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Plastik-Pest in den Ozeanen

Esther Felden / Gabriel Dominguez5. Juni 2014

Die Ozeane als riesige Müllkippe: Sammelbecken für den Abfall der ganzen Welt, von kleinsten Partikeln bis hin zu riesigen Teilen. Die Suche nach MH370 hat ein Schlaglicht auf das Ausmaß der Verschmutzung geworfen.

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Plastikmüll am Strand (Foto: imago/alimdi)
Bild: imago

Jedes im Wasser schwimmende Teil hätte den Angehörigen die ersehnten Antworten bringen können. Antworten auf die vielen offenen Fragen im Zusammenhang mit dem mysteriösen Verschwinden der seit Anfang März verschollenen Passagiermaschine der Malaysia Airlines. Doch die quälende Ungewissheit, was genau an Bord von Flug MH370 passierte geht weiter. Denn sämtliche Gegenstände, die bei der fieberhaften Suche im Indischen Ozean gesichtet wurden, entpuppten sich wenig später schlichtweg als Müll: Plastikabfälle, Fischerei-Ausrüstung oder sonstiges Treibgut.

Aus Sicht von Experten keine Überraschung. Denn die Ozeane ertrinken regelrecht im Müll. Selbst entlegenste Meeresregionen - fernab jeder Küste - sind von Abfall durchsetzt. Ein großer Teil des Mülls besteht aus Plastik: Zahnbürsten, Plastiktüten, Kanister und anderes. "Jährlich werden etwa 280 Millionen Tonnen Kunststoff produziert", erklärt Thilo Maack, Meeresbiologe bei Greenpeace Deutschland, gegenüber der Deutschen Welle. "Schätzungen zufolge gelangen 20 Prozent davon in die Meere." Wie viele Tonnen es tatsächlich sind, weiß niemand genau. Denn die auf der Wasseroberfläche treibenden Teile sind nur der sichtbare Teil des Problems. Doch auch unter Wasser lagert Abfall in unvorstellbar großen Mengen. "Das ist ein riesiges Problem. Allein in der Nordsee geht man davon aus, dass bis zu 300.000 Tonnen Plastikmüll den Meeresboden bedecken."

Weltweit größte Mülldeponie Pazifik?

Genau wie das Wasser ist auch ein großer Teil des Mülls ständig in Bewegung, wird von Wellen und Strömungen erfasst und fortgetrieben, teilweise von einem Kontinent zum anderen. Es gibt gigantische Müllstrudel, allen voran den sogenannten "Great Pacific Garbage Patch" im Nord-Pazifik. Dieser Müllteppich ist ungefähr so groß wie Mitteleuropa. Allerdings: Die Bezeichnung an sich ist irreführend, meint Wendy Watson-Wright, Geschäftsführerin bei der Intergovernmental Oceanographic Commission (IOC), einer zwischenstaatlichen Organisation, die Teil der UNESCO ist und sich unter anderem mit der Erforschung der Weltmeere beschäftigt.

Luftaufnahme eines Müllteppichs im Great Pacific Garbage Patch (Foto: AP Scripps Institution of Oceanography)
Der "Great Pacific Garbage Patch" ist so groß wie MitteleuropaBild: AP

"Bei dem Begriff "Great Pacific Garbage Patch" denkt man an eine zusammenhängende Müllfläche, eine regelrechte Müll-Insel, die man schon aus dem Weltraum mit Hilfe von Satellitenbildern erkennen kann." Doch das sei ein Trugschluss, denn tatsächlich handle es sich bei einem Großteil des "Garbage Patch" um eine Ansammlung kleiner schwimmender Partikel. "Leider", so Watson-Wright weiter, denn das erschwere den Kampf gegen den Müll. "Es wäre vermutlich einfacher, eine durchgehende, sichtbare Müllfläche zu reinigen als diese 'Suppe' aus Plastik-Teilen."

Der Pazifik ist der größte Ozean der Welt und erstreckt sich über fast 30 Prozent der Erdoberfläche, erklärt Watson-Wright gegenüber der Deutschen Welle. "Das Einzugsgebiet ist riesig, und atmosphärische Bedingungen wie Meeresströmungen unterstützen die hohe Müllkonzentration zusätzlich", sagt Watson-Wright. Eine flächendeckende Reinigung ist in der Praxis kaum möglich: Den kompletten Ozean zu überfliegen und aus der Luft abzusuchen sei extrem teuer. Und selbst, wenn man sich nur auf größere zusammenhängende Müllflächen konzentrieren würde, sei die Herausforderung gewaltig.

Satellitenaufnahme vom 23. März, auf der im Meer treibende Objekte erkennbar sind (Foto: picture-alliance/dpa)
Satellitenbilder mit unidentifizierten Objekten im Wasser schürten immer wieder Hoffnungen, das Schicksal von MH370 zu klärenBild: picture-alliance/dpa

Natürlich könne man große Plastikteile gezielt aus dem Wasser fischen, meint auch Greenpeace-Experte Thilo Maack. Doch beheben lässt sich das Problem damit nicht. "Plastik zerfällt in immer kleinere Stücke, die irgendwann nicht größer als die im Meer treibenden Planktonorganismen sind. Filtert man dieses Plastik aus dem Meer, filtert man gleichzeitig das Plankton." Daher sei Filtern keine Option.

Ein Fluch für Jahrhunderte

Ein weiteres Problem: Plastik vergeht nicht - oder zumindest nur extrem langsam. "Es wird biologisch kaum abgebaut. Selbst wenn ab sofort gar kein Plastik mehr produziert würde, würde uns das Problem weiter beschäftigen", sagt Maack. Und der Kühlungseffekt des Meerwassers vermindere den ohnehin sehr langsamen Abbauprozess durch Sonnenlicht und Wärme weiter. So können insgesamt mehrere hundert Jahre vergehen, bis sich ein Stück Kunststoff komplett zersetzt hat.

Ein toter Vogel mit Plastik-Ring um den Hals (Foto: picture-alliance/Balance/Photoshot)
Tod im Sixpack-Ring: Immer wieder verenden Vögel in den Plastikverpackungen von GetränkedosenBild: picture-alliance/Balance/Photoshot

Besonders für die Tierwelt hat die Plastikflut oft tödliche Folgen. Unzählige Tiere verenden jedes Jahr qualvoll. "Jeder kennt die Bilder von Seevögeln, die sich in Sixpack-Plastikringen selbst stranguliert haben", sagt Thilo Maack. Und: Die Tiere halten im Wasser treibende Plastik-Abfälle fälschlicherweise für Nahrung, verschlucken sie und vergiften sich daran. Zum Beispiel Meeresschildkröten. "Schildkröten fressen große Mengen Quallen, und im Wasser treibende weiße Einmalplastiktüten sehen solchen Quallen täuschend ähnlich." Einmal verschluckt, blockieren die unverdaulichen Tüten die Magenpassage, und die Tiere gehen elendig zugrunde. Auch viele Seevögel, die sich von dem ernähren, was sie auf oder unmittelbar unter der Wasseroberfläche ergattern können, sind betroffen. "Oftmals fressen sie Plastikmüll wie Schraubverschlüsse, Reste von Zahnbürsten oder Feuerzeuge. Dieses Plastik wird auch an die Jungvögel "verfüttert", die dann mit vollem Magen verhungern und verdursten."

Umdenken fängt bei jedem Einzelnen an

Die einzige Möglichkeit, die Situation auf den Meeren langfristig zu verbessern besteht darin, grundsätzlich etwas zu verändern, sind sich Thilo Maack und Wendy Watson-Wright einig. Eine Herkules-Aufgabe sowohl für lokale oder nationale Regierungen als auch für jeden einzelnen Bürger, der durch verantwortungsvolle Müllentsorgung oder -vermeidung seinen Teil beitragen kann. "Außerdem müssen die Hersteller viel stärker in die Pflicht genommen werden", findet Maack. "Wer Plastik produziert, muss auch an den Entsorgungs- oder besser Recyclingsprozessen beteiligt sein." Es braucht ein nachhaltiges Entsorgungsmanagement, sagt auch Watson-Wright - um sicherzustellen, "dass Kunststoff und andere schädliche Materialien durch entsprechende Abfallmanagementsysteme geleitet werden und gar nicht erst ins Meer gelangen".

Eine Junge steht hüfttief in schwimmendem Müll (Foto: China Photos/Getty Images)
Die Verschmutzung wächst - dagegen tun kann jeder einzelne etwasBild: China Photos/Getty Images

Mehr als 20 Meter lang waren die größten Objekte, die auf der Suche nach dem vermissten Flugzeug der Malaysia Airlines im Indischen Ozean gesichtet wurden. Müll, der bei den wartenden Angehörigen falsche Hoffnungen schürte. Und der der Welt für einen Moment die extreme Verschmutzung des Meeres bildlich vor Augen führte. Wendy Watson-Wright hofft, dass die Bilder im kollektiven Gedächtnis haften bleiben und vielleicht sogar etwas verändern. "Falls es irgendetwas Gutes gibt, das man aus diesem fürchterlichen Vorfall um MH370 ziehen kann, dann ist es die Hoffnung darauf, dass es eine neu erweckte Aufmerksamkeit für die furchtbaren Müllmengen gibt, die durch menschliches Verschulden täglich in den Weltmeeren landen."