Wie Künstler in Myanmar Aung San Suu Kyi feiern
10. November 2015Noch ist es ruhig in der Pansodan-Galerie im Zentrum der Wirtschaftsmetropole und ehemaligen Hauptstadt Rangun. Von der lauten Durchgangsstraße ist kaum etwas zu hören. Stattdessen klingt Klavier durch den großräumigen Altbau - Proben für die große Feier am Abend, wenn die endgültigen Ergebnisse der Parlamentswahlen in Myanmar verkündet werden. Am Fenster des großen Raums sitzt am Telefon Aung Soe Min. Ein Burmese Mitte vierzig mit wachen Augen. Ihm gehört die Galerie. Er schmeißt die Party und wartet auf den Moment, an dem er – "endlich!", wie er sagt - offiziell den Wahlsieg der Opposition feiern kann.
Dass nun tatsächlich die NLD (National League for Democracy) unter der Führung von Aung San Suu Kyi die Wahlen gewinnt, das hat er sich zwar oft im Kopf ausgemalt. Geglaubt hat er es nicht. "Ich bin einfach nur glücklich", sagt er jetzt. Noch immer etwas überrascht darüber, dass das Militär seine Niederlage eingeräumt hat.
Man könnte sagen: Aung Soe Min sitzt zwischen der Vergangenheit und der Zukunft Myanmars. In seiner Galerie lagert ein kleines Archiv alter Filmplakate und viel zeitgenössische Kunst. Von abstrakten Acrylbildern über knallige Drip-Paintings bis zu Siebdrucken stapeln sich die Leinwände auf zwei Etagen des Altbaus. Hauptsache, es ist kreativ. So sieht Aung Soe Min das. Bloß keine Gefälligkeitskunst, wie sie lange Zeit Myanmar beherrschte. Bloß keine Heldenmalerei. Das gilt auch für Porträts der "Lady", wie die voraussichtliche Wahlsiegerin Aung San Suu Kyi in Myanmar ehrfürchtig genannt wird. Auch ihr Konterfei ist auf einem der Bilder zu erkennen.
Die "Lady" und ihr Vater - Ikonen des unabhängigen Myanmar
"Ganz Rangun hing in den letzten Wochen voll mit Porträts von Aung San Suu Kyi. Auf Wahlplakaten der NLD, auf Taschen gedruckt, aber das ist natürlich nicht alles Kunst." Aung Soe Min räuspert sich. Ein paar junge Künstler hätten auch Zeichnungen und Graffitis von ihr gemalt, die er gut fand. Die Collage von Zwe Yan Naing aber sei "große Kunst, weil es eine ganz eigene Beschäftigung mit der Geschichte Myanmars ist. Wir sehen nicht nur Aung San Suu Kyi im Zentrum, sondern daneben auf einem alten Geldschein auch ihren Vater, den Helden der Unabhängigkeit Burmas von Großbritannien", erklärt Aung Soe Min. "Es ist eine 25-Kyat-Banknote, die wiederum der Diktator Ne Win über Nacht abschaffte."
Die Pansodan-Galerie ist eine Art Panorama des modernen Myanmar. Und Aung Soe Min ist sein Chronist. Er hat in diesem Land, das einst Burma hieß und von den Kritikern der Militärjunta noch immer so genannt wird, schon vieles erlebt. 1988 als Aung San Suu Kyi aus Großbritannien nach Burma zurückkehrte und die Oppositionspartei NLD gründete, war er ein junger Student in der Nähe der Stadt Bagan. Er erlebte am eigenen Leib wie der Volksaufstand der Studenten gegen die Militärregierung, das "8888 Uprising", blutig niedergeschlagen wurde. Wie viele andere lokale Studentenführer wurde auch er mehrfach verhaftet. Jeder freien Meinungsäußerung wurde für Jahrzehnte ein Ende setzte. Das galt auch für die Kunst.
Von Rangun nach New York oder Singapur
Zwanzig Jahre nach dem Studentenaufstand eröffnete Aung Soe Min seine Galerie – noch vor der offiziellen Kursänderung des Militärs 2011. Viele hielten ihn damals für verrückt. Mittlerweile gilt die Pansodan-Galerie als eine der wichtigsten Adressen für zeitgenössische Kunst in Myanmar. Mit der Öffnung des Landes für ausländische Investoren, wurde offiziell auch die Zensur abgeschafft. Künstler dürfen heute auch in New York, Singapur oder Deutschland ausstellen. Wie Zaw Nyunt Pe. Anfang des Jahres wurden seine Bilder im Linden-Museum in Stuttgart ausgestellt. "Ich habe immer versucht, trotz Zensur das zu machen, was ich für richtig halte", sagte er wenig später, zurück in der Pansodan- Galerie. "Aber erst jetzt kann ich mich mit internationalen Künstlern austauschen. Das ist eine große Verbesserung und inspiriert mich."
Für Mg Nyan gehört es inzwischen zum Alltag, Fotos auf Facebook zu posten, die eigene Musik auf Youtube hochzuladen und Konzerte auf offener Straße zu geben. 21 Jahre alt ist der Sänger der Band "Never Reverse". Ein Punk. "Ein Rebell", wie er selbst sagt, der schon allein durch seine Kleidung zeigt, dass er sich nicht an gesellschaftliche Normen anpasst.
Punks gab es auch schon während der Militärdiktatur. Doch damals war die Rebellion gefährlich. Ebenso wie für die bildende Kunst galt auch für die Musik: Alles musste der Zensurbehörde vorgelegt werden. Ein Rockkonzert wäre unmöglich gewesen. Anders heute: Im Dezember 2014 gaben die Toten Hosen gemeinsam mit den einheimischen Punkbands Side Effect, Kaaiza Tin Moong und No U Turn ein Konzert in Rangun. Rund 6000 Menschen jubelten ihnen zu. Auch Mg Nyan war dabei.
Haare wie Stachel - die Punks von Myanmar
Und doch ist in Myanmar nicht jede freie Meinungsäußerung möglich. Immer wieder werden Journalisten und auch Künstler unter Druck gesetzt. Probleme mit Polizei oder Behörden hatte Mg Nyan zwar noch nie. Frei fühlte er sich dennoch nicht. "Das Militär interessiert sich nicht für uns", sagt er. "Wir sind viel zu unwichtig. Aber auch wir kämpfen für die Freiheit. Indem wir jeden Tag zeigen, dass wir gegen eine Gesellschaft sind, die Krieg im eigenen Land führt, anstatt für eine Ernährung aller Bevölkerungsgruppen zu sorgen." Eine Anspielung auf die Konflikte im Vielvölkerstaat Myanmar, in dem noch immer Rebellengruppen gegen das Militär kämpfen, trotz offiziellem Waffenstillstand. In dem die Minderheit der Rohingya keine Bürgerrechte besitzt. Und in dem noch immer rund 17 Prozent der Bevölkerung als unterernährt eingestuft wird.
Die Rolle der Punks liegt auch darin, die Gesellschaft daran zu erinnern, dass es immer auch Menschen gibt, die anders sind. Die mit ihren Haaren, die aussehen wie Stacheln, in die Schwächen des Systems pieksen.
Sonntag war das erste Mal, dass Mg Nyan überhaupt wählen durfte. "Wir müssen das System in Myanmar ändern. Deshalb wählen wir die NLD – die Lady!" hatte er noch aufgeregt wenige Stunden vor dem Urnengang im Facebook-Chat geschrieben. Doch auch er war skeptisch, dass die Wahlen fair ablaufen würden. Die Regierung – und damit ist nach wie vor das Militär gemeint – werde seine Macht nicht so leicht abgeben. Denn eines stand bereits vor der Wahl fest: Im Parlament ist ein Viertel der Sitze für das Militär reserviert. Und Aung San Suu Kyi darf laut Verfassung nicht Präsidentin werden – weil ihre zwei Söhne einen britischen Pass haben.
"Aung San Suu Kyi ist eine Kreative"
Doch sie hat bereits vor der Wahl angekündigt, dass sie – sollte die NLD bei den Parlamentswahlen gewinnen – einen Posten besetzen würde, der noch über dem Präsidenten steht. Aung Soe Min lacht. Das ist es was er an der Lady bewundert. "Auch sie ist eine Kreative", meint er. "Deswegen wird sie dieses Land führen und voran bringen, egal in welcher Position. Auch in der Politik muss man querdenken und kreative Lösungen finden. Nur so kann es vorangehen."
Für die große Wahlparty in seiner Galerie hat Augn Soe Min eigens einen Song geschrieben: "Forward", Vorwärts, heißt er. Performed wird er neben dem Klavier auch auf traditionellen burmesischen Instrumenten, gesungen von einem Musiker aus San Francisco – auf burmesisch! Eine wilde Mischung, wie Aung Soe Min sie liebt.