ORF distanziert sich von Böhmermann-Interview
8. Mai 2019In Anspielung auf ein Zitat des österreichischen Schriftstellers Thomas Bernhard sagte Böhmermann am Montag in der ORF-2-Sendung "Kulturmontag", in Österreich gebe es acht Millionen Debile, deren Ruf nach autoritärer Führung sehr laut sei. Politisch sei Österreich sowas wie ein Versuchslabor, sagte der Satiriker mit Blick auf die Regierung aus der konservativen ÖVP und der rechtspopulistischen FPÖ.
Vor dem Hintergrund der FPÖ-Pläne, die Rundfunkgebühren in Österreich abzuschaffen und den öffentlich-rechtlichen Rundfunk über Steuern zu finanzieren, scherzte Böhmermann über die bevorstehende Umbenennung des ORF in FPÖ-TV.
"Dürfen Sie das senden?"
Über Österreichs Bundeskanzler Sebastian Kurz sagte Böhmermann, ein 32-jähriger Bundeskanzler sei nicht normal. "Ihren Versicherungsvertreter mit dem ganzen Haargel - haben Sie da niemand besseren? Und dürfen Sie das eigentlich senden, wenn ich das sage?"
Die Moderatorin Clarissa Stadler sagte nach dem Beitrag: "Soweit also die Ansichten des Satirikers Jan Böhmermann zu Österreich. [...] Der ORF distanziert sich von den provokanten und politischen Aussagen Böhmermanns, aber wie Sie wissen, darf Satire alles und der öffentlich-rechtliche Rundfunk künstlerische Meinung wiedergeben."
Der ORF teilte mit, der Sender sei aufgrund seines Objektivitätsgebots verpflichtet, sich von unsachlichen Äußerungen Dritter zu distanzieren. ORF-TV-Kulturchef Martin Traxl sagte der österreichischen Nachrichtenagentur APA, es habe "keinerlei Druck von innen oder außen" für die Distanzierung gegeben. Die Kulturredaktion soll das Interview der Rechtsabteilung vorgelegt und das Vorgehen abgestimmt haben.
Eine nachträgliche Distanzierung von den Inhalten eines Interviews erscheint aus deutscher Sicht ungewöhnlich. Zwar gilt auch hier bei falschen Tatsachenbehauptungen oder der Verletzung von Persönlichkeitsrechten eine Verbreiterhaftung, und Meinungsartikeln, Kommentaren oder Interviews kann der Zusatz beigefügt werden, dass diese allein die Ansichten der Autoren oder Gesprächspartner und nicht der Redaktion wiedergeben.
Objektivität bei politischen Äußerungen
Die Kritik an einer Distanzierung von einem soeben ausgestrahlten Interview ist legitim - der ORF ist dafür jedoch nur bedingt der richtige Adressat. Sowohl Gerichte als auch Regulierungsbehörden haben in Österreich in der Vergangenheit bei einseitigen politischen Äußerungen eine Verletzung des Objektivitätsgebots festgestellt, weil diese ohne Einordnung dem ORF hätten zugerechnet werden können. Bei der Übertragung von Festveranstaltungen ist der ORF dazu übergegangen, im Abspann einen entsprechenden Hinweis einzublenden.
Hätte der Sender dem Interview also keinen Hinweis folgen lassen, hätte womöglich ein Verfahren gedroht - auch wenn die Aussagen deutlich erkennbar von einem Satiriker stammten. Durch die Distanzierung vermied der Sender zudem, das Interview zu kürzen. Fraglich bleibt die Formulierung: Statt Objektivität deutet eine Distanzierung eher an, nicht mit den Aussagen übereinzustimmen.
Pressefreiheit in Gefahr?
Die aktuelle Aufregung hat einen ernsten Hintergrund. Beobachter sehen die Pressefreiheit in Österreich unter Druck und die Unabhängigkeit der Medien in Gefahr. "Die Distanzierung vom Böhmermann-Interview ist ein Hinweis, dass der ORF sehr unter Beschuss steht", sagte Rubina Möhring, Geschäftsführende Präsidentin von Reporter ohne Grenzen Österreich, der DW. Bei den Journalistinnen und Journalisten gebe es inzwischen eine Schere im Kopf: "Der Begriff 'Distanzierung' ist ein Ausdruck der Angst."
Neben der FPÖ-Forderung nach einem steuerfinanzierten öffentlich-rechtlichen Rundfunk, also der faktischen Umwandlung in einen Staatsfunk, gehen die Rechtspopulisten auch regelmäßig Journalisten direkt an. Nach einem kritischen Interview mit FPÖ-Generalsekretär Harald Vilimsky forderten FPÖ-Politiker den Rauswurf des ORF-Moderators Armin Wolf. FPÖ-Vizekanzler Heinz-Christian Strache unterstellte Wolf zuvor bereits Lügen, ehe er durch eine Entschuldigung sowie eine Entschädigungszahlung ein Gerichtsverfahren abwandte.
Druck der Regierung
In der Rangliste der Pressefreiheit 2019 ist Österreich um fünf Plätze auf den 16. Rang abgerutscht. "Österreichs weiße Weste hat braune Flecken bekommen", sagte Rubina Möhring. Als Beispiele für politische Einflussnahme nannte sie die Forderung der FPÖ, den Ungarn-Korrespondenten des ORF wegen dessen Berichterstattung über die Parlamentswahl 2018 zurück zu berufen. Der Druck gehe aber auch von der ÖVP und Bundeskanzler Kurz aus, der einen angeblich falschen Radiobeitrag kritisiert hatte, dessen Inhalt korrekt war. "Wir sehen eine gemeinsame Linie der Regierungsparteien", sagte Möhring.
Mit kritischen Einlassungen zu Politikern hat Böhmermann Erfahrung. Nach seinem Schmähgedicht an den türkischen Präsidenten Erdogan 2018 erstattete dieser Strafanzeige gegen den Moderator und forderte einen Prozess wegen Beleidigung von Organen und Vertretern ausländischer Staaten. Mit einer Klage gegen Bundeskanzlerin Merkel, die das Gedicht anfangs "bewusst verletzend" genannt und dies später als Fehler bezeichnet hatte, war Böhmermann jüngst gescheitert.
Die Ausstellung "Deuscthland#ASNCHLUSS#Östereich" im Grazer Künstlerhaus knüpft an die Schau "DEUSCTHLAND" im NRW-Forum Düsseldorf an und verhandelt laut Böhmermann "die Ambivalenz von Österreich seiner eigenen Geschichte gegenüber".