Mythos Wiener Philharmoniker
28. März 2017Durch Fernsehübertragungen des Konzerts in 90 Länder sowie durch Radio und Livestream sind die Wiener Philharmoniker das wohl bekannteste Orchester der Welt.
So wie diese Musiker ihren Sitz in der "Hauptstadt der Klassik" haben, steht die Strauß-Dynastie - Johann Strauß und seine Söhne - im Vordergrund der Neujahrskonzerte. Das Orchester ist wie kein anderes mit Walzern, Polkas, Märschen und Operetten in Wiener Tradition verbunden.
Es wäre jedoch ein Fehler, es darauf zu beschränken. Für viele stehen die Wiener Philharmoniker sinnbildlich für Klassik schlechthin. Eine Reihe von Meisterwerken wurden von ihnen uraufgeführt, und Komponisten sparten nicht mit Lob: Richard Wagner fand das Orchester "eines der allervorzüglichsten der Welt", Anton Bruckner nannte es "den höchsten Kunstverein in der Musik", Johannes Brahms bezeichnete sich als "Freund und Verehrer" des Klangkörpers, Gustav Mahler erklärte sich mit dem Orchester "durch die musikalischer Kunst" verbunden und Richard Strauss fasste zusammen: "Die Philharmoniker preisen, heißt Geigen nach Wien tragen."
Selbstverwaltung und Selbstbewusstsein
Die Ursprünge des Orchesters gehen auf die Wiener Hofoper zurück, dessen Musiker gelegentlich von Mozart oder Beethoven für "Akademie"-Konzerte engagiert wurden. Im Frühjahr 1842 diskutierte der Komponist und Dirigent Otto Nicolai mit dem Kontrolleur der Staatsschuldenkasse August Schmidt und dem Jurist, Musiker und Komponist Alfred Julius Becher über die Gründung eines professionellen Orchesters, das jenseits des Opernbetriebs sinfonische Werke aufführen sollte. Alle drei - Nicolai, Schmidt und Becher - sind auf der Silbermünze "175 Jahre Wiener Philharmoniker" abgebildet, zusammen mit einem Ausschnitt aus Max Oppenheimers Gemälde "Die Philharmoniker".
Mit dem ersten philharmonischen Konzert am 28. März, dem Ostermontag des Jahres 1842, begann die Geschichte des Ensembles, das später als Wiener Philharmoniker bekannt werden sollte. Otto Nicolais "Gründungsdekret" folgte demokratischen Prinzipien, die heute noch gelten: Nur ein Mitglied des Opernorchesters kann Philharmoniker werden, die Musiker veranstalten und organisieren die Konzerte in Selbstverwaltung, und sie teilen die Einnahmen.
Für die ehemals schlecht bezahlten und sozial niedrig gestellten Orchestermusiker bedeutete das damals die Möglichkeit, ihr Schicksal in die eigene Hand zu nehmen - und sie nutzten sie, um Werke und vor allem Dirigenten zu wählen. Zum ersten Chefdirigenten bestimmten sie Otto Nicolai, der das Orchester bis 1847 leitete. Die Philharmoniker schrieben schließlich im Redoutensaal der Wiener Hofburg, der Hofoper und ab 1870 im neu eröffneten Musikverein Musikgeschichte.
Erfolgsgeheimnis
Bei den Wienern wird Tradition groß geschrieben: Sie bestimmt sowohl das Aufnahmeverfahren als auch die Beschäftigungsfelder der Musiker, erklärte der Oboist Wolfgang Plank im DW-Interview. "Das Eingangstor zum Orchester ist die Wiener Staatsoper", sagte Plank. "Dort werden junge Musiker zunächst aufgenommen, und wenn sie die dreijährige Probezeit bestehen, werden sie nach und nach auch zum Konzertspielen herangezogen. Die Gewichtung, wie viel Oper und wie viel Konzert man spielt, hängt von den Erfordernissen der jeweiligen Termine ab. Man leistet den Hauptdienst schon in der Oper, aber es dürfte für die meisten Orchestermitglieder etwa halbe-halbe sein."
Einen Orchesterklang als unverwechselbar zu beschreiben, fällt heute schwer. Genau das reklamieren jedoch die Wiener Philharmoniker für sich. "Die Oboe zum Beispiel ist hier ein anderes Instrument als bei anderen Orchestern: ein früheres, obertonreicheres Exemplar", so Wolfgang Plank. "Auch Hörner, Pauken und sogar die Triangel sind Sonderanfertigungen für die Wiener Philharmoniker."
Der spezielle Klang ist auch von den wichtigsten Dirigenten der jeweiligen Zeit geprägt worden - allen voran vom legendären Hans Richter, dessen Zeit als Chefdirigent von 1875 bis 1898 als "goldene Ära" beschrieben wird. Wagner, Verdi, Bruckner, Brahms und Liszt dirigierten das Orchester oder konzertierten darin als Solisten. Von 1898 bis 1901 arbeitete Gustav Mahler eng mit dem Klangkörper zusammen und führte ihn 1900 auf seine erste Auslandstournee, zur Weltausstellung in Paris. Mit Felix von Weingartner, der die Wiener von 1908 an 19 Jahre lang leitete, verließ das Orchester 1922 erstmals Europa und gastierte in Südamerika. Seit 1933 arbeiten die Wiener Philharmoniker nur noch mit Gastdirigenten.
Dunkle Jahre
Nach dem Anschluss Österreichs an Deutschland im Jahr 1938 lösten die Nationalsozialisten die Selbstverwaltungsstruktur der Wiener Philharmoniker auf, um sie unter staatliche Kontrolle zu bringen. Nur durch Intervention des Dirigenten Wilhelm Furtwängler und anderer konnte dieser Bescheid rückgängig gemacht werden. Alle jüdischen Künstler wurden sofort entlassen. Fünf davon starben im Konzentrationslager, zwei weitere verfolgungsbedingt in Wien. Neun Orchestermitglieder wurden ins Exil gezwungen. Elf Mitglieder, die entweder mit Jüdinnen verheiratet oder als "Halbjuden" stigmatisiert waren, verblieben im Orchester, lebten jedoch unter ständiger Bedrohung. 1942 waren 60 der 123 aktiven Mitglieder der Wiener Philharmoniker Mitglieder der NSDAP, ein viel größerer Anteil als allgemein in der Bevölkerung. Eine fortlaufende Dokumentation der Nazi-Ära mit erschütternden Geschichten einzelner Schicksale ist auf der Homepage der Wiener Philharmoniker zu lesen.
Aufbruch in die Moderne
Sogar das Neujahrskonzert ist eine Tradition aus der Nazi-Ära - was den Glanz der Philharmoniker in der Nachkriegszeit kaum getrübt hat. Sie arbeiteten mit führenden Dirigenten weiter: fünf Jahrzehnte mit Herbert von Karajan und mehrere Jahre mit dem Ehrenmitglied Leonard Bernstein. Trotz aller Traditionsverbundenheit zeigte das Orchester größte Flexibilität in jahrelanger Zusammenarbeit mit dem Originalklang-Experten Nikolaus Harnoncourt.
Insgesamt gab das vielfach preisgekrönte Orchester in seiner 175-jährigen Geschichte etwa 7000 Konzertauftritte, heute sind es über 40 Konzerte jährlich in Wien und mehr als 50 bei internationalen Gastspielen. Fast jedes Jahr seit 1922 sind die Wiener Philharmoniker bei den Salzburger Festspielen aufgetreten. Sommerliche Freiluftaufführungen am Schloss Schönbrünn in Wien ziehen rund 100.000 Besucher an.
Im noch jungen Jubiläumsjahr gehen die Wiener Phiilharmoniker auf US-Tournee: Ab dem 24. Februar führt sie der Dirigent Franz Welser-Most in New York, Florida und North Carolina. Und ab dem 26. März spielt das Orchester sechs Konzerte unter der Leitung von Andris Nelsons in Wien, Paris, Frankfurt und Dortmund.
Anlässlich des Jubiläumsjahrs der Wiener und der New Yorker Philharmoniker - beide Orchester feiern 2017 ihr 175-jähriges Bestehen - wurde am 23. Februar eine Ausstellung mit Dokumenten beider Orchester am Austrian Cultural Forum in New York eröffnet. Die Ausstellung geht anschließend nach Wien und wird in erweiterter Form im Haus der Musik am 175. Geburtstag der Wiener Philharmoniker, dem 28. März, eröffnet.