Die Revolution der Literaten
8. November 2018"Genossen! Unser Führer hat gesprochen. Es hat keinen Zweck mehr, viele Worte zu verlieren! Wer für die Revolution ist, uns nach! Mir nach! Marsch!" Es ist Felix Fechenbach, ein Vertrauter des Reichstagskandidat der Unabhängigen Sozialdemokraten (USPD) Kurt Eisners, der mit diesen Sätzen der Münchner Revolution am 7. November 1918 eine Richtung gibt: "ein fünfundzwanzigjähriger Dichter mit weichem Gesicht und zartem Bart". So beschreibt ihn Volker Weidermann, "Spiegel"-Autor und Gastgeber des "Literarischen Quartetts" im Zweiten Deutschen Fernsehen in seinem Buch "Träumer. Als die Dichter die Macht übernahmen" über die Münchner Räterepublik.
Fechenbach ist nicht der einzige Literat, der an diesem sonnigen Nachmittag auf der Münchner Theresienwiese die Revolution beschwört. Auch der Dichter und Literaturkritiker Oskar Maria Graf hört Eisners Rede. Graf, dessen erster Gedichtband schlicht den Titel "Die Revolutionäre" trägt. Er und sein Malerfreund Georg Schrimpf führen neben Eisner den Zug an, der sich auf die Kasernen zubewegt. Als sich die Türen einer Kaserne nach der anderen öffnen, sich die Soldaten den Revolutionären anschließen, rote Fahnen aus den Fenstern gehängt und Zellen geöffnet werden, stehen die beiden Dichter und der Maler an vorderster Front.
Ein Publizist macht Revolution
Mitten in der Nacht auf den 8. November 1918 ziehen dann Felix Fechenbach und der Dramatiker und Journalist Wilhelm Herzog mit Eisner in das bayerische Parlament ein. Kurt Eisner, der einstige Schriftsteller und Journalist, ruft sich in einer begeisternden Rede zum provisorischen Ministerpräsidenten aus und erklärt Bayern zum Freistaat. Kurz vor Mitternacht hat Eisner auch die von Herzog entworfene schriftliche Proklamation abgesegnet. Am nächsten Morgen wird sie in den "Münchner Neuesten Nachrichten" bekanntgemacht: Das Königshaus der Wittelsbacher hatte abgedankt, eine "provisorische Volksregierung" sollte ab jetzt die Angelegenheiten der "demokratischen und sozialen Republik Bayern" regeln.
Auch Rainer Maria Rilke ist in diesen Tagen in der Stadt. Seine Elegien, Vorstufen der später unter dem Titel "Duineser Elegien" veröffentlichten Gedichte, hatte er zur Sicherheit frühzeitig an seinen Verleger in Leipzig geschickt. Am 7. November berichtet er in einem Brief an seine ehemalige Frau Clara von einem Vortrag des berühmten Heidelberger Professors Max Weber und der Atmosphäre im Saal: "Der Dunst aus Bier und Rauch und Volk ging einem nicht unbequem ein."
Oskar Maria Graf und der anarchistische Schriftsteller Erich Mühsam sind an diesem Abend des 4. November ebenfalls im Saal. "Die Revolution wird kommen", rufen sie dem Professor entgegen, der zwar, wie sie alle, gegen den Krieg ist, aber auch gegen die Revolution.
Mit revolutionärem Enthusiasmus
Der 1883 geborene Jude Ernst Toller, "Dichter mit offenem Herzen", wie ihn Weidermann charakterisiert, hatte Kurt Eisner Anfang 1918 in Berlin kennengelernt, als er aus seinem ersten, revolutionär-aufrüttelnden Theaterstück vorlas. In München hatte er Eisner wiedergetroffen, war wie dieser früh im Jahr 1918 verhaftet und drei Monate lang in einem Militärgefängnis eingesperrt worden. Als er von Eisners friedlicher Revolution erfährt, muss er dabei sein. Er wird Zweiter Vorsitzender des "Vollzugsrats".
Am 14. November 1918 lud Eisner den anarchistischen Theoretiker Gustav Landauer nach München ein. Er schätzte ihn wegen seiner schriftstellerischen und rhetorischen Begabung. Landauer sollte "durch rednerische Betätigung an der Umbildung der Seelen mitarbeiten". Der pazifistische Schriftsteller folgt der Einladung.
Unübersichtliche Verhältnisse am Kriegsende
Es ist ein historischer Moment, in dem alles möglich erscheint: radikaler Pazifismus, direkte Demokratie, soziale Gerechtigkeit, die Herrschaft der Phantasie. Wie überall in Deutschland fiel das Ende des Ersten Weltkrieges mit dem Zusammenbruch der Monarchie zusammen. "Man möchte immer weinen und lachen in einem", schreibt Victor Klemperer in seinem postum wiederentdeckten "Revolutionstagebuch 1919". Darin beschreibt der damalige Journalist und Privatdozent die Wirren der Münchner Räterepublik nach dem Kriegsende. Mit der Aussicht auf eine Uni-Dozentur hatten er und seine Frau Eva Anfang 1919 eine Wohnung in München bezogen. Die Münchner Revolutionäre hält er zunächst für lächerliche Schwärmer, Kurt Eisner für einen "Feuilletonisten".
Doch Eisner ist nur eine rund 100-tägige Amtszeit als Ministerpräsident Bayerns vergönnt. Seine Regierung, wird, besonders von den SPD-Ministern, nur als ein Provisorium bis zur angesetzten Landtagswahl betrachtet. Auch von der revolutionären Linken und der erst Anfang Januar 1919 gegründeten Kommunistischen Partei Deutschlands wird sie unter Druck gesetzt. Am 21. Februar 1919 wird Kurt Eisner durch einen völkischen Korpsstudenten ermordet.
Blutiges Ende: Die kurzlebige bayerische Räterepublik
Als sich nach seinem Tod die Auseinandersetzungen zwischen den Anhängern einer parlamentarischen Demokratie und denen einer sozialistischen Räterepublik in Bayern verschärfen, bleibt die Kunst zunächst an der Seite der Revolution. Nachdem der Zentralrat und der Revolutionäre Arbeiterrat am 7. April 1919 die Bayerische Räterepublik ausgerufen hatten, waren Gustav Landauer, Erich Mühsam und Ernst Toller dominante Figuren der Räterepublik – bis diese Anfang Mai 1919 im Auftrag der Bamberger Landesregierung und der SPD-geführten Reichsregierung von rechtsnationalistischen Korps blutig niedergeschlagen wurde.
"Offiziell wurden nach der Niederschlagung der Räterepublik 606 Tote registriert, 233 Kämpfer der Roten Armee, 335 Zivilisten, 38 Angehörige der Freikorps", bilanziert Weidermann. "Schätzungen gehen von weiteren 400 Toten aus. In den Wochen nach der Niederlage der Revolutionäre wurden 2200 Unterstützer der Räterepublik von Standgerichten zum Tode oder zu Haftstrafen verurteilt."
Strafen für die Dichter
Ernst Toller entging nur knapp der Todesstrafe. Er wurde zu fünf Jahren Festungshaft verurteilt. Schon während dieser Zeit wurde er für seine expressionistischen Dramen bekannt. 1939 brachte er sich im amerikanischen Exil um.
Erich Mühsam erhielt eine Strafe von 15 Jahren Festungshaft, aus der er nach fünf Jahren im Rahmen einer Amnestie frei kam. Er wurde 1934 im Konzentrationslager Oranienburg ermordet.
Oskar Maria Graf bekannte später über seine Rolle als Revolutionär: "Es stimmt vollkommen, ich war ein schöner Revolutionsheld, und ich bin, während andere kämpften, Sekt saufen und zu Huren gegangen." Er kam nur für einige Wochen ins Gefängnis.
Volker Weidermann: "Träumer - Als die Dichter die Macht übernahmen", Köln 2017, 288 Seiten