Kommt der äthiopische Frühling?
9. August 2013Teile der muslimischen Bevölkerung in Äthiopien sind wutentbrannt. Im ganzen Land protestieren sie, fordern die Freiheit von religiösen Führern und Aktivisten. 29 Inhaftierte müssen sich vor Gericht verantworten, ihnen wird Terrorismus vorgeworfen - zu Unrecht, sagen die Demonstranten. Unterstützung bekommen sie von der Menschenrechtsorganisation Amnesty International. "Wir vermuten, dass diese Personen wegen ihres Engagements in einer friedlichen Protestbewegung strafrechtlich verfolgt werden", sagt die Äthiopienexpertin Claire Beston von Amnesty International. "Wir haben gesehen, dass die muslimische Protestbewegung, die seit mehr als 18 Monaten aktiv ist, massiver Unterdrückung ausgesetzt ist."
Im christlich geprägten Äthiopien sind Muslime in der Minderheit - aber sie sind dort seit mehr als tausend Jahren verwurzelt und stellen immerhin ein Drittel der Bevölkerung. Die Trennung zwischen Staat und Religion ist in der äthiopischen Verfassung vorgeschrieben. Doch die Regierung, so der Vorwurf der Demonstranten, setzt sich darüber hinweg. Besonders empört einige Muslime, dass die Regierung die moderate islamische Gruppe "Al-Ahbash" finanziell unterstützt - um so eine gemäßigte religiöse Ausbildung im Land durchzusetzen. Außerdem hatte sich die Regierung bei der personellen Besetzung des obersten islamischen Rates im Land eingemischt.
Unter dem Deckmantel der Terrorismusbekämpfung
Mehrfach war es am Rande von Demonstrationen zu Konfrontationen zwischen Protestierenden und Sicherheitskräften gekommen. So kamen am Samstag (03.08.2013) nach offiziellen Angaben drei Menschen ums Leben. Augenzeugen und Blogger gehen jedoch von mehreren dutzend Toten aus. Die äthiopische Polizei behauptet, dass Salafisten die Proteste koordinieren.
"Die Regierung versucht weiterhin, die muslimische Protestbewegung in Zusammenhang mit Terrorismus zu bringen", sagt Expertin Claire Beston von Amnesty International. "Das gleiche versucht sie mit verschiedenen politischen Parteien und Protestbewegungen im Land." Auch politische Aktivisten wurden wiederholt unter dem Vorwand des Terrorverdachts festgenommen. Die Grundlage dafür ist ein Gesetz zur Bekämpfung des Terrorismus, das 2009 in Kraft trat. Äußerungen, die als Ermutigung terroristischer Handlungen verstanden werden können, werden laut dem Gesetz mit bis zu 20 Jahren Gefängnis bestraft. Menschenrechtler beklagen seit Jahren, dass durch die weite Auslegung des Gesetzes die Freiheiten der Bevölkerung eingeschränkt werden. Die deutsche Heinrich-Böll-Stiftung hatte aus Protest gegen die verschärfte Menschenrechtslage bereits 2012 ihr Büro in Addis Abeba geschlossen.
Ein Hoffnungsschimmer
Seit einigen Wochen demonstrieren auch politische Oppositionsgruppen gegen willkürliche Verhaftungen - und solidarisieren sich mit den Muslimen. Eine Gruppe ist die "Blaue Partei", die eine liberale Demokratie fordert und besonders junge Menschen anzieht. Anfang Juni organisierte die Partei eine Großdemonstration in der Hauptstadt Addis Abeba, an der tausende Menschen teilnahmen. Die Überraschung: Anders als in den Jahren zuvor ließen die Behörden des autokratischen Staates die Proteste zu. Die Demonstranten hätten den Zeitpunkt gut gewählt, sagt Hallelujah Lule vom Institut für Sicherheitsstudien in Addis Abeba. "Die erste Demonstration fand wenige Tage nach dem 50. Jubiläum der Afrikanischen Union statt." Die Regierung habe die Proteste zunächst zugelassen, um einen Eklat bei den internationalen Feierlichkeiten zu vermeiden, so Lule.
Doch anschließend weiteten sich die Demonstrationen auf die nordäthiopischen Städte Gondar und Dessie aus - und wurden auch hier zugelassen. Dennoch sei es zu früh anzunehmen, dass die Regierung zu Reformen bereit sei, sagt Sicherheitsexperte Lule. So wurde offenbar Druck auf die Veranstalter der Demonstrationen ausgeübt. Yilkal Getnet, der Vorsitzende der Blauen Partei, berichtet im DW-Interview von anonymen Drohungen. "Sie haben mit verschiedenen Telefonnummern angerufen und uns gesagt, wir sollen die Regierung nicht kritisieren." Doch Getnet lässt sich nicht einschüchtern: "Wir sind immer in Gefahr, aber wir sind bereit, alles zu tun, um unsere Rechte zu verteidigen."
Gegen die politische Führung zu demonstrieren - das war in Äthiopien lange Zeit undenkbar. Indem sie 2005 Proteste in der Bevölkerung gewaltsam unterdrückte, löste die Regierung des ehemaligen Premierministers Meles Zenawi einen Exodus von Regimekritikern aus. Dass Oppositionelle sich nun wieder trauen, ihre Stimme zu erheben, ist für Beobachter wie Hallelujah Lule ein Hoffnungsschimmer.