Nach den Londoner Anschlägen ist dunkle Haut verdächtig
2. August 2005"Wir sollten keine Zeit damit verschwenden, alte weiße Damen zu durchsuchen", sagte Ian Johnston, Chef der britischen Bahnpolizei, in einem Interview. Bei den verstärkten Personendurchsuchungen, mit denen weitere Terroranschläge in London verhindert werden sollen, müsse man sich auf Leute konzentrieren, die etwas damit zu tun haben könnten, erklärte ein Sprecher der Bahnpolizei, die auch für die U-Bahn zuständig ist: "Das kann überproportional vorkommen, wenn es um bestimmte ethnische Gruppen geht." Vor diesem Hintergrund kündigte am Dienstag (2.8.2005) Hazel Blears, Staatsekretärin im Innenministerium, an, sie wolle sich mit Führern der islamischen Gemeinde, Polizeibeamten und Abgeordneten treffen. Blears hatte zuvor gesagt, die Bahnpolizei handele "absolut richtig". Dies würden "anständige Leute" auch akzeptieren.
Das Gefühl, rechtlos zu sein
Nicht so Shami Chakrabarti. "Diese Politik wird jungen schwarzen und asiatischen Männern noch stärker das Gefühl geben, rechtlos zu sein", meint die Direktorin der Menschenrechtsorganisation Liberty. Zudem schade das Vorgehen der Terrorbekämpfung: "Man erklärt den terroristischen Gruppen doch nicht, welche Personen man im Visier hat. Wenn die Polizei routinemäßig nach ethnischen Profilen geht, können diese Gruppen Leute einsetzen, die diesem Profil nicht entsprechen."
Stop-and-Search als Druckmittel
Der deutsche Terrorismusexperte Rolf Tophoven hält die verstärkte Kontrolle bestimmter ethnischer Gruppen dagegen für sinnvoll. Er verweist darauf, dass die nach den misslungenen Anschlägen vom 21. Juli festgenommenen Männer aus Pakistan und afrikanischen Ländern stammen: "Dass die Sicherheitsbehörden versuchen, auf Ethnien Druck auszuüben, die als potenzielles Umfeld und Schutzschild für Terroristen infrage kommen, ist verständlich". Die Stop-and-Search-Aktionen könnten zu einer Verunsicherung der Terror-Szene führen - und damit zu Bewegungen, die Festnahmen erleichtern könnten.
"Das könnte auch ich sein"
Das Vorgehen sei ein Ratespiel, sagt Gargi Bhattacharyya, Soziologin an der Universität Birmingham: "Man trifft die Entscheidung nach der Hautfarbe - ohne zu wissen, ob die Person Muslim, Hindu oder Sikh ist." Umgekehrt fielen weiße Muslime, die inzwischen eine signifikante Gruppe ausmachten, durch das Raster. In London führe diese Art der Entscheidungsfindung ohnehin zu nichts: "Dort ist nahezu die Hälfte der Bevölkerung dunkler Hautfarbe."
Die Auswahl nach dem Aussehen verstärke unter den Minderheiten lediglich die Verunsicherung, die seit den Anschlägen ohnehin zugenommen habe. "Für junge Männer aus Südasien und dem mittleren Osten hat sich der Alltag völlig verändert, weil sie von vielen Leuten als Bedrohung wahrgenommen werden", sagt Bhattacharyya. Umso größer sei der Schock gewesen, als die Polizisten einen 27-jährigen Brasilianer erschossen, weil sie ihn für einen Selbstmordattentäter hielten. "Viele sahen das als Zeichen, dass jeder von uns auf der Straße erschossen werden könnte." Nach dem Unglück veröffentlichte die Polizei Fahndungsfotos der mutmaßlichen Bombenattentäter - die extrem unscharf waren und ganz verschieden aussehende Leute hätten darstellen können. "Jeder mit einer dunkleren Hautfarbe dachte: 'Der auf dem Bild könnte auch ich sein'", sagt Bhattacharyya.
Rassistische Übergriffe
"Unter den Muslimen gibt es derzeit eine große Beklemmung", sagt Shenaz Yusuf vom Rat der Muslime in Großbritannien. Nicht nur der finale Rettungsschuss - an dem die Polizei festhält - habe für Unruhe gesorgt, sondern auch ein steiler Anstieg rassistischer Übergriffe. Seit der ersten Anschlagsserie vom 7. Juli habe es zwischen 800 und 1100 rassistische Vorfälle gegeben; die Islamische Menschenrechtskommission habe einen 13-fachen Anstieg registriert. Allerdings habe die Polizei versichert, dass diesen Fällen ernsthaft nachgegangen werde. "Insgesamt war es sehr beruhigend, wie die Polizei nach den Anschlägen vorgegangen ist", sagt Yusuf. So hätte die Polizeiführung, etwa durch Besuche in Moscheen, versucht, ein Gefühl der Marginalisierung in der muslimischen Gemeinde zu verhindern.
Auch die Soziologin Gargi Bhattacharyya meint, dass die britischen Entscheidungsträger insgesamt umsichtig gewesen seien: "Es wird anerkannt, dass Spannungen zwischen den ethnischen Gruppen das Leben in Großbritannien katastrophal verändern könnten." Allerdings habe es auch eine gewisse Doppelbödigkeit, wenn der Polizeichef eine Moschee besucht oder Tony Blair islamische Kleriker einlädt: "Damit wird auch gesagt: 'Die Terroristen sind eure Leute - bringt das in Ordnung.'"