Fabienne Königstein fordert mehr Hilfen für Mütter im Sport
16. März 2024Der Himmel leuchtet in unterschiedlichsten Farbtönen, Grillen und kleine Insekten zirpen und die ersten Vögel machen lautstark auf sich aufmerksam. Es ist 6 Uhr morgens in Kenia. In der kleinen Stadt Iten, rund 2400 Meter über dem Meeresspiegel, gut 350 Kilometer nordwestlich von der Hauptstadt Nairobi, gehen in kleinen Bungalows die ersten Lichter an. Mehrere hundert Athletinnen und Athleten reisen regelmäßig hierher ins Höhentrainingslager. Das "Home of Champions", wie der kleine Ort genannt wird, ist ein Läuferparadies. Hier bereitet sich die Laufelite auf Marathonläufe und auf die Olympischen Spiele vor.
Der Ort bietet fantastische Aussichten auf das Kerio Valley. Doch dafür haben die angereisten Läuferinnen und Läufer nur wenig Zeit. Auch die deutsche Marathonläuferin Fabienne Königstein ist in das ostafrikanische Land gereist. Gemeinsam mit ihrem Mann und ihrer kleinen Tochter Skadi hat sich die 31-Jährige für vier Wochen in Iten einquartiert, um sich für die bevorstehenden Wettkämpfe - unter anderem dem prestigeträchtigen Boston-Marathon - in eine gute Form zu bringen.
Während Königstein sich die Laufschuhe schnürt, wickelt ihr Mann Karsten noch schnell Tochter Skadi, bevor es zur ersten Trainingseinheit des Tages geht. "Es ist wunderschön die Familie hier zu haben", sagt Königstein im DW-Interview. "Ich genieße die Zeit und vor allem, dass ich neben dem Training auch viel Qualitätszeit mit meiner Tochter verbringen kann."
Ohne Tochter geht es nicht
Während ihrer Karriere war die Sportlerin schon oft in Kenia im Trainingslager. Damals gemeinsam mit ihrem Team und fast immer ohne familiäre Begleitung. Doch seit Königstein 2022 Mutter geworden ist, hat sich ihr Leben verändert: privat, aber auch sportlich.
"Skadi ist erst anderthalb Jahre alt und ohne meine Tochter könnte ich gar nicht hier sein", erklärt die Marathonläuferin, die sich zwischen den Trainingseinheiten im Wechsel mit ihrem Mann Karsten um das jüngste Familienmitglied kümmert. "In dem Alter ist die Mutter immer noch die wichtigste Bezugsperson", sagt sie. So richtig daran geglaubt, auch mit Familie weiterhin ins Höhentrainingslager fahren zu können, hat Königstein nicht, denn der Aufwand ist nicht gerade gering.
"Eigentlich habe ich gedacht, dass ich nach der Geburt öfter im kalten Winter trainieren muss und nicht in der Höhe", verrät sie und ergänzt: "Da Karsten sich beruflich umorientiert hat und wir als Familie meine sportlichen Ziele priorisiert haben, können wir nun aber hier oben sein."
Königstein: "Finanzielle Unterstützung ist nicht vorhanden"
Karsten Königstein hat seine Festanstellung als Kinder- und Sportmediziner aufgegeben und seine wissenschaftliche Karriere pausiert. Er hält derzeit die Familie als Honorararzt mit Nachtdiensten finanziell über Wasser. Ohne seine Hilfe wäre eine Fortsetzung der Laufkarriere seiner Frau nur schwer möglich gewesen, denn es hapert an Unterstützung für Sportlerinnen wie Königstein, die während ihrer aktiven Zeit Mutter geworden sind oder es werden wollen.
Die Zusatzkosten für Skadi und ihren Mann Karsten für Flüge, Hotel und Essen, muss die Familie selbst tragen, denn "die finanzielle Unterstützung der Verbände ist nicht vorhanden", kritisiert Königstein. Sie hielte es daher für wünschenswert, wenn die Verbände oder auch Olympiastützpunkte mehr für Sportlerinnen mit Kindern tun würden.
Anders als bei Arbeitnehmerinnen im "normalen" Berufsleben, haben Profisportlerinnen keinerlei Unterstützung. "Mich ärgert es, wenn ich zum Beispiel an meine Rentenvorsorge denke, wo wir nicht unterstützt werden. Ich bin nicht bei der Bundeswehr oder Bundespolizei, also komplett selbstständig. Ich muss meine gesamte Vorsorge privat regeln", sagt Königstein, die während ihrer Schwangerschaft keine Einnahmen hatte, weil sie keine Wettkämpfe absolvieren konnte.
Viele Sportlerinnen entscheiden sich gegen ein Kind
Königstein fordert mehr Verbindlichkeiten der Verbände für Athletinnen, die Mutter werden wollen. "So könnten sie besser planen und hätten die Sicherheit, dass sie im Bundeskader bleiben und weiterhin die Sporthilfe bekommen." Die studierte Molekularbiologin ist aktuell auf ihren Mann angewiesen, der ihre Karriere mitfinanziert. "Wenn man ein abgeschlossenes Masterstudium hat, würde man gerne auf eigenen Füßen stehen und selber Geld verdienen", ärgert sich Königstein.
Doch ihr Mann ist nicht nur ihr finanzieller Rückhalt, auch beim Sport unterstützt er sie. Der Sportmediziner hat vor einigen Jahren das Training seiner Frau übernommen. Während der ersten Einheit sitzt Karsten im Begleitfahrzeug, Skadi sitzt auf seinem Schoß. Während Skadi sich für Giraffen und Vögel am Straßenrand begeistert, gibt Karsten immer wieder Anweisung an seine Frau weiter.
Nicht jede Sportlerin hat die Möglichkeit auf die Familie zurückzugreifen. Daher wünscht sich Königstein mehr Unterstützung bei der Betreuung. Denn viele Athletinnen würden sich aufgrund der Unsicherheit immer noch gegen ein Kind während der Karriere entscheiden, so die Marathonläuferin. "Sie haben keine verlässliche Säule, auf die sie sich stützen können, wenn sie gerne eine Familie gründen würden."
Königstein: "Keiner fühlt sich verantwortlich"
Die Übungseinheit, ein 30-Kilometer-Dauerlauf ist beendet. Kurze Pause, dann geht es für die Mutter schon wieder weiter: Video-Call mit dem Verein "Athleten Deutschland". Königstein kämpft auch auf der sportpolitischen Bühne für mehr Aufmerksamkeit für Frauen im Sport. "Natürlich ist 'Muttersein im Profisport' ein Baustein, der mir sehr am Herzen liegt", sagt sie. "Ich habe das Gefühl die Dringlichkeit und Wichtigkeit des Themas ist bekannt, aber es fehlt schlichtweg an finanziellen Ressourcen und an Verantwortlichkeiten."
Die große Frage sei, wen man in die Verantwortung nimmt: den Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB), als Dachorganisation des deutschen Sports? Die einzelnen Sportverbände oder doch die Olympiastützpunkte? "Es fühlt sich keiner so richtig verantwortlich", beklagt Königstein.
Dennoch gibt es Athletinnen, die den Schritt gewagt haben und auch als Mütter weiterhin ihre Karrieren als Sportlerinnen verfolgen. Hindernisläufern Gesa Krause, Fußballerin Melanie Leupolz oder eben auch Königstein, die nur neun Monate nach Skadis Geburt beim Marathon in Hamburg mit einer Zeit von 2:25:48 ihre persönliche Bestzeit um fast sieben Minuten verbessern konnte.
"Ich bin stolz, dass ich gesund bin und Familie und Sport unter einen Hut bekomme, was nicht immer einfach ist und ich auch immer mal an meine Grenzen stoße", sagt Königstein der DW. Die Marathonläuferin will mit ihrer Geschichte anderen Frauen Mut machen und Vorbild sein - dafür kämpft sie auf der Laufstrecke und wird nicht müde das Thema "Mutter sein im Profisport" immer wieder anzusprechen.