Nach der Flucht: Saša Stanišić jongliert gern mit deutschen Wörtern
Saša Stanišić wurde in Deutschland als "Shootingstar der Literatur" gefeiert, der Leipziger Buchpreis machte ihn 2015 international bekannt. Angekommen ist er als Kriegsflüchtling aus Bosnien.
Ausgezeichnet: der Schriftsteller Saša Stanišić
Die deutschen Feuilletons hat er auf Anhieb erobert. Saša Stanišić galt lange als Geheimtipp, seine Bücher werden mit Preisen ausgezeichnet, weil sie sehr authentisch sind. Er recherchiert alles gründlich: Unterhaltsame Geschichten aus Bosnien ("Wie der Soldat das Grammofon repariert"), schräge Geschichten aus der Uckermark, dem Osten Deutschlands ("Der Fallensteller") - damit hat er Erfolg.
Seine Heimat: die Brücke von Visegrad
"Ich erinnere mich genau an Dinge, die mir mal wichtig waren", erzählt er. Seine Heimatstadt Visegrad in Bosnien und Herzegowina gehört dazu. Das Leben am Fluss Drina, die Geschichten der alten Männer, neben denen er als Kind oft stundenlang gesessen hat, alles kommt in seinen Büchern vor. Auch der melancholische Blick der Fische. Die Drina-Brücke ist ein Wahrzeichen seiner Heimat.
Die Flucht vor dem Bosnienkrieg
Der Krieg in Bosnien und Herzegowina bricht brutal in sein Leben ein. Die Familie Stanišić kann rechtzeitig fliehen, Saša ist damals 14 Jahre alt. Mitnehmen können sie nur 3 braune Koffer mit dem Nötigsten. Sie schlagen sich bis zur serbischen Grenze durch, in langen Fußmärschen kommen sie bis Belgrad. Von dort fliegen sie nach München, ein Onkel ist Gastarbeiter in Deutschland und bürgt für sie.
Heimatliche Landschaft: das Neckartal
Allein mit seiner Mutter kommt Saša Stanišić am 20. August 1992 in Heidelberg an - eine deutsche Universitätsstadt am idyllischen Neckar. Für ihn schnell eine vertraute Landschaft, er sitzt gern bei den schweigsamen Anglern am Fluss, wie er das als Kind auch in Visegrad oft getan hat. Der Vater kommt erst später nach, er hat in Bosnien seine alte Mutter noch in Sicherheit gebracht.
Die Brücke in eine neue Welt
Das historische Schloss oberhalb der Altstadt von Heidelberg erscheint dem Jungen als "schönste Ruine der Welt". In Bosnien gibt es nur Kriegsruinen. Die steinerne Brücke über den Neckar ist für ihn wie eine Brücke zur eigenen Vergangenheit, die sie im zerstörten Bosnien zurücklassen mussten. Der Onkel bringt sie zeitweise bei sich unter, erst später beziehen sie eine eigene kleine Wohnung.
Das Ankommen in Deutschland
Anfangs spaziert Saša mit seiner Mutter staunend die Touristenwege entlang. Die Pflastersteine, die Laternen, alles kommt ihm seltsam vertraut vor - und ist doch fremd. Die deutsche Sprache ist für den 14-Jährigen wie ein Buch mit sieben Siegeln. "Niemand verstand uns, und wir verstanden niemand". Er kennt nur wenige Wörter. "Fußball", "Schokoladeneis" und "Mein Name ist..." gehören schnell dazu.
Touristenmagnet Altstadt
In der Heidelberger Altstadt werden viele Sprachen gesprochen, die Touristen hier kommen aus aller Welt. Die Flüchtlinge aus Bosnien fallen gar nicht weiter auf. Saša Stanišić kommt auf eine Internationale Gesamtschule. In der Förderklasse für Migrantenkinder findet er Spaß daran, Satzgebilde aus deutschen Wörtern zu bauen. Mit 15 schreibt er Gedichte, bald auf Deutsch. Er ist angekommen.
Der Studienplatz ist die Rettung
Die Ausländerbehörde überwacht sein Leben als jugendlicher Flüchtling und das seiner Eltern genau. Nach dem Friedensabkommen von Dayton 1995 droht der Familie die Abschiebung, "freiwillige Rückkehr" heißt es offiziell. Dem Tipp seines Sachbearbeiters hat Saša zu verdanken, dass er sich rechtzeitig für ein Studium einschreibt. Er darf bleiben - und will Lehrer für Deutsch als Fremdsprache werden.
Studentenleben in Heidelberg
Zum Studium zieht Saša Stanišić von der Migrantensiedlung außerhalb der Stadt runter in die Altstadt. In der Zentralmensa der Uni treffen sich alle. Im Studium ist es kein Thema mehr, dass er aus Bosnien geflüchtet ist, für seinen Akzent interessieren sich nur die Studentinnen. Ehrgeizig widmet sich Sasa seinen Studienfächern, nach dem Master geht er für ein Jahr in die USA.
Preisgekrönte Literatur
Schon im Studium schreibt er literarische Texte. Am Deutschen Literaturinstitut in Leipzig bekommt Saša Stanišić dann noch handwerklichen Schliff. 2005 gewinnt er mit einer Erzählung den Publikumspreis beim Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb. Es ist der Start für seine Karriere als deutschsprachiger Schriftsteller. Inzwischen kann er zahlreiche Literaturpreise und Bestseller als Erfolg verbuchen.
Angekommen - in der deutschen Sprache
Seit 2013 hat Stanišić die deutsche Staatsbürgerschaft. Inzwischen ist er Familienvater und hat einen kleinen Sohn. Seine Eltern mussten Deutschland 1998 verlassen, sie leben seitdem in Florida/USA. Als Schriftsteller ist er politisch aktiv, er engagiert sich im PEN-Zentrum. Und er ist ein genauer Beobachter seiner Mitmenschen: Wer ihm auffällt, wird als Prototyp im nächsten Roman eingebaut.