Hinterzimmerdiplomatie erster Klasse
15. Februar 2019Rund 35 Staats- und Regierungschefs. Etwa 80 Außen- und Verteidigungsminister. Insgesamt rund 600 Experten für Sicherheitspolitik. Konferenzleiter Wolfgang Ischinger spricht von der "größten und wichtigsten" Münchner Sicherheitskonferenz (MSC) seit der Gründung vor mehr als 50 Jahren. An diesem Freitagnachmittag beginnen nicht nur 48 Stunden vollgepacktes Programm mit Dutzenden von Veranstaltungen, bei denen Präsidenten auftreten, Verteidigungsminister sprechen und Außenminister debattieren - auch aus zerstrittenen und verfeindeten Lagern. Es eröffnet zugleich ein Labor der diplomatischen Möglichkeiten, in dem Positionen abgetastet und Gemeinsamkeiten ausgelotet werden. Hinter den Kulissen. Möglichst verschwiegen und ungestört.
Das liegt sicher auch am Konferenzort. Das weitläufige Traditionshotel 'Bayerischer Hof' erstreckt sich über mehrere Gebäudeteile. Nach und nach hinzugekommen. Derart verwinkelt ist es für Hinterzimmerdiplomatie bestens geeignet. Teppiche dämpfen die Schritte. Unzählige Treppen und Durchgänge bieten geschützte Wege zu den Zimmern - vorbei an Reportern, Fotografen und anderen unerwünschten Beobachtern. Allein 100 Räume hat die Konferenzleitung für vertrauliche Begegnungen reserviert. Vergeben werden sie vom eigens eingerichteten "Bilateral Team" in halbstündigen Slots.
Plattform für operative Politik
"Die Münchner Sicherheitskonferenz ist ein Ort, wo Ideen getestet werden können, wo Allianzen entwickelt werden können und wo Vorbereitungen getroffen werden können, um Friedensprozesse weiter zu bringen oder überhaupt erst zu beginnen", erklärt der langjährige Leiter Wolfgang Ischinger selbstbewusst. Er hat dabei nicht nur das Konferenzprogramm im Auge. Das sei nur "die Spitze des Eisbergs", urteilt Ischinger selbst. Mindestens ebenso wichtig wie das öffentliche Ausbreiten der Politik im Großen Ballsaal des Hotels sind die vielen diskreten Begegnungen von Delegationen. Sie erst machen die Sicherheitskonferenz zu einer Plattform für operative Politik.
In Interviews nennt Ischinger als Beispiel gerne die Verhandlungen über das Rüstungskontrollabkommen für strategische Nuklearwaffen "New START". Wie er der Zeitschrift "Internationale Politik" sagte, entwickelten sich die START-Verhandlungen aus Gesprächen am Rande der Sicherheitskonferenz 2009. Zwei Jahre später unterzeichneten die damalige US-Außenministerin Hillary Clinton und ihr russischer Amtskollege Sergej Lawrow die Ratifizierungsurkunden - ebenfalls in München am Rande der Sicherheitskonferenz. Wenn Räume und Dolmetscher zur Verfügung stehen und man sich am gleichen Ort vertraulich treffen kann, ohne dafür über die Straße gehen zu müssen, kommen auch ungewöhnliche Begegnungen zu Stande. Ohne Details zu nennen, berichtet Ischinger von Amerikanern, die diese Angebot genutzt hätten, um einmal ein "richtiges Gespräch mit den Iranern zu führen".
Leere Plätze im Hauptsaal, Gedränge auf den Fluren
Wenn also selbst beim Auftritt von Bundeskanzlerin Angela Merkel oder von US-Vizepräsident Mike Pence an diesem Wochenende das Publikum schrumpfen sollte, dann weniger, weil die Konferenzteilnehmer sich die Sehenswürdigkeiten Münchens anschauen. Sie sitzen vermutlich eher in einem der wichtigen "Bilaterals", von denen es allein im vergangenen Jahr nach Angaben der Sicherheitskonferenz rund 2.200 gab.
Diese bilateralen oder manchmal auch trilateralen Treffen sind zu einem elementaren Teil der Konferenz geworden, betont Tobias Bunde, inhaltlich für die Sicherheitskonferenz mitverantwortlich. "Für viele Regierungen ist die Münchner Sicherheitskonferenz ein sehr effizienter und effektiver Weg, in kürzester Zeit viele andere Regierungsvertreter zu treffen. Dafür müsste man sonst viele Flugkilometer in Kauf nehmen", analysiert Bunde.
Reden statt Twittern
Doch statt feiner Diplomatie wird Außenpolitik mittlerweile oft durch Tweets bestimmt. Besonders US-Präsident Donald Trump überrascht Verbündete wie Widersacher immer wieder damit, außenpolitische Richtungsentscheidungen per Twitter zu verkünden. Das direkte Gespräch mit Freunden und mit Gegenspielern auf der Sicherheitskonferenz hat aber zum Beispiel für Angela Merkel nichts von seiner Bedeutung verloren. Auch nicht im Vergleich zum Kalten Krieg, in dessen Entwicklung sich die Sicherheitskonferenz ab 1963 einen Namen machte. "Denn wir erleben, dass es heute auch wieder eine Vielzahl von Konflikten gibt." Zwar sei die Welt nicht mehr bipolar aufgebaut, so die Bundeskanzlerin. "Aber umso mehr gibt es lokale Konflikte und neue Herausforderungen wie zum Beispiel den Terrorismus. Und deshalb ist das miteinander sprechen mindestens genauso wichtig wie zu Zeiten des Kalten Krieges".
Immerhin: In diesem Jahr wird die größte US-Delegation aller Zeiten in München erwartet. Neben Vizepräsident Mike Pence wird auch Außenminister Mike Pompeo erwartet, der geschäftsführende Verteidigungsminister Patrick Shanahan und die Sprecherin des Repräsentantenhauses, Nancy Pelosi. Das lässt hoffen, dass auch in Washington nach Wegen jenseits von Twitter-Diplomatie gesucht wird.