Stillbörsen im Internet
6. August 2014"Ich hatte Überschuss und habe die Milch in den Abfluss gekippt. Dann aber habe ich gedacht: Eigentlich ist das doch so ein einfacher, kurzer Weg. Von Mutter zu Mutter. Die eine hat zu viel, die andere hat wenig." Tanja Müller hat die erste Muttermilchbörse in Deutschland ins Leben gerufen. Grund sei die große bereits herrschende Nachfrage im Internet gewesen, allerdings versteckt, wild und chaotisch. Angebote, die vernünftig über Risiken aufklären und Schritt für Schritt anleiten und so Sicherheit bringen - die habe es so gut wie nicht gegeben, weder über Milchbanken noch über Krankenhäuser oder Onlineseiten. Seit Anfang des Jahres ist sie mit der #link:https://www.muttermilch-boerse.de/:Muttermilch-Börse# im Internet.
Kaufen und Verkaufen von Muttermilch
In den USA gibt es Muttermilchbörsen schon seit über zehn Jahren. Gedacht ist die Internetplattform für Mütter, die nicht stillen können, weil sie zu wenig Milch haben oder vielleicht eine Operation hinter sich bringen mussten. Beweggründe gibt es viele. Die beiden Gruppen - milchsuchende und milchanbietende Mütter - will Tanja Müller zusammenbringen. "Ichinformiere auf meiner Seite ausführlich über Risiken und gebe ganz klare Anweisungen wie man diese minimiert. Das sind fünf Schritte, die kann jede Mutter genau nachlesen", erklärt sie zu ihrer Webseite. "Das Erste ist, dass man lokal sucht und herausfindet: Welche mögliche Spenderin ist in meiner Umgebung?" Es sei wichtig, die Spenderin und ihr Umfeld, wenn möglich, kennenzulernen und von der Spenderin die relevanten Bluttests zu fordern.
Übergeben wird das kostbare Gut persönlich oder aber es wird als Expressversand per Post geschickt. Trockeneis im Paket soll gewährleisten, dass die Kühlkette eingehalten wird. Aber ist das wirklich so einfach und so unproblematisch?
Getestet und nicht für gut befunden?
Harsche Kritik und Warnungen vor dem Kauf von Muttermilch übers Internet kommen von der Nationalen Stillkommission am Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) und auch von der Ernährungskommission der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin (DGKJ), in deren Stellungnahme es heißt: "Die Verwendung nicht umfassend kontrollierter menschlicher Muttermilch zur Ernährung anderer Säuglinge ist für diese jedoch mit hohen Risiken verbunden." Diese Risiken bestehen nach Ansicht von Fachleuten und Ärzten vor allem in der möglichen Übertragung von Bakterien, Keimen oder Viren über die Muttermilch der Spenderin.
Bei Frauenmilchbanken, die grundsätzlich an Kliniken angeschlossen sind, sehe das anders aus, so Michael Radke, Chefarzt an der Ernst von Bergmann Klinik in Potsdam. Die Spenderin und die Spenden würden sehr sorgfältig auf alle möglichen Erreger getestet und das mehrfach. "Jede Frau, die bereit ist, Milch zu spenden, wird mikrobiologisch daraufhin untersucht, ob sie bestimmte virale Infektionskrankheiten hat oder ein Risiko wie etwa Hepatitis, also die infektiöse Gelbsucht, oder HIV. Wenn diese Tests negativ sind, dann wird diese Frau zur Spende zugelassen, und dann wird jede Milchprobe, die sie abliefert, nochmals extra bakteriologisch untersucht." Aber selbst dann werde diese Milch noch nicht freigegeben, so der Kinder- und Jugendmediziner weiter. "Wir frieren diese Milch erst einmal ein, und wenn die letzte Milchspende abgegeben ist, wird die Frau nochmals durch eine Blutentnahme mikrobiologisch untersucht. Es wird geprüft, ob bei ihr während der Zeit, in der sie Milch gespendet hat, irgendwelche Infektionskrankheiten aufgetreten sind. Erst wenn auch diese Tests negativ sind, geben wir ihre Milch frei."
Die Milch macht's
"Stillen schützt vor Adipositas", Stillen als Vorbeugung von Allergien", "Muttermilch macht den Nachwuchs schauer". Untersuchungen dazu gibt es mehr als genug. Wissenschaftler, Fachärzte und Mütter sind sich einig: Muttermilch ist das Beste für einen Säugling. 300 verschiedene Substanzen sind darin enthalten, erläutert Corinna Gebauer, Leiterin der größten deutschen Frauenmilchbank in Leipzig. "Lebende Abwehrzellen, Eiweiße für die Abwehrfunktion des Darms, Verdauungsenzyme. Sie erleichtern die Aufnahme von bestimmten Nährstoffen." All das seien biologische Substanzen, die sehr schwer in eine industrielle Nahrung einzubringen seien, so die Expertin weiter.
Gerade für Frühchen ist Muttermilch wichtig, denn sie benötigen eine Extraportion der wertvollen Substanzen. Steht keine oder zu wenig Muttermilch zur Verfügung, ist gemäß der Weltgesundheitsorganisation "eine Ernährung mit pasteurisierter Spendermilch für Neugeborene mit geringem Geburtsgewicht eine angepasste Alternative."
Mehr Frauenmilchbanken sind nötig
13 Frauenmilchbanken gibt es in Deutschland, die meisten in den neuen Bundesländern, ein Relikt aus DDR-Tagen. Dort mussten Städte ab 20.000 Einwohnern über eine Milchbank verfügen.
Im Oktober 2010 wurde ein Europäisches Netzwerk der Frauenmilchbanken (EMBA) gegründet. Aber auch außerhalb Europas gibt es die Sammelstellen für diese wichtige Säuglingsnahrung: in China und Japan, in Kamerun, in Indien, den USA und Kanada und etlichen weiteren Staaten. Dort werden vor allem Neugeborene, schwache und kranke Säuglinge mit Muttermilch versorgt.
Ein Gesetz oder eine Verordnung für Frauenmilchbanken gibt es nicht. "Wir arbeiten nach einer sehr zweifelhaften, juristischen Richtlinie aus dem Jahr 1943. Allerdings gibt es eine Übereinkunft. Die besagt, dass man eine Frauenmilchbank gleichsetzen muss mit einer Blutbank. Das erfordert einen hohen Sicherheitsstandard", so Radke. Kliniken lagern Muttermilch sagegemäß und halten die Kühlkette strengstens ein. Steril ist Muttermilch nie. Harmlose Hautkeime sind darin, aber es können eben auch andere Keime in der Milch sein, Darmbakterien zum Beispiel. "Wenn die Milch durch unsachgemäße Lagerung nicht gekühlt bleibt, kann sich der Bakteriengehalt innerhalb weniger Stunden so vermehren, dass es zu einer Infektion beim Empfängerkind kommen kann", erklärt Gebauer.
Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser
Die EMBA habe sich den Milchbörsen gegenüber eher ablehnend gestellt, erklärt Corinna Gebauer. "Es kann eben nicht gewährleistet werden, dass die Qualität der Milch unbedenklich ist, etwa was die Zahl der Keime angeht." Tanja Müller aber geht davon aus, dass die Mütter genügend Verantwortungsbewusstsein hätten. "Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Mutter, die Milch kauft, diese nicht zum Testen einsendet." Sie arbeite mit einem bakteriellen Labor zusammen, dem IFM, dem Institut für Milchuntersuchungen, so die 38-jährige. Ihr jüngstes Kind bekam Milch von einer Spenderin. Gefunden hatte sie die im nahen Umkreis ihres Wohnortes.
Zuerst habe sie die Milch mit einer Styroporbox mit Kühlakkus abgeholt und dann sofort in die Kühltruhe gepackt. Stichprobenartig habe sie die Milch dann untersuchen lassen. "In dem Labor, mit dem ich kooperiere, kann man testen lassen, ob die Milch eventuell gestreckt ist, zum Beispiel mit Wasser oder mit Kuhmilch oder mit Säuglingsfertignahrung." Das sei zwar nicht bedrohlich, aber man wolle ja echte Muttermilch haben. Und die werde auf jeden Fall auf Keime und Bakterien getestet.
Radke aber hat große Bedenken: "Das sind Frauen, die sich über die Risiken nicht im Klaren sind." Corinna Gebauer schließt sich dieser Meinung an: "Es gibt so viele Risiken und so viele Manipulationsmöglichkeiten, dass man da nur abraten kann." Ungefährlich, aber doch rechtzweifelhaft scheint die Geschäftsidee eines britischen Gastronomen. Der bietet eine ganz besondere Eiscreme an, hergestellt aus Muttermilch.