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Politik

Myanmars vergessener Bürgerkrieg

Verena Hölzl aus Myanmar
2. Mai 2018

Während die ganze Welt auf den Rakhine-Konflikt blickt, eskaliert in Myanmar der längste Bürgerkrieg der Welt. Neue Kämpfe im Shan und Kachin-Staat treiben die Menschen in die Flucht.

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Kachin-Konflikt in Myanmar
Bild: picture-alliance/AP Photo/E. Htusan

Anfang April machten sich im hügeligen Norden Myanmars La Seng und seine Frau Aya Kho auf den Weg, um ihren entlaufenen Büffel zu suchen. Der Büffel ist später zurückgekommen, aber von La Seng und Aya Kho fehlt bis heute jede Spur.

Die Nachbarn schauen nachdenklich, wenn sie die Geschichte der beiden erzählen. Sie sitzen in einer Gemeinschaftshalle in Lashio, der Hauptstadt von Myanmars Shan-Staat. Sie erzählen, wie es dazu kam, dass sie nicht mehr in ihren Bambushäusern, sondern in einem Mattenlager auf einer Empore der Gemeinschaftshalle leben müssen. "Immer mehr Leute aus unserem Dorf sind verschwunden", erzählt Dorfvorsteher Aik Kho. "Wir konnten nicht länger bleiben." Schweren Herzens haben der Dorfvorsteher und die Bewohner ihr Heimatdorf verlassen. Seit zwei Wochen leben sie nun in Lashio.

Kampf aller gegen alle

Sie gehören damit zu den über 100.000 Binnenflüchtlingen, die im Norden Myanmars teilweise schon seit Jahren in Lagern und Behelfsunterkünften ausharren.

Im Shan, Myanmars nordöstlichem Teilstaat an der Grenze zu China, bekriegen sich nicht nur die Zentralarmee und die Rebellen, sondern auch verschiedene Rebellengruppen untereinander. Am meisten leidet die Zivilbevölkerung. Frauen werden vergewaltigt, Männer als Träger oder menschliche Schutzschilde zwangsrekrutiert. Gefechte vertreiben ganze Dorfgemeinschaften. Die Heftigkeit der Kämpfe nimmt seit Wochen zu.

Kachin-Konflikt in Myanmar
Der Alltag der Menschen im Kachin-Staat ist vom Krieg geprägtBild: picture-alliance/AP Photo/E. Htusan

In den vergangenen Wochen ist vor allem der Konflikt im nördlichen Teilstaat Kachin eskaliert. Die Kachin sind eine christliche Minderheit im buddhistischen Myanmar. Alleine im April sind laut UN mindestens 5000 Menschen aus ihren Dörfern geflohen. Tausende sind weiter in den Konfliktzonen gefangen. Zehn Zivilisten fielen Luftangriffen und Gefechten zum Opfer.

Die offiziell aus Myanmar verbannte UN-Sondergesandte für Menschenrechte Yanghee Lee verurteilte die Angriffe scharf. Es sei absolut inakzeptabel, dass unschuldige Zivilisten unter dem Konflikt zu leiden hätten. Sie rief die Konfliktparteien dazu auf, sich an humanitäres Völkerrecht zu halten. "Zivilisten dürfen nicht das Ziel von Gewalt sein", sagte sie gestern in einer Stellungnahme.

Längster Bürgerkrieg der Welt

Myanmars Bürgerkrieg gilt als einer der am längsten dauernden Konflikte der Welt. Unmittelbar nachdem das Land von den britischen Kolonialherren 1948 in die Freiheit entlassen wurde, brach in mehreren Teilen des Landes ein Bürgerkrieg aus. Seit mehr als 70 Jahren kommt es zwischen der Zentralarmee und  verschiedenen ethnischen Minderheiten in den Randgebieten des Landes immer wieder zu Auseinandersetzungen mit wechselnder Intensität. Waffenstillstände wurden ausgehandelt und regelmäßig wieder gebrochen.

Seit die Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi die zivile Regierung als Staatsrätin führt, haben Zahl und Intensität der Konflikte wieder zugenommen. "Unter der militärgestützten Regierung gab es weniger Kämpfe in Myanmar", sagt auch eine Touristenführerin im Nord-Shan, die von Aung San Suu Kyi überhaupt nichts hält. Seit ein paar Wochen kann sie ihre Gäste nicht mehr über Nacht in die Dörfer um den bei Wanderern beliebten Ort Hsipaw mitnehmen. Zu nah sind die Gefechte inzwischen gerückt.

Über die Ursachen der erneut ausgebrochenen Kämpfe gibt es viele Spekulationen, aber wenig Konkretes.

Flüchtlingscamp in Myanmar
Flüchtlingslager im Kachin-StaatBild: DW/V. Hölzl

Hilfsorganisationen unter Generalverdacht

Von all dem bekommt die Weltgemeinschaft nicht viel mit, deren Aufmerksamkeit fast ausschließlich der Krise im Rakhine-Staat gilt. Seit August 2017 sind von dort fast 700.000 Mitglieder der muslimischen Minderheit der Rohingya ins benachbarte Bangladesch geflohen. Die UNO spricht von ethnischer Säuberung und schließt einen Genozid nicht aus. Anfang dieser Woche durfte eine Delegation des Sicherheitsrats Myanmar einen Besuch abstatten. Aung San Suu Kyi versprach mit der internationalen Gemeinschaft kooperieren zu wollen, nachdem ihre Regierung wiederholt die Zusammenarbeit ausgesetzt hatte.

Der Konflikt im Rakhine-Staat hat auch Auswirkungen auf den Shan- und den Kachin-Staat. Das Verhältnis zwischen Regierung und internationalen Hilfsorganisationen ist in den Krisengebieten zerrüttet. Die Regierung misstraut den Organisationen, denen sie eine neben anderem gefährliche Nähe zu den Rebellen unterstellt. Schon vor der Rohingya-Krise war es schwierig Hilfsgüter zu verteilen. Heute ist es fast unmöglich.

Schwer gemacht wird es inzwischen auch nationalen Hilfsorganisationen: "Man wirft uns vor, die Rebellen zu unterstützen", sagt Gum Sha Awng von der Metta Development Foundation, die auch schon zu Zeiten der Militärdiktatur im Land aktiv war.

Hilferuf an den UN-Sicherheitsrat

Seit Jahrzehnten wendet das burmesische Militär die "Strategie der vier Schnitte" an. Die Rebellen sollen in die Knie gezwungen werden, indem sie von Information, Rekruten, Verpflegung und Kommunikation abgeschnitten werden. Opfer werden aber vor allem Zivilisten wie San Li (Name geändert). Auf den Rücken und auf den Kopf haben die Soldaten ihn geschlagen, erzählte er der Deutschen Welle. "Mein einziger Gedanke war, dass Gott mich beschützen wird." Der 38-Jährige hat mit seiner Familie in UN-Zelten auf einem Kirchengelände nahe der Kachin-Haupstadt Myitkyina Schutz gesucht hat.

Flüchtlingscamp in Myanmar
Kirche als Zufluchtsort der christlichen KachinBild: DW/V. Hölzl

Vergangene Woche wandten sich zivilgesellschaftliche Kachin-Gruppen in einem offenen Brief an den UN-Sicherheitsrat. Darin heißt es: "Das burmesische Militär benutzt diese Taktiken, um Angst zu verbreiten und Kontrolle auszuüben. Sie versuchen unsere Identität als Minderheit sowie unsere Religion zu zerstören, unser Land zu kolonisieren und unsere Ressourcen an sich zu reißen."

"Die ganze Welt schaut auf Rakhine und niemand gibt etwas auf unser Leiden", sagt Gum Sha Awng nachdenklich.