Zunächst werde Karl Nehammer von der ÖVP als Kanzler im Amt bleiben, so Van der Bellen weiter. Im Laufe der kommenden Woche werde er als Staatsoberhaupt dann eine andere Person mit der Aufgabe betrauen, als Kanzler für einen geordneten Übergang zu sorgen.
In den vergangenen Tagen waren Verhandlungen über eine Mitte-Koalition geplatzt. Zunächst waren die liberalen Neos aus den Gesprächen über das angestrebte Dreierbündnis ausgestiegen. Dann gingen auch die verbliebenen Verhandlungspartner, die konservative ÖVP und die sozialdemokratische SPÖ, getrennte Wege.
Neupositionierung der ÖVP
Da Kanzler und ÖVP-Chef Nehammer danach weiterhin auch eine Zusammenarbeit mit FPÖ-Chef Kickl ausschloss, kündigte er am Samstag seinen Rücktritt an, um seiner Partei den Weg für andere Optionen zu ebnen. Neuer geschäftsführender Chef der ÖVP ist der bisherige Generalsekretär der Konservativen, Christian Stocker. Der hat sich bereits offen für Gespräche mit der FPÖ gezeigt: "Wenn wir zu diesen Gesprächen eingeladen werden, dann werden wir diese Einladung auch annehmen", so Stocker.
Der 64-Jährige war in der Vergangenheit als entschiedener Gegner der FPÖ in Erscheinung getreten. "Aber seit gestern stellt sich die Situation anders", sagte Stocker nun. "Es geht daher jetzt nicht um Herbert Kickl oder um mich, sondern es geht darum, dass dieses Land gerade jetzt eine stabile Regierung benötigt und wir nicht fortlaufend Zeit in Wahlkämpfen oder Wahlen verlieren können, die wir nicht haben."
Sollten sich die ÖVP nach dem Rückzug Nehammers nun für Koalitionsverhandlungen mit der rechten FPÖ entscheiden, wären die Konservativen nur noch der Juniorpartner in solch einer Regierung. Kommt weiter keine Koalition zustande, wären auch Neuwahlen möglich. Bei denen könnten die Rechtspopulisten laut Umfragen auf eine noch größere Wählergunst hoffen.
Russlandfreundlich und EU-kritisch
Die FPÖ war bei der Wahl im September mit 28,85 Prozent der Stimmen erstmals stärkste Kraft im Parlament geworden. Die konservative ÖVP erzielte 26,3 Prozent, gefolgt von der sozialdemokratischen SPÖ mit 21,1 Prozent, die Neos kamen auf 9,1 Prozent.
FPÖ-Chef Kickl (56) vertritt russlandfreundliche Positionen. Er wendet sich etwa seit langem gegen EU-Sanktionen gegen Russland im Zusammenhang mit dem Ukraine-Krieg. In Sachen Asyl und Migration verfolgt Kickl, der von 2017 bis 2019 Innenminister war, einen harten Kurs.
Selbst gegenüber der Identitären Bewegung, die in Österreich als rechtsextrem eingestuft ist, hat der FPÖ-Chef keine Berührungsängste. Die Gruppierung sei so etwas wie eine "rechte Nichtregierungsorganisation", sagte Kickl einst dem Österreichischen Rundfunk.
AR/se (dpa, afp, rtr, orf)