Der Tourismus kehrt nach Nordafrika zurück
6. Juni 2022Zwei Jahre lang hatte die Corona-Pandemie den Tourismus in Nordafrika und Nahost lahmgelegt. Nun erwacht er langsam wieder zum Leben - sehr zur Erleichterung der dortigen Regierungen. Denn in Ländern wie Tunesien, Ägypten, Marokko und Jordanien trägt der Tourismus wesentlich zum Bruttosozialprodukt bei - und damit indirekt auch zum Erhalt der politischen Stabilität.
"Der Tourismus ist für viele Menschen die Haupteinnahmequelle", sagt der Gastronom Saied Boukidour aus der Oasenstadt Kalaat M'Gouna in Südmarokko im DW-Interview. "Bleibt er aus, führt das zu Ärger und Frustration."
Die meisten Einwohner des kleinen, für seine Schlösser und Rosenplantagen berühmten Orts sind auf die eine oder andere Weise im Tourismus tätig. Der Abschwung habe bereits Auswirkungen auf den sozialen Status und die Lebensgrundlage der Einheimischen, sagt Boukidour. "Die Preise sind gestiegen, und die Not der Familien nimmt zu."
Nun gehe es zwar langsam wieder bergauf - aber es herrscht Skepsis, ob dies reichen wird. Die Pandemie und der Krieg in der Ukraine hätten einige Bürger zwar dazu veranlasst, über alternative Arbeitsmöglichkeiten nachzudenken. Das aber sei schwierig, da es in Kalaat M'Gouna kaum andere Arbeit gebe, so der Gastronom. "Darum denken einige auch darüber nach, auszuwandern."
Devisenbringer
In den vergangenen Jahrzehnten war der Tourismus zu einem immer wichtigeren nationalen Einkommensbringer geworden. Länder wie Tunesien, Marokko, Ägypten und Jordanien nehmen in normalen Zeiten durch ihn Milliarden Euro ein.
"Die Einnahmen aus dem Tourismus sind eine Lebensader für diese Länder", sagt Basem Aly, Analyst des Beratungsunternehmens Control Risks, im DW-Interview. "Ägypten, Tunesien und Marokko sind keine großen Industriestaaten. Der Tourismussektor ist eine ihrer wenigen Quellen für Devisen."
Nach Angaben der OECD machte der Tourismus vor der Pandemie bis zu 15 Prozent des ägyptischen Bruttoinlandsprodukts (BIP) aus. In Marokko trug er vor der Pandemie mit rund zehn Prozent, in Tunesien mit zwölf und in Jordanien mit knapp 19 Prozent zum BIP bei.
Enormer Arbeitsmarkt
Zudem sorgt der Tourismussektor für viel Beschäftigung. In Ägypten etwa arbeiten rund drei Millionen Menschen, in Marokko und Tunesien jeweils etwa eine halbe Million in der Branche. Hinzu kommen jene, die in tourismusbezogenen Berufen arbeiten - etwa als Restaurantkellner, Taxifahrer oder Ladenverkäufer. Auch Kunsthandwerker und Transporteure sind teils vom Tourismus abhängig.
"Der informelle Sektor spielt in Ländern wie Ägypten, Marokko, Tunesien und Jordanien eine wichtige wirtschaftliche und soziale Rolle", heißt es in einem Briefing von Control Risks aus dem Jahr 2020. Demnach nimmt die Branche eine große Zahl von Berufsanfängern auf, die nicht in der Lage sind, eine formelle Beschäftigung zu finden. Zugleich dient sie teils auch als Auffangbecken für Arbeitnehmer, die während der jüngsten Krisen ihren Arbeitsplatz verloren haben.
Entsprechend haben die Regierungen dieser Länder in den vergangenen zwei Jahren versucht, die Auswirkungen der Pandemie auf den Tourismus so gering wie möglich zu halten. In Marokko etwa erhielten die Beschäftigten der Tourismusbranche rund 200 Dollar (187 Euro) pro Monat von der Regierung - unter der Voraussetzung, dass die Arbeitgeber mindestens 80 Prozent der Mitarbeiter weiter beschäftigten.
In Jordanien wurden Reiseunternehmen von verschiedenen Gebühren befreit und konnten günstige Darlehen nehmen. Einige Länder förderten den Inlandstourismus, andere versuchten, neue Märkte zu erschließen, indem sie den Medizintourismus ausbauten oder verstärkt um Besucher aus Osteuropa warben.
Neuer Aufschwung
Tatsächlich erlebt der Tourismussektor in diesen Ländern seit Anfang des Jahres zumindest in Ansätzen einen neuen Aufschwung. So öffneten die marokkanischen Behörden die Flughäfen des Landes im Februar wieder für ausländische Passagiere. In der Regierung geht man sogar optimistisch davon aus, dass die Zahl der Besucher im laufenden Jahr nur um rund ein Viertel niedriger als vor Beginn der Pandemie im Jahr 2019 liegen wird. Damals zählte das Land 13 Millionen Touristen.
Tunesien hat seit Beginn des Jahres zwar bereits über eine Million Besucher verzeichnet. Dennoch dürften die Zahlen dort voraussichtlich nicht so positiv ausfallen wie in Marokko. Man erwarte nur die Hälfte der 9,4 Millionen Touristen, die Tunesien im Jahr 2019 - also vor Ausbruch der Corona-Pandemie - besuchten, sagte Tourismus-Minister Mohamed Moez lokalen Medien.
Die derzeitige politische Ungewissheit - Staatspräsident Kais Saied hatte im Sommer vergangenen Jahres das Parlament suspendiert, im März dieses Jahres löste er es auf - könnte sich ebenfalls negativ auf den Tourismussektor auswirken. Zu dieser Einschätzung war Ende vergangenen Jahres auch bereits eine Recherche des Magazins "The Economist" gekommen.
Auswirkungen des Ukraine-Krieges
Negative Folgen für den Tourismussektor in arabischen Ländern könnte nun zudem die russische Invasion in der Ukraine haben. "Der ukrainische und der russische Markt sind für Ägypten sehr wichtig. Derzeit sind aber überhaupt keine ukrainischen Touristen mehr bei uns", sagt Alaa Akel, Vorsitzender des ägyptischen Hotelverbandes. "Ich gehe davon aus, dass diesen Sommer auch keine russischen Touristen kommen werden", so Akel weiter. Besucher aus diesen Ländern machten früher etwa 40 Prozent der Strandtouristen des Landes aus.
Auch Tunesien leidet unter den Auswirkungen des russischen Angriffs auf die Ukraine: Touristen aus Russland stellten bislang rund sieben Prozent aller Besucher des Landes. Nun hat die Tourismusbehörde erklärt, sie wolle diese Gruppe trotz des Krieges zu einem Besuch ermutigen. Man habe eigens private Fluggesellschaften organisiert, um sie ins Land zu bringen.
Trotz aller Herausforderungen bleibt Basem Aly von Control Risks optimistisch. Die sozialen und wirtschaftlichen Probleme würden in den genannten Ländern im laufenden Jahr auf jeden Fall nicht mehr so düster ausfallen wie noch 2020.
Mitarbeit: Abdessamad Jattioui, Marokko
Aus dem Englischen adaptiert von Kersten Knipp.