Wettlauf gegen den Tod in Tansania
9. Februar 2017Kochen, essen, Wasser holen, waschen, plaudern - in Ifakara sind die Hütten zu klein für so viel Leben. Die Menschen sind arm in der Stadt im Landesinneren von Tansania, in die meisten Häuser passen höchstens ein, zwei Betten. Alles außer Schlafen findet draußen statt. Und draußen, da sind die Mücken: eine tödliche Gefahr. Eine Bedeutung des Wortes Ifakara ist "Der Platz, wo ich sterbe".
Alle zwei Minuten stirbt in Afrika ein Kind an Malaria. Fieberschübe, Bewusstseinsstörungen, Organversagen sind typische Symptome. Die Erreger können sich in etwa 30 verschiedenen Anopheles-Mücken vermehren und durch einen Stich ins Blut gelangen.
Das Kilombero-Tal rund um Ifakara zählte zu den am schlimmsten von Malaria betroffenen Regionen Afrikas. "Am Anfang meiner Zeit hier konnten wir die Mücken, die wir für unsere Stichproben in einfachen Lichtfallen fingen, nie zählen, sondern nur wiegen", sagt Gerry Killeen. Der Ire forscht seit 15 Jahren am Ifakara Health Institute (IHI), einem international anerkannten Zentrum der Malariaforschung. "Manchmal war der Auffangbeutel der Fallen nach einer einzigen Nacht bis zum Rand mit Mücken gefüllt", sagt Killeen.
Unbesiegbare Anopheles-Mücke?
Heute ist das anders. In Ifakara schläft heute fast jeder unter einem Moskitonetz. Weil Anopheles-Mücken am liebsten nachts stechen, wird ihnen damit die Lebensgrundlage entzogen. Mit Insektiziden behandelte Moskitonetze haben am meisten dazu beigetragen, dass die Todesrate seit 2000 um 60 Prozent gefallen ist und es ein Drittel weniger Ansteckungen gibt. In den 80er Jahren bekam ein Mensch in Ifakara im Durchschnitt 2000 infektiöse Mückenstiche pro Jahr. Heute sind es 18. Auch weltweit geben die Zahlen Anlass zur Hoffnung, auch wenn es erst einmal nicht so klingt: Der WHO zufolge leben 3,2 Milliarden Menschen in Risikogebieten, 212 Millionen Menschen erkrankten vergangenes Jahr neu an Malaria. Das ist ein Rückgang der Fallzahlen von 18 Prozent seit 2000. Es sah so aus, als könnte die Menschheit Malaria besiegen.
Aber die Mücken spielen nicht mit. Allen Anstrengungen zum Trotz fliegen sie weiter, stechen weiter, töten weiter. Die Krankheitsfälle stagnieren auf dem erreichten Niveau. Als würde man gegen eine Wand laufen. Als würde sich der geschlagen geglaubte Gegner wieder erholen. In Ifakara sind die Forscher dem Geheimnis auf der Spur: Noch immer haben mehr als zehn Prozent der Einwohner des Kilombero-Tals Erreger im Blut - obwohl sie unter Netzen schlafen. "Wenn man davon ausgeht, dass Anopheles-Mücken nur nachts stechen, ist es überraschend, dass wir hier trotzdem noch so viel Malaria haben", sagt Fredros Okumu, wissenschaftlicher Direktor des IHI.
Menschliche Köder
Okumu geht diesem Widerspruch auf den Grund, die Einwohner des Kilombero-Tals machen mit. Gegen eine kleine Entlohnung suchen sie Stellen mit besonders vielen Insekten oder setzen sich als menschlicher Köder stundenlang unter ein Moskitonetz mit angeschlossener Falle. Sie sammeln Daten, führen Buch darüber, was genau ihre Familie zwischen sechs Uhr abends und morgens tut.
Zusätzlich untersuchen die Wissenschaftler des IHI im Labor, wie viele Mücken den Erreger in sich tragen, ob die Weibchen bereits gestochen haben und welcher Art die Insekten überhaupt angehören.
Bruce Willis unter den Mücken
Diese Puzzlesteine setzen sich langsam zu einem Bild zusammen: Es erklärt, wie die verbliebenen Malariafälle zustande kommen. Noch vor einigen Jahren waren neun von zehn Mücken von der Art gambiae sensu strictu. "Effiziente Malaria-Überträger, die nur nachts stechen, innerhalb der Häuser”, sagt Okumu. "Diese Art ist heute so gut wie verschwunden, weil sie aufgrund der Moskitonetze nicht mehr an die Menschen herankommt." Stattdessen haben sich andere Anopheles-Subspezies ausgebreitet, vor allem Arabiensis und Funestus. Die IHI-Forscher nennen sie "Bruce Willis unter den Anopheles-Mücken", weil sie so flexibel, vielseitig und vor allem: nicht totzukriegen sind. Anopheles arabiensis sticht auch Hühner oder Kühe, wenn sie keinen Menschen erwischt. Anopheles funestus ist zwar seltener, trägt dafür aber häufiger den Malaria-Erreger in sich. Beide Arten sind bereits in der Dämmerung aktiv und bleiben es, bis die Sonne aufgeht.
Raffinierter Überlebenskünstler
Die gesammelten Daten zeigen, wie geschickt sich die Insekten an die Menschen angepasst haben: Ihre Dichte erreicht in Ifakara zwischen acht und neun Uhr abends einen Höhepunkt - den Umfragen zufolge gehen die meisten Einwohner zwischen neun und zehn ins Bett, wo sie geschützt sind. Ein zweites Mal schlagen die Mücken gegen fünf Uhr morgens zu, wenn viele Leute aufstehen.
Mücken sind gigantische Überlebenskünstler: ein Erfolgsmodell, auf allen Kontinenten außer der Antarktis vertreten, seit 100 Millionen Jahren. Mücken haben vermutlich schon Dinosaurier gestochen. Die schnelle Generationenfolge von nur zwei bis drei Wochen und die hohe Zahl der Nachkommen - bis zu 300 Eier pro Eiablage - machen sie extrem anpassungsfähig.
Um Malaria komplett zurückzudrängen, wie es sich die Vereinten Nationen bis 2030 zum Ziel gesetzt haben, müssen Menschen also auch außerhalb ihrer Betten und Häuser vor Mückenstichen sicher sein. Doch wie soll das in Tansania gehen, wo das monatliche Durchschnittseinkommen bei 75 US-Dollar liegt? Viele können sich nicht einmal Kerzen für schummriges Licht leisten, geschweige denn Insektenschutzmittel wie Autan bezahlen. Und größere, mückensichere Häuser bleiben für die Bauern Ifakaras erst recht unerreichbar.
Die Zeit drängt
Die Forscher am IHI experimentieren daher mit verschiedenen Methoden. Sie haben leere Tonvasen aufgestellt, die Mücken gerne als Tagesversteck benutzen. Die Vasen sind mit Pyriproxifen behandelt, das die dort ruhenden Insekten unfreiwillig zu ihren Eiablagestellen transportieren. Dort verhindert der Wirkstoff, dass sich Moskitolarven zu erwachsenen Insekten entwickeln. Insektizid-getränkte Sisalmatten zum Mitnehmen halten Mücken im Umkreis von bis zu fünf Metern einigermaßen fern, ihre Herstellung kostet nur zwei Dollar. Auch entsprechend behandelte Sandalen bieten etwas Schutz.
Doch es ist ein Wettlauf gegen die Zeit - und gegen die Reaktion der Mücken. "Sie werden immer häufiger resistent gegen Insektizide", sagt Nancy Matowo, eine Forscherkollegin Okumus. Die WHO berichtet, die Überträger seien in 60 von 96 Ländern gegen mindestens eine chemische Klasse unempfindlich geworden. Äthiopien, Sudan und Afghanistan melden sogar Moskitos, die gegen alle vier verfügbaren Klassen von Insektiziden resistent sind.
Willkommen in "Moskito City"
"Wir wollten deshalb eine Methode entwickeln, die Mücken sofort tötet, ohne Insektizide", sagt Matowo. Das Ergebnis ist die Moskito Landing Box, ein schwarzer Kasten aus Holz mit lamellenförmigen Öffnungen. Direkt dahinter verbergen sich unter Strom stehende Gitter, die Matowo und ihre Kollegen aus billigen Elektro-Fliegenklatschen ausgebaut haben. Ein Ventilator verbreitet einen nach menschlichem Schweiß riechenden Lockstoff, etwa von getragenen Nylonsocken. "Sobald die Mücken in die Box fliegen, treffen sie auf das unter Spannung stehende Gitter und sterben", sagt Matowo. Eine Solarzelle auf der Box liefert den Strom, nachts kommt er aus einer Batterie.
In "Moskito City", dem Versuchsgelände des Ifakara Health Institutes, hatte die Falle ihren ersten Einsatz. In den riesigen Gewächshäusern befinden sich Tümpel, Bananenstauden und Hütten mit Schlafplätzen, um das Jagdrevier der Mücken nachzubilden.
Die Ergebnisse sind vielversprechend, eine Landing Box reduziert die Zahl der stechwilligen Moskitos nach ersten Erkenntnissen auf einen Bruchteil. Matowos Kollege Arnold Mmbando arbeitet bereits an einer Weiterentwicklung: In einem ersten Schritt soll ein abschreckender Duftstoff die Mücken aus der Nähe der Menschen verjagen. Dort, wo die Insekten hin flüchten, wartet dann die Landing Box, die sie anzieht und tötet.
Mmbandos Chef Okumu ist überzeugt, dass Techniken wie diese nötig sind, um Malaria vollständig auszurotten. In der nächsten Phase der Bekämpfung gehe es wahrscheinlich nicht mehr um großangelegte Interventionen auf Staatsebene, glaubt er. Stattdessen brauche jede Region eine eigene, maßgeschneiderte Strategie. Damit sich im Kampf gegen die Mücke nicht nur der Gegner anpasst.