Mythos Roubaix: Verfluchtes Pflaster
Was ist so besonders an französischen Feldwegen aus grobem Kopfsteinpflaster? Ganz einfach: Sie haben über ein Jahrhundert Radsport geprägt und Helden hervorgebracht. Momente aus 121 Jahren Paris-Roubaix.
Blut und Champagner
Im Morgengrauen des 19. April 1896 beginnt die Geschichte von Paris-Roubaix, das ein "leichtes" Rennen werden sollte und viele Kopfsteinpflaster-Passagen umfuhr. Rund 50 Fahrer gehen von Paris auf die 280 Kilometer lange Strecke und trotz Stürzen ist am Ende ein Deutscher der Schnellste in Roubaix: Josef Fischer, der blutend und verschmutzt mit einem Glas Champagner und Blumen empfangen wird.
Der Kannibale in seinem Element
Je härter, desto besser für ihn: "Es ist ein sehr schweres Rennen, als Fahrer musst du dort sehr leiden", sagt Eddy Merckx über Paris-Roubaix und er findet in den 70er Jahren durchaus Gefallen am archaischen Radspektakel. Denn auf dem Kopfsteinpflaster kann er seine Kraft voll ausspielen. Drei Mal gewinnt er (1968, 1970, 1973), zwei weitere Male wird er Zweiter.
Der heimliche Star...
...ist die Strecke selbst. Das Kopfsteinpflaster Nordfrankreichs ist eigentlich ein Anachronismus. Längst haben die holprigen Wirtschaftswege ausgedient. Einige stehen allerdings unter Denkmalschutz und werden - wie zum Beispiel der Wald von Arenberg für 250.000 Euro - aufwändig erhalten. Und das für ein paar alte Steine, die eigentlich nur einen Zweck haben: Radprofis Schmerzen zuzufügen.
Staub...
Das Rennen entwickelt sich zu einer Materialschlacht: Platte Reifen sind auf den groben Pavé-Abschnitten quasi vorprogrammiert, deswegen stehen dort oft Helfer mit Ersatzmaterial. Bei gutem Wetter wirbelt trockener Staub auf und verleiht der Szenerie etwas Mystisches. Die Fahrer sehen im Ziel aus wie Bauern nach einem langen Tag auf dem Feld.
...oder Schlamm
Im Regen werden die Kopfsteinpflaster-Abschnitte zur matschigen Rutschpartie. Die richtige Reifenwahl ist daher inzwischen eine Wissenschaft geworden, denn der richtige Grip ist entscheidend für den Sieg. Einer der Besten auf dem Pflaster ist Johan Museeuw, der auch mit widrigen Bedingungen gut zurecht kommt und drei mal gewinnt (1996, 2000, und 2002).
Ansturm auf ein Waldstück
Der Wald von Arenberg heißt eigentlich Forêt de Raismes-Saint-Amand-Wallers, aber bekannt ist der Abschnitt nahe der Ortschaft Arenberg: Ein schnurgerader 2400 Meter langer und drei Meter breiter mit Kopfstein gepflasterter Waldweg wird jedes Jahr zum Pilgerort für Tausende Radsportfans. Auch weil hier oft eine Vorentscheidung fällt.
Kein Roubaix ohne Schmerzen
Nach dem Rennen berichten Fahrer von tagelang schmerzenden Armen, tauben Händen, steifen Nacken und natürlich müden Beinen - und dies bei den Fahrern, die sturzfrei durchkommen, wohlgemerkt. Die Athleten, die in einem der vielen Crashs zu Fall kommen, dürfte es am Tag danach noch etwas schlechter gehen.
Der Herr des Pflasters
Der Schweizer Fabian Cancellara scheint wie geschaffen für das Kopfsteinpflaster: Er ist groß, muskelbepackt und hat eine gute Radbeherrschung. 2006, 2010 und 2013 fährt er der Konkurrenz mit kraftvollem Tritt auf den Pavés davon und triumphiert am Ende, drei weitere Male steht er auf dem Podium. Inzwischen ist er im Rad-Ruhestand.
Endlich wieder ein Deutscher
Fast 120 Jahre muss Radsport-Deutschland auf einen zweiten Sieger bei Paris-Roubaix warten, 2015 ist es so weit: John Degenkolb holt sich wenige Wochen nach seinem Triumph bei Mailand-San Remo auch den Pflasterstein von Roubaix. Im Sprint auf der Betonbahn von Roubaix, auf der das Rennen traditionell mit anderthalb Schlussrunden endet, gewinnt er überlegen.
Außenseitersiege sind möglich
Im Vorjahr gewinnt der Australier Mathew Hayman (Mitte), den nicht einmal Insider auf dem Zettel hatten. Der damals schon 37 Jahre alte Australier übersprintet im Radstadion von Roubaix völlig überraschend Vierfachsieger Tom Boonen (l.), der dort 2017 seine Karriere mit einem weiteren Triumph beenden will.